Wochenlange Kinderbetreuung in den eigenen vier Wänden bringen manche Familien an den Rand der Erschöpfung. Gleichzeitig warnen Forscher um den Virologen Christian Drosten vor einer uneingeschränkten Öffnung von Schulen und Kindergärten.
Doch die Länder drängen: Die Kindertagesstätten sollen schrittweise und »behutsam« wieder geöffnet werden, hieß es am 20. April nach einem gemeinsamen Entschluss des Familienministeriums des Bundes und der Länder.
STUFEN Geplant sei eine Öffnung in vier Stufen – von der Notbetreuung über eine erweiterte Notbetreuung und einen eingeschränkten Regelbetrieb bis zum vollständigen Regelbetrieb. Nach jedem Öffnungsschritt sollte das Infektionsgeschehen mindestens zwei Wochen lang beobachtet werden, bevor eine weitere Maßnahme folgt. Mediziner und Sozialverbände werfen unterdessen Bund und Ländern vor, die Not der Familien in der Corona-Krise auszublenden.
Der Chef des Bundeskanzleramts und die Chefs der Staats- und Senatskanzleien in den Ländern hatten den Auftrag, bis Mittwoch dieser Woche Vorschläge für die weitere schrittweise Öffnung von Kinderbetreuungsangeboten, Schulen und Sportstätten zu erarbeiten. Laut Bundesfamilienministerin Franziska Giffey werden bei den Überlegungen die Perspektiven von Eltern, Kindern sowie den Erzieherinnen und Erziehern berücksichtigt, heißt es auf der Webseite der Bundesregierung.
FREUNDE Seit Wochen konnten die Kinder ihre Freunde nicht treffen, die Spielplätze waren mit weiß-roten Flatterbändern abgesperrt. Die Bänder sind inzwischen verschwunden. Und seit einigen Tagen können sich zwei Familien bei der Kinderbetreuung abwechseln. Doch bis auf Weiteres heißt es offiziell, dass die Betreuung für alle nicht vor August wieder möglich sein wird.
In Nordrhein-Westfalen werden Kinder betreut, wenn mindestens ein Elternteil in einem sogenannten systemrelevanten Beruf arbeitet. Nicht alle Eltern wollen ihren Anspruch wahrnehmen, sagt Leonid Chraga, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Dortmund.
15 Kinder dürften nach NRW-Bestimmungen in die Kita kommen, aber nur zehn werden von ihren Eltern geschickt. »Manche schaffen es doch, von zu Hause aus zu arbeiten, und behalten ihren Nachwuchs zu Hause.« In Vor-Corona-Zeiten besuchten 75 Kinder die Einrichtung.
In Dresden hat der Kindergarten Platz für 20 Kinder. Doch noch ist er nicht geöffnet.
In Dresden ist die Kita noch geschlossen, teilt Rabbiner Shneor Havlin mit. Er hofft, dass die Stadt nun doch eine Genehmigung erteilen wird und die Türen für die etwa 20 Kinder wieder geöffnet werden können. Immerhin sind in Sachsen auch die Schulen früher als in anderen Bundesländern an den Start gegangen.
Nicole Schulman leitet die Kita Bere-schit in Frankfurt am Main. Fünf Kinder spielen, basteln und singen derzeit in den Räumen der Kita im Westend. Dort findet übergreifend die Notbetreuung für die Kindertagesstätten der Jüdischen Gemeinde Frankfurt statt.
ANGEBOTE »Aber wir bleiben auch mit unseren anderen Kindern und deren Eltern in Kontakt«, sagt Schulman. Regelmäßig rufen sie und ihre Mitarbeiter bei den Familien an. Außerdem versorgen sie die Kinder mit den Angeboten, die sie sonst im Kita-Alltag eingeplant haben.
Die Betreuer lassen sich immer wieder etwas Neues einfallen, um den Kindern den Alltag zu verschönern.
Das sind unter anderem »Vorbereitungen und Erklärungen zu den jüdischen Feiertagen, Bastelangebote, musikalische Angebote, das Vorlesen und Besprechen von Büchern und auch Angebote zu unseren Entenland- und Zahlenland-Programm aus der mathematischen Frühförderung oder Schwungübungen«.
Außerdem nimmt der Rabbiner Video-Botschaften auf, die per E-Mail an die Familien verschickt werden. Ferner wird Material per Päckchen versendet, das auch ein kleines Geschenk für die Kinder enthalten kann. Zu Jom Haazmaut erhielt beispielsweise jedes Kind der Kita Bereschit das Ausmalbuch Fantastisches Israel, das eine kreative Reise durch das Heilige Land ermöglicht.
NACHFRAGEN Wichtig ist der Kindergartenleiterin, mit den Familien in Kontakt zu bleiben und regelmäßig nachzufragen, ob es irgendwelche Schwierigkeiten gibt. Schließlich könnten die Eltern neben Tipps zu Betreuung und Erziehung Fragen zu neuen pädagogischen Themen stellen. »Ich bin froh, dass wir in der Gemeinde gut vernetzt sind und weitervermitteln können, wenn jemand Unterstützung braucht«, sagt Schulman. Ob es im August weitergeht, weiß sie nicht. »Wir halten uns an die Vorgaben des Ministeriums. Deshalb planen wir nur von Woche zu Woche.«
Noch kommen in Berlin nur zehn Prozent der Kinder in die Tagesstätten am Spandauer Damm oder in die Münstersche Straße.
Auch Annette Lentz von den beiden Chabad-Kindergärten in Berlin hält den Kontakt zu ihren Kindern. 13 von 120 kommen morgens entweder in die Kita am Spandauer Damm oder in die Münstersche Straße. »Das müssen wir auch so beibehalten«, sagt Lentz. Über Zoom und WhatsApp tauschen sich Eltern und Kita aus. Oder sie telefonieren miteinander.
Die Kita-Kinder und die Erzieher senden Fotos an die zu Hause Gebliebenen. Es werden Geschichten erzählt, und oft findet sogar ein Morgenkreis mit Singen per Zoom statt, oder sie sprechen gemeinsam ein Gebet. Die Kinder erzählen von ihren Erlebnissen. Und für die Jüngeren wurde ein Puppentheaterstück aufgenommen und versendet.
»Da werden wir immer kreativer«, betont die Kindergärtnerin. »Wir haben natürlich auch Glück, weil wir eine große Außenfläche haben und das Wetter gut ist«, sagt Lentz. Für sie wird am Spandauer Damm jetzt schon Schluss sein, denn sie verlässt die Kita.
»Ich habe gerne hier gearbeitet und gehe mit Wehmut«, sagt die Mutter von zwei kleinen Kindern. Aber sie weiß die Einrichtung nun in guten Händen, Nastassja Chanias wird die neue Leiterin.