Hintergrund

Kein normaler Umzug

Rabbiner Pinchas Goldschmidt, Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch und Gady Gronich (v.l.) Foto: Europäische Rabbinerkonferenz/CER

Vor fast genau 100 Jahren griff Adolf Hitler zum ersten Mal nach der Macht. Sein Putsch in München scheiterte zwar, machte den Provinzpolitiker aber auf einen Schlag über Bayern hinaus bekannt. Wie keine andere Stadt steht München seither für den Aufstieg des Nationalsozialismus.

Am kommenden Dienstag geben sich nun führende Vertreter des europäischen Judentums, das Hitler bekanntlich ausrotten wollte, ein Stelldichein in München. Diesmal nicht nur für ein paar Tage Konferenz wie 2022. Sie kommen, um zu bleiben.

Symbolisch Ein historischer Moment: Erstmals nach der Schoa verlegt eine internationale jüdische Organisation ihren Hauptsitz ins »Land der Täter«. Und dann auch noch nach München, also an den Ort, der im Nazijargon einmal »Hauptstadt der Bewegung« hieß. Das lädt den Umzug der orthodox geprägten Konferenz Europäischer Rabbiner (CER) aus London nach Bayern symbolpolitisch mächtig auf.

Für »meschugge«, also verrückt, hätten einige diese Idee anfangs gehalten, erzählt Sprecher Oliver Rolofs. Doch aus einem »Wie könnt ihr nur« ist ein »Gerade deshalb« geworden. Es gehe um ein Zeichen auch an die Adresse von Antisemiten und Israelfeinden, wer am Ende der Geschichte letztlich die Nase vorn habe, sagt Rolofs selbstbewusst. Er spricht für die Repräsentanten mehrerer hundert jüdischer Gemeinden zwischen Dublin und Wladiwostok.

Die eigentliche Vorgeschichte zu der Standortentscheidung ist kurz. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ließ beim Treffen der Rabbinerkonferenz im Frühjahr 2022 in München aufhorchen. Er formulierte nicht nur ein höfliches Grußwort, sondern sprach eine dauerhafte Einladung aus. Konferenz-Geschäftsführer Gady Gronich, schon länger in München ansässig, ventilierte daraufhin eine Verlegung des Hauptsitzes von der Themse an die Isar.

förderung Im umtriebigen bayerischen Antisemitismusbeauftragten Ludwig Spaenle fand er einen Unterstützer, der weitere Drähte in die Staatsregierung knüpfen half. Auch die bestens vernetzte Langzeit-Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, dürfte ihren Einfluss geltend gemacht haben.

Dazu kam, dass in Deutschland gerade 1.700 Jahre jüdisches Leben gefeiert wurden, während Großbritannien den Brexit vollzog. Am Ende stand eine handfeste Zusage: Der Freistaat fördert die orthodoxe Rabbinerkonferenz mit 1,5 Millionen Euro, und das jedes Jahr.

Mit neun Mitarbeitern belegt die CER ein halbes Stockwerk im Prinz-Ludwig-Palais. Der moderne Büro- und Tagungskomplex liegt zentral am Rande Schwabings: Das Israelische Generalkonsulat ist ganz in der Nähe, und auch das NS-Dokumentationszentrum, vormals das Hauptquartier der Hitler-Partei NSDAP. Von dort aus soll nicht nur Judenhass bekämpft, sondern vor allem die Präsenz jüdischen Lebens in der Öffentlichkeit gestärkt werden. So lautet das Vorhaben.

»Wir wollen uns hier nicht verstecken«, sagte Gronich jüngst der »Jüdischen Allgemeinen«. Auf dem Türschild werde daher nicht nur das Kürzel CER stehen, sondern der ganze Name seiner Organisation.

schutzversprechen Ein eigenes Büro wartet auf den seit 2011 amtierenden CER-Präsidenten Pinchas Goldschmidt. Der einstige Moskauer Oberrabbiner lebt inzwischen in Israel. In mehreren Interviews sprach er voll des Lobes über Söders Engagement, vor allem dessen Schutzversprechen gegenüber der jüdischen Gemeinschaft.

Die Affäre um ein antisemitisches Hetzblatt, das seinerzeit im Schulranzen des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger (Freie Wähler) entdeckt worden war, soll den Festakt am Dienstag nicht überschatten, heißt es im Vorfeld. Bei der Europäischen Rabbinerkonferenz hat man zwar auch eine Meinung zu dem Vorgang, betrachtet die Angelegenheit aber politisch als abgeschlossen.

Goldschmidt wird in München eine Gastprofessur an der Technischen Universität wahrnehmen. Der gebürtige Schweizer unterhält nicht nur viele Kontakte zu europäischen Politikern. Zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine äußerte er sich ebenso unmissverständlich ablehnend wie unlängst zu Spuckattacken auf Christen in Israel.

Dafür bedankte sich am Donnerstag auch der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, in einer Botschaft zu Rosch Haschana.

Hanau

Rabbiner antisemitisch beleidigt

Für die Gemeinde ist die Pöbel-Attacke kein Einzelfall

 25.11.2025

Jüdische Kulturtage

Musikfestival folgt Spuren jüdischen Lebens

Nach dem Festival-Eröffnungskonzert »Stimmen aus Theresienstadt« am 14. Dezember im Seebad Heringsdorf folgen weitere Konzerte in Berlin, Essen und Chemnitz

 25.11.2025

Digitales Gedenken

App soll alle Stolpersteine Deutschlands erfassen

Nach dem Start in Schleswig-Holstein soll eine App in Zukunft alle Stolpersteine in Deutschland erfassen. In der App können Biografien der Opfer abgerufen werden

 24.11.2025

Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin

Tikkun Olam

»Ein Licht für die Welt«

Der Mitzvah Day 2025 brachte bundesweit Gemeinden, Gruppen und Freiwillige zu mehr als 150 Projekten zusammen

 23.11.2025

München

Nicht zu überhören

Klare Botschaften und eindrucksvolle Musik: Die 39. Jüdischen Kulturtage sind eröffnet

von Esther Martel  23.11.2025

Berlin

Gegen den Strom

Wie der Ruderklub »Welle-Poseidon« in der NS-Zeit Widerstand leistete und bis heute Verbindung zu Nachfahren seiner jüdischen Mitglieder pflegt

von Alicia Rust  23.11.2025

Porträt

Glücklich über die Befreiung

Yael Front ist Dirigentin, Sängerin, Komponistin und engagierte sich für die Geiseln

von Alicia Rust  22.11.2025

Berufung

Schau mal, wer da hämmert

Sie reparieren, organisieren, helfen – und hören zu: Hausmeister von Gemeinden erzählen, warum ihre Arbeit als »gute Seelen« weit mehr ist als ein Job

von Christine Schmitt  21.11.2025

Spremberg

Gegen rechtsextreme Gesinnung - Bürgermeisterin bekommt Preis

Rechtsextreme sprechen im ostdeutschen Spremberg vor Schulen Jugendliche an. Die Schüler schütten ihrer Bürgermeisterin ihr Herz aus - und diese macht das Problem öffentlich. Für ihren Mut bekommt sie jetzt einen Preis

von Nina Schmedding  21.11.2025