Was für ein Glück hatte das Jugendamt Charlottenburg mit seiner ersten Leiterin, Clara Israel. Das meint Uta von Pirani, die bis vor ein paar Jahren selbst Jugendamtsdirektorin in Charlottenburg-Wilmersdorf war. Nach ihrer Pensionierung wollte sie noch mehr über die Jugendhilfe und Clara Israel erfahren. Und so begann sie zu recherchieren und besuchte deren Grab auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee.
Clara Israel (1876–1942) war seit 1908 in der »Vereinigung der Wohltätigkeitsbestrebungen der Stadt Charlottenburg« mit den Aufgaben der Jugendgerichtshilfe betraut, bevor sie 1920 in das neu errichtete Jugendamt wechselte. Sie gilt als eine Pionierin der Sozialen Arbeit in Deutschland und trieb die Weiterentwicklung und Professionalisierung des Berufsfelds voran, so Uta von Pirani.
Aufgewachsen ist Clara Israel in Spandau. Ihr Vater war Kaufmann im Getreidehandel, die Familie – Clara hatte vier Geschwister – lebte in der Altstadt. Clara konnte keine höhere Schule besuchen, da dies Frauen nicht erlaubt war. Aber sie konnte einen Beruf erlernen und wurde Kindergärtnerin und Hortnerin, berichtet die Historikerin Simone Ladwig-Winter. »Leider gibt es wenig Zeugnisse aus ihrem Leben«, sagt sie. Doch man weiß, dass sie in der Sozialen Arbeit ihre Lebensaufgabe fand und in dieser Tätigkeit aufging.
Alice Salomon empfahl Clara Israel
Als 1908 Jugendgerichte eingeführt wurden, betraute man Clara Israel auf Empfehlung der Sozialreformerin Alice Salomon mit der Jugendgerichtshilfe. Deren Aufgabe bestand darin, straffällig gewordene Jungen oder Mädchen für ein ordentliches Leben zu gewinnen und sie vor Rückfällen zu bewahren.
Clara Israel war verantwortlich für alle Gebiete der damaligen Wohlfahrtspflege.
Nach der Übernahme der Einrichtung durch die Stadt Charlottenburg wurde Clara Israel 1923 Leiterin der Bezirksfürsorge des Jugendamtes mit dem Titel der Sozialsekretärin. In dieser Funktion prägte sie maßgeblich die Entwicklung der Sozialen Arbeit – von der traditionellen Armenpflege bis zur modernen Wohlfahrtspflege. Sie war verantwortlich für fast alle Gebiete der damaligen Wohlfahrt. Für ihre Mitarbeiterinnen hatte sie stets ein offenes Ohr und hielt guten Rat bereit. Von Beginn an setzte sie sich für die Professionalisierung dieses Berufsfeldes – insbesondere für Frauen – ein, sagt Uta von Pirani.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlor sie als Jüdin sämtliche Ämter, fand jedoch ein neues Betätigungsfeld in der Organisation des Jüdischen Hauspflegevereins Charlottenburg – bis Oktober 1942, als ihr die Deportation drohte, der sie durch ihren Suizid zuvorkam. Gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrer Freundin nahm sie sich das Leben. Die Beerdigung auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee erfolgte nachts, damit die Gestapo die Leichen nicht beschlagnahmen konnte.
Uta von Pirani kümmert sich mittlerweile um das Grab. Jüngst wurde der Platz am Charlottenburger Standesamt nach Clara Israel benannt. Eine durchsichtige Gedenkstele weist auf ihr Schicksal hin. Diese soll auch verdeutlichen, dass lange Zeit nach der Schoa die Schicksale von Jüdinnen und Juden in Charlottenburg unsichtbar waren. Das möchte der Bezirk nun ändern, indem er jüdisches Leben aufzeigt und an Menschen erinnert, die die Stadt einst stark mitprägten, so Bezirksstadtrat Oliver Schruoffeneger.
An der Kohlfurter Straße in Kreuzberg sind viele Touristen unterwegs
Eine weitere Straßennamensgebung bahnt sich dieser Tage auch in einem anderen Stadtteil an. An der Kohlfurter Straße in Kreuzberg sind viele Touristen unterwegs, stets herrscht dichtes Treiben. Nach vielen Jahren ist es endlich so weit: Die Straße soll noch in diesem Jahr in Regina-Jonas-Straße umbenannt werden, teilt das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg mit. Einen Beschluss zur Umbenennung hatte die Bezirksverordnetenversammlung schon im Dezember 2023 gefällt. Ende Mai bestätigte ihn das Bezirksamt, musste aber die Umsetzung verschieben.
Als Rabbinerin arbeitete Regina Jonas in verschiedenen liberalen Synagogen.
Als Grund nannte das Bezirksamt mehrere Widersprüche, die gegen die Umbenennung eingelegt wurden. Inzwischen ist die Frist abgelaufen. »Da keine Klagen gegen die Umbenennung eingegangen sind, wird die formelle Umbenennung derzeit erneut vorbereitet«, teilte das Bezirksamt mit. »Eine Einweihung könnte dann im Dezember stattfinden«, so die Behörde weiter. Parallel sollen dann auch die neuen Straßenschilder angebracht werden – die alten bleiben vorübergehend noch an Ort und Stelle.
Vorbild Regina Jonas (1902–1944) war 1935 die erste ordinierte Rabbinerin weltweit. Bereits in der Abschlussarbeit ihres Studiums beschäftigte sie sich mit der Leitfrage »Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?«. Sie war danach in der Seelsorge und als Religionslehrerin tätig, zeitweise auch in einer Synagoge, nicht weit entfernt von der Straße, die nun ihren Namen erhält.
Als Rabbinerin arbeitete sie außerdem im Jüdischen Krankenhaus und in verschiedenen liberalen Synagogen Berlins. Im November 1942 wurde sie ins Konzentrationslager Theresienstadt und von dort im Oktober 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie bald darauf ermordet wurde.
Gesa Ederberg, die in der Berliner Synagoge Oranienburger Straße als Rabbinerin amtiert, freut sich über die baldige Umbenennung: »Ich finde es wunderbar, dass die Rabbinerin, die für mich ein persönliches Vorbild ist, einen Ort im Berliner Stadtbild bekommt.«