Porträt der Woche

In der Welt der Musik

»Ich begann, auf der Orgel Bach zu spielen, und verliebte mich in das Instrument«: Dimitar Dimitrov (24) aus Berlin Foto: Chris Hartung

Porträt der Woche

In der Welt der Musik

Dimitar Dimitrov studiert Orgel und sieht seine Zukunft in Israel

von Gerhard Haase-Hindenberg  26.04.2023 20:02 Uhr

Kazanlak ist eine kleine Stadt in Bulgarien, die für das Rosenöl berühmt ist, das hier produziert wird. In dieser Stadt im Zentrum des Landes kam ich zur Welt. Meine Mutter war in Jambol aufgewachsen. Deren Eltern konnten noch Ladino sprechen, die Sprache der sefardischen Juden. Wenn sie etwas sagen wollten, was die Kinder nicht verstehen sollten, taten sie es auf Ladino. Das hat mir meine Großmutter später einmal erzählt. Da wusste ich dann schon, dass sie Jüdin ist, worüber bei uns zu Hause sonst nie gesprochen wurde.

In Kazanlak gab es nicht mehr sehr viele Juden, nachdem viele der Überlebenden des Holocaust in den späten 40er- und frühen 50er-Jahren nach Israel ausgewandert waren. Es stand in unserer Stadt zwar noch eine Synagoge, aber da ging aus meiner Familie niemand hin. In der Schule war außer mir nur noch ein anderer Junge nicht getauft. Von ihm war bekannt, dass er ein jüdisches Kind ist. Von mir wusste ich es lange selbst nicht. Allerdings habe ich mich immer gewundert, dass meine Großmutter so einen komischen Namen hatte. Sie hieß Lili Benjamin Jakova, was ja kein bulgarischer Name war.

angst Als ich meine Mutter danach fragte, wich sie einer Antwort aus, als ob sie vor irgendetwas Angst hatte. Sie war eine einfache Frau, eine Fabrikarbeiterin. Meine ganze Familie entstammt traditionell dem proletarischen Milieu, wenngleich der Großvater meiner Mutter auch Musiker war. Er spielte – genau wie ich – Akkordeon und Klavier.

Einmal hat meine Mutter zu mir gesagt, dass sie sich Sorgen macht, wie wohl ihre Arbeitskolleginnen reagieren würden, wenn sie wüssten, dass sie jüdische Wurzeln hat. Eines Tages kam der Bruder meiner Großmutter zu Besuch, den ich bis dahin nicht kannte. Nun habe ich erfahren, dass er in Israel lebt. Sein Haus in Sderot, ganz in der Nähe des Gazastreifens, war damals von der Hamas zerbombt worden.

Inzwischen war ich ein Teenager und erzählte überall in meinem Umfeld, dass meine Großmutter eine Jüdin ist. Folglich seien auch meine Mutter und ich selbst jüdisch. Mit dem Judentum aber habe ich mich erst intensiver beschäftigt, als ich mit einem Erasmus-Stipendium für zwei Semester in Breslau studierte.

AKKORDEON Im Alter von sieben Jahren habe ich angefangen, das Akkordeonspiel zu erlernen. Meine Großmutter, deren Vater ja auch Musiker war, ist mit mir zu einer Musikschule gegangen, wo ich dann Unterricht bekam. Nach wenigen Jahren nahm ich schon an nationalen Wettbewerben teil und habe mehrfach in der jeweiligen Altersgruppe erste Preise gewonnen.

Mit zwölf Jahren war der Unterricht am Klavier hinzugekommen, und bald schon hat mir meine Klavierlehrerin auch die Orgel vorgestellt. Ich begann, darauf Bach und die Werke anderer Komponisten zu spielen. Bald hatte ich mich in dieses Instrument verliebt. Nach dem Abitur habe ich angefangen, beide Instrumente, also Klavier und Orgel, an der Hochschule zu studieren.

An der Kotel in Jerusalem habe ich meine Barmizwa nachgeholt.

Schon während meines Musikstudiums in Sofia bin ich zum ersten Mal in einer Synagoge gewesen. Die meisten Besucher des Gottesdienstes waren Ausländer. Ich denke, es waren Amerikaner und Israelis, jedenfalls sprachen sie kein Bulgarisch. Leider auch der Rabbiner nicht, mit dem ich mich zu einem Gespräch verabredet hatte.

tonzeichen Ich wollte ihm einige Fragen stellen, die mich bewegten. Das aber gestaltete sich sehr schwierig, da nicht nur er kein Bulgarisch sprach, sondern andererseits auch mein Englisch nicht besonders gut war. Ich wollte beispielsweise mit ihm über die Bedeutung von Sela sprechen, jenes wiederkehrende Tonzeichen in den Psalmen des Tanach. Da wir uns aber kaum verständigen konnten, war ein solches Gespräch illusorisch.

Und auch über die anderen Fragen, die mich beschäftigten, war eine Unterhaltung nicht möglich. In Breslau ging ich dann einmal zur Synagoge, aber dort waren sie sehr abweisend. Um am Gottesdienst teilnehmen zu dürfen, müsse ich Mitglied der Jüdischen Gemeinde sein. Nun hatte ich die Unterlagen meiner Großmutter nicht dabei, die erkennen ließen, dass ich Jude bin. Ich wusste nicht, dass man hier, um einen Gottesdienst zu besuchen, erst einmal seine Jüdischkeit beweisen muss.

Im vergangenen Jahr wollte ich in Sofia zum zweiten Mal in die Synagoge gehen, doch da verlangte man das von mir ebenfalls. Also habe ich ihnen die Heiratsurkunde meiner Großmutter gemailt, in der neben der bulgarischen Staatsbürgerschaft als Volkszugehörigkeit »jüdisch« stand. Dann erst durfte ich den Gottesdienst besuchen, was bei meinem ersten Besuch noch ganz unproblematisch gewesen war.

WETTBEWERB Als ich 15 Jahre alt war, habe ich einen älteren Herrn aus Berlin kennengelernt, der mich als Organist unterstützen wollte. Er hatte übers Internet von mir erfahren, als ich die Wettbewerbe gewonnen hatte. Zunächst hatte mich dieser Herr in Kazanlak besucht, und zwei Jahre später kam ich, noch bevor ich studierte, zum ersten Mal nach Berlin.

Eigentlich wollte ich nach dem Abitur gleich in Berlin studieren, was aber aus finanziellen Gründen damals nicht möglich war. Nach meinem Grundstudium in Sofia und dem Erasmus-Stipendium in Polen habe ich endlich die Aufnahmeprüfung an der Universität der Künste (UdK) in Berlin gemacht. In Vorbereitung darauf durfte ich in einer Kirche in Charlottenburg üben. Die Kirchengemeinde hatte mir den Schlüssel anvertraut.

Als ich an einem Freitagabend dorthin kam, waren ganz viele Leute da und sagten, sie würden einen Gottesdienst abhalten. Das war, wie ich erfuhr, eine unabhängige jüdische Gruppe um den Rabbiner Akiva Weingarten, der aus einer ultraorthodoxen Familie in Brooklyn kommt, selbst aber mittlerweile liberal ist. Während des Gottesdienstes aber trägt er noch immer einen Strejmel. An diesem Abend war ein Kamerateam dabei, das alles aufnahm.

studium Für mich war das meine erste Begegnung mit Juden in Berlin. Einer von ihnen kam auch aus Bulgarien, und der nahm mich in die Gottesdienste der Synagoge Fraenkelufer mit. Im Juli 2020 bestand ich die Aufnahmeprüfung an der UdK, also mitten in der Pandemie, und im Oktober fing ich mit dem Studium an. Im Internet habe ich erfahren, dass es in der Synagoge Pestalozzistraße eine Orgel gibt.

Über Facebook habe ich Kontakt zum dortigen Kantor Isidoro Abramowicz aufgenommen. Als wir uns dann getroffen haben und ich seither regelmäßig die Gottesdienste in der Pestalozzistraße besuchte, hat er mich im vergangenen Jahr zu Sukkot eingeladen, die Orgel zu spielen. Danach habe ihn bei einem seiner Konzerte in einer Kirche in Bremerhaven begleitet.

Bei einem Workshop in Görlitz hatte ich eine jüdische Musikerin aus Amsterdam kennengelernt. Sie erzählte mir von der Organisation Taglit, mit der junge Juden eine kostenlose Reise nach Israel unternehmen könnten. Ich habe mich sofort online beworben und hatte dann ein Telefonat mit einer Mitarbeiterin. Sie sagte mir, ich müsse die Unterlagen einreichen, die meine jüdische Herkunft belegen. Danach habe ich einige Monate nichts mehr von denen gehört.

mischpoche Am Ende aber war ich dabei, und diese zweiwöchige Reise war unglaublich beeindruckend. Wir sind durch das ganze Land gereist, von der Wüste Negev bis zum Kinneret, wo wir einige Tage in einem Kibbuz verbracht haben. Dort habe ich mich auch mit einem Verwandten aus der Mischpoche meiner Großmutter getroffen.

Der Besuch unserer Gruppe in Jerusalem ist bis heute unvergesslich. Für mich sowieso, weil ich an der Kotel meine Barmizwa nachgeholt habe. Das war bei Chabad möglich, mit deren Hilfe ich Tefillin anlegte. Sie gaben mir Gebete, die ich in Richtung der Mauer gesprochen habe. Das habe ich ausschließlich für mich gemacht und es als mein Bekenntnis zum Judentum verstanden.

Das Ziel von Taglit ist es natürlich, die jüdischen Reisenden davon zu überzeugen, nach Israel zu übersiedeln. Ich muss sagen, bei mir hat das geklappt. Meine Zukunft nach dem Studium sehe ich tatsächlich in Israel. Derzeit aber bereite ich mich intensiv auf zwei wichtige Wettbewerbe vor – auf den Orava Organ Prix im slowakischen Dolný Kubín und auf den Internationalen Gottfried-Silbermann-Orgelwettbewerb, wofür die besten Nachwuchsorganisten aus aller Welt nach Freiburg und Dresden anreisen.

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