Porträt der Woche

In den Startlöchern

Tom Zer ist Basketballschiedsrichter und fängt bald in der Hightech-Branche an

von Philipp Fritz  03.08.2015 18:02 Uhr

»Wenn man Kinder hat, beschäftigt man sich anders damit, woher man kommt und wer man ist«: Tom Zer (26) aus Berlin Foto: Gregor Zielke

Tom Zer ist Basketballschiedsrichter und fängt bald in der Hightech-Branche an

von Philipp Fritz  03.08.2015 18:02 Uhr

Eigentlich war Basketball gar nicht meine Sportart. Als Junge fing ich an, Fußball zu spielen, wie viele Kinder überall auf der Welt. Auch andere Sportarten kamen für mich infrage. Als Teenager dann habe ich gemerkt, dass ich nicht das nötige Talent habe, um irgendwann einmal ein herausragender, professioneller Sportler zu werden.

Ich wollte aber etwas richtig machen oder gar nicht. Da ich jedoch nicht vollkommen aussteigen wollte aus meiner Sportroutine, traf ich eine vielleicht merkwürdig klingende, aber, wie ich finde, doch recht nachvollziehbare und konsequente Entscheidung: Mit 15 Jahren wurde ich Basketballschiedsrichter.

Basketball ist eine sehr populäre Sportart in Israel, ich musste also nicht lange überlegen. Es ist dynamisch, schnell und bietet Schiedsrichtern Möglichkeiten, stark auf den Spielverlauf Einfluss zu nehmen. Deswegen ist Basketball für mich interessant. Ich bin dabei geblieben – bis heute, mehr als zehn Jahre später.

Wochenenden Ich muss allerdings auch sagen, dass Fußball in Israel samstags gespielt wird und ich nicht alle meine Wochenenden damit zubringen wollte. Basketball wird in Israel, wie auch in Deutschland, unter der Woche nachmittags oder abends gespielt. Das gefiel mir besser. Damals dachte ich sogar, ich könnte hauptberuflich Schiedsrichter werden. Mein Lebensweg ist dann anders verlaufen. Heute sehe ich meine Tätigkeit als Schiedsrichter eher als Zweitberuf oder als Hobby, mit dem ich ab und zu etwas Geld verdiene.

Mal sehen, inwieweit ich meinem Hobby in nächster Zeit werde nachgehen können. Ich stehe gerade kurz davor, einen neuen Job anzunehmen, und zwar bei einem israelischen Start-up-Unternehmen hier in Berlin. Noch gibt es kein Büro, und es wird meine Aufgabe sein, eines aufzubauen. Das erfordert bestimmt viel Zeit. Es geht alles gerade sehr schnell. Ich habe meinen Master-Abschluss in International Business Management in Berlin-Schöneberg gemacht. Das Studienprogramm war zum Glück auf Englisch. Denn noch ist mein Deutsch verbesserungswürdig. Aber ich bin fleißig, nehme Unterricht und werde tatsächlich auch besser.

Für mich war es nicht unbedingt naheliegend, nach Deutschland zu ziehen und in Berlin zu studieren. Als ich vor zwei Jahren hierherkam, war ich tatsächlich das erste Mal überhaupt in Deutschland. Ich mag es einfach, neue Orte zu entdecken. Zuvor habe ich anderthalb Jahre in Australien gelebt und dann angefangen, nach einem passenden Master-Programm für mich zu suchen. In Berlin bin ich fündig geworden.

Natürlich ging es mir nicht nur um mein Studium. Berlin ist eine tolle Stadt! In Israel wurde dieses Thema heiß diskutiert, aber es ist nun einmal so, dass die Lebenshaltungskosten ein gutes Argument sind, hierherzuziehen. Natürlich wird auch in Berlin viel Geld ausgegeben, und bestimmte Dinge sind teuer, aber im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen ist die Stadt in diesem Sinne günstiger – auf jeden Fall preiswerter als Israel.

Joghurtbecher Ich bin zwei Monate vor der israelischen Debatte um den Berliner Joghurtbecher nach Berlin gekommen, und natürlich musste auch ich mir anhören, dass das der Grund gewesen sei: die Preise in Israel. Aber es ist nun einmal so, dass viele Menschen in Israel von Monat zu Monat leben und nichts beiseitelegen können. Das ist schade. Irgendwann will man sich ein anderes Leben aufbauen.

Berlin ist eine unfassbar lebendige und aufregende Stadt, rund um die Uhr gibt es hier etwas zu tun. Egal, ob man Museen, Theater oder Klubs mag, man kommt auf seine Kosten. Die Stadt ist bunt, multikulturell und international, viele Leute sprechen sehr gut Englisch. Das ist bequem, macht es mir aber nicht immer leicht, wenn ich Deutsch sprechen will.

Bevor ich nach Berlin kam, hatte ich keine Verbindung zu der Stadt oder zu Deutschland. Ich war neugierig und hatte Gutes gehört. Und dann wartete da natürlich mein Studienplatz. Das waren die Gründe. Es gibt Israelis, die haben deutsche Vorfahren, bei ihnen ist Deutschland ein großes Thema – anders als in meiner Familie.

familiengeschichte Mütterlicherseits stammt sie aus Russland: Meine Mutter und Großmutter kamen in den 70er-Jahren nach Israel, als die Grenzen der Sowjetunion eigentlich noch dicht waren. Aber einigen war es eben doch erlaubt, das Land zu verlassen. Der Großteil meiner Familie blieb in Russland, und andere Verwandte kamen dann in den 90er-Jahren nach Israel, wie viele Einwanderer aus den ehemaligen Sowjetstaaten zu dieser Zeit. Mein Vater hingegen wurde in Israel geboren, aber seine Familie stammt aus dem Iran. Ich bin also halb russisch, halb persisch.

Wie dem auch sei, ich bin gut in Berlin angekommen und kann hier sogar Basketballspiele als Schiedsrichter bestreiten. Auf einer so großen Veranstaltung wie den European Maccabi Games 2015 (EMG) in Berlin habe ich in der letzten Woche allerdings zum ersten Mal gepfiffen. Ich leitete sieben Spiele und war zudem als freiwilliger Helfer tätig, half also mit bei der Organisation.

Was ich am spannendsten bei den EMG fand, war, dass hier viele unterschiedliche Menschen aus 38 Ländern zusammenkamen. Es war wunderbar, all diese Menschen kennenzulernen und mein Netzwerk zu erweitern. Natürlich war mir auch die historische Dimension der Spiele in Berlin bewusst. Als ich Berlin ankam und anfing, gelegentlich als Schiedsrichter zu arbeiten, hatte ich noch kein deutsches Schiedsrichtertrikot und bin in meinem alten israelischen Trikot aufgelaufen. Das habe ich genossen und war sogar etwas stolz. Die anderen waren neugierig und haben gefragt, woher ich komme.

perspektiven Meine Familie ist nicht im Holocaust umgekommen, aber ich bin jüdisch und fühle schon etwas Besonderes dabei, dass die Spiele hier ausgetragen wurden. Es ist gut, dass ich hier bin, dass wir hier sind, uns zeigen und über die Vergangenheit triumphieren. Mir ist es wichtig, dass ich Israeli bin, so stelle ich mich meistens vor. Ich sage nicht sofort, dass ich jüdisch bin. Die EMG habe ich in erster Linie aus einer israelischen Perspektive gesehen. Dass die Europäischen Makkabi-Spiele in Berlin stattfanden, verschaffte der Veranstaltung sehr viel Aufmerksamkeit. Es ist unglaublich: Die Spiele waren fast so groß wie die Makkabiade in Israel. Das deutsche Team war das größte Team.

Auch wenn ich an den Spielen als Israeli teilnahm, so habe ich natürlich außerdem eine jüdische Identität – auch wenn ich nicht besonders religiös bin. Das letzte Mal war ich zur Barmizwa meines jüngeren Bruders in der Synagoge. Dennoch – in meiner Familie begehen wir viele Traditionen.

Religion ist schon wichtig, vor allem meiner Großmutter. Vielleicht wird Religion für mich in Zukunft eine größere Rolle spielen, wenn ich selbst eine Familie habe. Ich glaube, dass man anfängt, sich anders damit zu beschäftigen, woher man kommt und wer man ist, wenn man Kinder hat. Ich will aber gar nicht zu weit in die Zukunft blicken. Jetzt genieße ich es, mich während eines Spiels zwei Stunden lang voll und ganz auf etwas zu konzentrieren.

Sport ist für mich eine gute Therapie, eine Möglichkeit, etwas zu schaffen. Manchmal bin ich etwas faul, und mit Sport kann ich mich motivieren, etwas zu tun und in Bewegung zu kommen. Das mag vielleicht hochgestochen klingen, aber mit meiner Tätigkeit als Schiedsrichter lerne ich etwas für mein Leben.

Aufgezeichnet von Philipp Fritz

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