Umfrage

»Ich möchte helfen, wo ich kann«

Daniel Adler (20), Chemnitz, nun Israel
Ich besuchte gerade einen Mathe-Vorkurs an meiner Uni in Frankfurt, wohin ich vor Kurzem gezogen bin. Es sollte mein erstes Semester der Wirtschaftswissenschaften werden. Bis vor Kurzem leistete ich zwei Jahre lang meinen Militärdienst in Israel ab. Als ich die schlimmen Nachrichten aus Israel hörte, wurde mir sofort klar, dass ich mich freiwillig melden werde, um das Land zu verteidigen. Kurz darauf konnte ich mich auf den Weg machen. Am Sonntagabend war ich bereits bei meiner Basis angekommen. Ich möchte helfen, wo ich kann.

Rebecca Kahan (61), früher Köln, derzeit Israel
Gerade eben habe ich die schreckliche Nachricht gehört, dass ein Freund meines Sohnes getötet worden ist. Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll, denn es ist alles furchtbar. Ich sammle gerade Kleidung für die Soldaten und bereite Essen vor, damit sie versorgt sind. Als am Samstagmorgen die Sirene erklang, dachte ich erst, es sei eine Übung. Aber dann schaute ich Nachrichten. Seitdem lebe ich in einem Albtraum, aus dem ich aufwachen möchte. Es könnte sein, dass zwei meiner erwachsenen Söhne eingezogen werden. Mein Jüngster lebt in Australien. Meine mittlerweile verstorbenen Eltern haben die Schoa überlebt. Und nun werden wir wieder in unserer Existenz bedroht.

Dorina Sandberg (50), Frankfurt, derzeit Tel Aviv
Wir sind in Israel – und wir bleiben hier! Uns geht es gut. Wir wohnen mitten in Tel Aviv in einem Neubau mit Safe Room in der Wohnung. Zu unseren Gefühlen: Man wartet. Man ist sprachlos. Man trauert. Man hofft für die Betroffenen: dass die Soldaten wohlbehalten zurückkommen, und die vielen Vermissten und Verschleppten auch. Das ohnmächtige Gefühl dominiert, es bleibt nur Beten und Hoffen. Unser großer Sohn wurde erst jetzt nach seinem Studium gemustert. Der ist »sicher« – unser jüngerer Sohn, der in der Nahal-Brigade eine Spezialausbildung gemacht hat, studiert in Barcelona. Er wird voraussichtlich nicht eingezogen. Ich kann seine Gefühle verstehen, denn er hat gefallene, verletzte und vermisste Kameraden, und dennoch kann ich ihm als Mutter nicht die Worte sagen, die er gern hören möchte, nämlich, dass er fahren soll. Aber er weiß, dass wir jede seiner Entscheidungen unterstützen werden. Mir persönlich fällt es etwas schwer, diese Gefühle zu sortieren. Und wenn man die Bilder der Terroristen sieht, die an SS-Methoden erinnern: blutüberströmte junge Frauen, Mütter mit kleinen Kindern, brutal geschlagen, an Haaren gezogen, entführt, erschossen … dann kommt die Wut.

Jehuda Wältermann (57), Oldenburg, derzeit Israel
Im Moment bin ich noch hin- und hergerissen. Die Familie ist soweit in Sicherheit, bis jetzt. Mein ältester Sohn ist bereits eingezogen. Das Herumsitzen ist nichts für mich. Ich habe genug Wut im Bauch, um da mitmischen zu wollen. Die deutsche Presse muss die Bilder und Videos rauf und runter spielen, damit endlich Schluss ist mit der Mär vom hilflosen Palästinenser. Nur Euronews zeigt sprechende Bilder, der Rest benutzt widerlichen Euphemismus wie »Kämpfer« für Terroristen. Kämpfer hat etwas Heroisches. Was ist denn daran heroisch, Kinder abzuschlachten oder zu entführen, Frauen und Mädchen zu vergewaltigen und umzubringen und gezielt Zivilisten zu töten? Die Pro-Palästinenser rufen gern »Kindermörder Israel«, dabei sind sie selbst die Bestien. Die Welt muss die Bilder sehen. Und es muss Konsequenzen haben für jene, die in Berlin aus Freude an Mord und Schändung Süßigkeiten verteilen. In palästinensischen Schulen und Kindergärten wird den Kindern beigebracht, dass Juden böse sind und getötet werden müssen. Finanziert von Deutschland und der EU. Das ist die versteckte Fratze rechten Denkens. Deutschland macht sich nicht mehr selbst die Hände schmutzig, es finanziert stattdessen Kinderdrills vor Ort.

Yuriy Krokha (61), früher Berlin, nun Israel
Es ist keine Operation, es ist kein Terrorakt, es ist kein Angriff, es ist Krieg. Die Hamas ist über drei Wege eingedrungen: über das Meer, den Luftraum und am Boden. Mehr als 900 Tote, friedliche Zivilisten – das ist Krieg! Erst die Ukraine, meine Heimat, und nun meine Wahlheimat. Für das Deutsche Rote Kreuz war ich früher im Einsatz und lebte viele Jahre in Berlin. Ich fühle mich in Sicherheit im Norden Israels. Die Armee Israels ist eine der stärksten weltweit! Das bezweifle ich keine Sekunde. Die Soldaten trainieren hier und werden, wie nirgendwo anders, unterrichtet, und das sage ich als ehemaliger sowjetischer Veteran, der in Afghanistan diente. Ich würde mich und meine Veteranenfreunde sofort anschließen – sofort, ohne zu zögern! Ich weiß, wie es ist, im Krieg zu dienen. Ich würde meiner Wahlheimat Israel sofort dienen. Ich wünsche mir, dass Israels Armee die volle Wucht an Antwort gibt – für die Gräueltaten, die hier der Zivilbevölkerung gerade widerfahren.

Tamara Ikhaev-Spraragen (22), Israel, derzeit Frankfurt
Ich klebe an meinem Handy. Vor Kurzem bin ich aus Israel zurückgekehrt, wo ich seit Monaten lebe. Nun möchte ich mein Studium in meiner Heimatstadt Frankfurt abschließen. Mein Mann ist noch in Israel – und es geht mir sehr schlecht damit in dieser Situation. Ich habe Angst um ihn, seine Familie und unsere Freunde, die in Israel leben. Er sitzt mit im Bunker. Mit Stühlen haben sie die Hauseingänge verbarrikadiert. Wenn ich mit ihm telefoniere, dann höre ich manchmal die Sirenen heulen. Ich habe ihn gebeten, dass er sich so oft wie möglich bei mir meldet und mir ein Update gibt. Mein Bruder hat drei Jahre seinen Militärdienst bei einer Spezialeinheit in Israel geleistet und ist erst im August nach Deutschland zurückgekehrt. Er wartet derzeit auf den Anruf, dass er kommen kann, denn er möchte unbedingt. Meine jüngeren Geschwister, meine Eltern und ich sind besorgt – und uns ist zum Weinen aus Sorge. Die Hamas tötet wahllos – unter den Opfern sind auch Araber.

Lilian Tichauer (76), Berlin, derzeit Israel
Ich traue mich nicht mehr vor die Tür. Aber in Tel Aviv war ich allein, weshalb ich beschlossen habe, zu einer Freundin zu fahren, die etwas weiter weg wohnt. Derzeit bemühe ich mich, einen Flug nach Deutschland zu bekommen. Vor zwei Wochen, kurz nach Jom Kippur, war ich nach Israel gereist, um hier einige Wochen zu verbringen. Nun haben nur noch die Supermärkte und die Apotheken geöffnet, die Cafés und Restaurants sind geschlossen; es wird geraten, nicht auf die Straße zu gehen. Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen wird. Die Situation ist schlimm und unerträglich. Meine Freundin packt gerade Essen ein, um es den Soldaten zu spenden, die nun zur Verteidigung ausrücken. Viele Israelis helfen, stehen an den Straßen, um Essen und Wasser zu reichen. Ich habe Geld gespendet.

Shoshannah Fuss (69), früher Berlin, nun Tel Aviv
Es ist eine schreckliche Situation, ich sehe kein Ende. Mein Mann und ich sitzen zu Hause und schauen fern. Wir sind im Krieg, jeden Morgen sehen wir die Toten, darunter Frauen und kleine Kinder. Das ist unmenschlich. Die Eltern meines Mannes sind einst vor den Nazis aus Berlin ins frühere Palästina geflohen. Wir wiederum lebten lange Zeit in Berlin. Derzeit sind wir in Tel Aviv. Die Terroristen der Hamas sind schlimm. Ich traue mich nicht mehr vor die Tür. Mein Mann war gerade im Supermarkt und berichtete, dass kein Mensch auf der Straße ist. Wir haben keine Lust, irgendetwas zu machen. Wir sind 24 Stunden in Sorge. In Tel Aviv fühlen wir uns sicher. Aber wir sehen, was an der Grenze passiert. Es ist unglaublich.

Judith Neuwald-Tasbach (63), Gelsenkirchen
Ich bin – wie die ganze jüdische Gemeinschaft in aller Welt – sehr extrem betroffen darüber, wie Menschen anderen Menschen so etwas absolut Grausames und Unmenschliches antun können! Ich habe eine weit verzweigte Familie – verteilt in ganz Israel – und einige Freunde, und ich mache mir so große Sorgen um deren Sicherheit! Dazu kommt, dass einige beim Militär und einige als Reservisten eingezogen worden sind, und man weiß nicht, wie es ihnen ergehen wird. Ich bin die Tochter von Holocaust-Überlebenden und frage mich, ob der jahrtausendealte, grausame Judenhass niemals aufhören wird. Diese Frage tut mir weh, man möchte doch endlich als Jude in Frieden leben können! In Israel und überall auf der Welt.

Sarah Cohen-Fantl (35), Berlin
Der 7. Oktober 2023, Simchat Tora 5784, hat diese – unsere – Welt für immer verändert. Wir werden überleben, wie wir immer überlebt haben, doch wir werden nie mehr sein, wie wir waren. Auf ewig verbunden in unserem Trauma. Wir sind eins. Wir waren immer eins. Und wir werden immer eins sein. Dabei sind wir so verschieden. Im Aussehen. Im Glauben. Im Beten. Im politischen Gerangel. Beim Essen. Doch wir sind eins. Wir streiten laut und leise. Wild und unnahbar. Alle stolz, alle stark. Jeder mit seinen eigenen Stärken, die unsere Nation zum funkelndsten Stern am Himmel des Nahen Ostens machen. Wir sind so verschieden, doch in unserem Leid verbunden. Menschen, die sich noch nie begegnet sind, zerspringt die Brust vor Schmerz, der Atem, der die Lungen nicht mehr ausfüllt, das Wissen, dass das Gesehene nie wieder vergessen werden kann, die schmerzlich pochenden Schläfen, die Sorge um unsere mutigen Beschützer, die ihr Leben für unsere Zukunft geben. Wenn wir die Augen schließen, um für einen kurzen Moment dem bestialischen Morden, den angstverzerrten Gesichtern, den Hilferufen, den Allahu-Akbar-Schreien, den hilflosen Eltern und den ausgelieferten Kindern zu entkommen, dann werden wir gejagt von ebendiesen. Gemeinsam liegen wir wach und denken an diejenigen, die wir nach Hause holen wollen, müssen.

Slava Pasku (48), Gelsenkirchen
Wir alle tragen tiefes Leid und Trauer in uns. Ich habe Verwandte und Freunde, die in Israel leben. Sie verstecken sich alle in Bunkern und hoffen, dass der Krieg endet und es nicht noch mehr Tote gibt. Viele Männer wurden in die Armee zurückgerufen, um für ihr Land zu kämpfen. Inmitten von Tragödien und menschlichem Leid hoffe ich auf ein Ende des Terrors und auf Frieden. Anfang der Woche hat die jüdische Gemeinde in Gelsenkirchen zusammen mit der Initiative gegen Antisemitismus Gelsenkirchen eine Gedenkmahnwache veranstaltet, um unser Mitgefühl und unsere Solidarität mit den Opfern sowie allen Betroffenen antisemitischer Gewalt zum Ausdruck zu bringen und ein starkes Signal gegen Krieg und Terror zu senden. Besonders wichtig ist es in der jetzigen Situation, Präsenz zu zeigen! Das Volk Israel wird kämpfen und siegen.

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