Porträt

»Ich mag Powerfrauen«

Will ein Miteinander in starken Gemeinden: Vera Szackamer Foto: Christian Rudnik

Porträt

»Ich mag Powerfrauen«

Vera Szackamer ist Therapeutin, Dezernentin für Bildung und Jugend im Zentralratspräsidium – und eine Akteurin, die gerne klare Ansagen macht

von Katrin Diehl  18.07.2016 19:18 Uhr

Vera Szackamer schickt manchmal Sätze in die Welt, die haben etwas von einem kleinen Theaterstück. Nach einem kraftvollen Anlauf hängen sie unvollendet in der Luft, bevor die beiden Hände die Fortsetzung übernehmen, manchmal der ganze Körper. Engagement lässt sich schwer bannen, auch schwer in Worte fassen.

Vera Szackamer ist ein Mensch, der handelt, selbst wenn er redet. Zedaka, Wohltätigkeit, ist kurz und bündig Teil ihres Alltags. »Das habe ich einfach in den Genen.« Punkt. »Ich mag Powerfrauen.« Punkt. »Ich bin nicht Mund, sondern Ohr und Hand.« Punkt. Selbstverständliches zu erklären, ist nicht ihr Ding, auch wenn sie die Notwendigkeit dafür kennt. Zudem ist Vera Szackamer eine Frau mit Prinzipien. »Manches gehört sich einfach nicht«, findet sie – wie zum Beispiel, andere warten zu lassen oder ständig aufs Handy zu schielen.

Prinzipien Aber auch ganz Banales klingt bei ihr wie eine Ansage: »Ich trinke immer Cola.« Punkt. Prinzipien bringen schließlich Ordnung und Struktur ins Leben: »Je mehr man macht, umso mehr schafft man«, sagt sie mit ihrer angenehm sonoren Stimme, und schon scheint Raum geschaffen für den nächsten Einsatz.

Szackamer, 1952 in Köln geboren, gehört seit etwa 20 Jahren in unterschiedlichen Funktionen dem Zentralrat der Juden in Deutschland an, der größten Dachorganisation der jüdischen Gemeinden und Landesverbände in Deutschland. Seit 2014 ist sie wieder, wie schon einmal unter Dieter Graumann, zusammen mit acht anderen Männern und Frauen ins Präsidium gewählt worden – mit Josef Schuster als Präsident an der Spitze.

politik »Josef Schuster vertritt uns ganz hervorragend nach außen«, sagt sie. Das sei von größter Wichtigkeit »in Zeiten des offenen wie versteckten Antisemitismus, der Diffamierung Israels und des Rechtsrucks innerhalb einiger europäischer Gesellschaften«. Viele aktuelle Ereignisse machen ihr Sorgen: »Wenn Menschen über Rechtsparolen vergessen zu denken, dann ist das eben äußerst gefährlich.« Sorgen ist ein Wort, das Vera Szackamer sich gerade noch erlaubt, während ihr das Wort »Probleme« weitaus weniger gefällt: »Probleme sind Herausforderungen.«

Vera Szackamer lebt mit ihrem Mann in München, hat zwei erwachsene Kinder und ein Enkelkind. Sie hat Sozialpädagogik studiert und ist ausgebildete Familientherapeutin. »Da liegt es doch nahe, dass ich mich einbringe!« Im Präsidium des Zentralrats der Juden ist sie Dezernentin für Bildung und Jugend.

Überlebende Und sie ist Tochter von Überlebenden. Der Vater aus Polen war nach Sibirien verbannt worden, die Mutter hat Auschwitz überlebt. Vera wurde traditionell jüdisch erzogen – und hat schon als Mädchen eine Kultur des Gebens erfahren: »Es gab bei uns keinen Menschen in Not, der ohne etwas gegangen wäre, es gab keinen Freitagabendtisch, an dem nicht auch ein Gast gesessen hätte, der vielleicht froh darüber war.« Der religiöse Vater erklärt den Kindern vieles, nimmt den Talmud zur Hand. »Da war einiges dabei, was mich damals nicht wirklich interessiert hat, aber heute taucht es ab und zu wieder in meinem Kopf auf und hilft mir weiter.«

Dass Vera Szackamer Herausforderungen annimmt, dass ihr die jüdische Gemeinschaft ein Anliegen ist, hat vielleicht am meisten mit der Lebensgeschichte ihrer Eltern zu tun, die sie von der eigenen nicht trennen kann: »Der Krieg war vorbei, und mein Vater hat die jüdische Gemeinde in Köln mit aufgebaut.« Das bewundert sie.

Als junge Frau war Vera Szackamer im Frauenverein Ruth und hat unzählige Krankenbesuche im Münchner Elternheim gemacht, »da waren meine kleinen Kinder noch mit dabei«. Bis heute besucht sie die alten Leute. (»Für die bin ich einfach die Vera.«) Sie ist auch im Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.

Glück »Es ist wichtig, etwas mitgestalten zu können, etwas zu machen, auch für unsere Kinder und Enkelkinder. Und wenn man dazu fähig ist, dann darf man das ruhig als Glück bezeichnen«, sagt sie. Für ihre Arbeit im Präsidium des Zentralrats hat Vera Szackamer den eigenen Beruf »zurückgeschraubt«, und wieder nennt sie es »Glück«, dass ihr das möglich ist.

Als Dezernentin für Bildung ist sie mit der Bildungsabteilung im Zentralrat, die es seit 2013 gibt, auf Tuchfühlung, »eine ganz wichtige Sache, die wir unter Dieter Graumanns Leitung auf die Beine gestellt haben«. Sie freut sich über große Tagungen mit interessanten Themen, Seminare für Haupt- und Ehrenamtliche der Gemeinden, die Sommerakademie für Studenten. Thematisch orientiert man sich an den Schwerpunkten jüdische Erziehung, Integration, innerjüdischer Dialog, der Stärkung Israels und dem Kampf gegen Antisemitismus.

Religionsunterricht Als Dezernentin für Bildung ist Vera Szackamer auch mit der Ausarbeitung der Lehrpläne für jüdische Schulen und den jüdischen Religionsunterricht befasst, »und da sind wir wirklich schon einen großen Schritt vorangekommen«, wozu zum Beispiel Lehrerfortbildungsprogramme, Lehrerkonferenzen, die Vernetzung der Pädagogen untereinander gehörten, aber auch »unser Lehrbuch Ethik im Judentum«.

Worum man sich in nächster Zeit, was jüdische Erziehung anbelangt, besonders bemühen wolle, ist, »dass wir über die Kinder auch die Eltern mitnehmen«. Junge Eltern habe das Arbeitsleben voll im Griff. Da sei kaum Zeit übrig, und trotzdem müsse man es schaffen, sie mit ins Programm zu holen. Als Dezernentin für Jugend zählt Vera Szackamer an ihren Fingern die laufenden Projekte ab, von denen viele in Kooperation mit der Zentralwohlfahrtsstelle (ZWST) laufen: »Israelreisen, Taglit, Studentenprogramme, das Großereignis Jewrovision und und und ...« Die Finger reichen nicht aus.

Jugendkongress Im Frühjahr hatte Vera Szackamer in Frankfurt den Jugendkongress von Zentralrat und ZWST zum Thema »islamischer Fundamentalismus« eröffnet. »Was in der Gesellschaft läuft, kommt bei uns an«, sagt sie, um nachzuschieben: »kommt besonders bei uns an«. Trotzdem sei es ein frohes Zusammentreffen von jungen Menschen gewesen, die ihr Judentum als etwas Positives empfinden.

Vera Szackamer erkennt Kreise, die sich schließen – im Leben wie bei ihrer Arbeit. Zu den Jungen gehören auch die Alten, unter ihnen viele Zugewanderte. In einer Kommission des Zentralrats setzt sie sich für deren Integration und für Rentengerechtigkeit ein, will die betagten Menschen vor Altersarmut schützen, will ein Miteinander in starken Gemeinden und denkt dabei an ihre Eltern, »die sich nach dem Krieg auch irgendwie finden mussten«. Und wieder schließt sich ein Kreis.

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