Porträt der Woche

»Ich brauche den Input«

»Ich werde immer einer Mischung aus verschiedenen Aktivitäten und Tätigkeiten nachgehen«: Regina Potomkina (31) aus Frankfurt

Porträt der Woche

»Ich brauche den Input«

Regina Potomkina ist Grafikdesignerin, studiert Kunst und liebt Surrealismus

von Eugen El  10.08.2025 08:22 Uhr

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Gezeichnet habe ich schon im Kindergarten in der Ukraine – hübsche Kleider und was man eben als kleines Mädchen zeichnet. Als Jugendliche hatte ich großen Spaß an Manga und Anime. Heute male ich hauptsächlich. Dabei inspiriert mich vor allem der Surrealismus, weil er Gegenstände, Menschen, Körperteile und Symbole auf eine Weise kombiniert, die so in der Welt nicht vorkommt.

Geboren wurde ich 1993 in der ukrainischen Stadt Chmelnyzkyj. Sie liegt näher an Lwiw als an Kyjiw. Im Jahr 2000, als ich knapp sieben war, sind wir mit meiner Mutter und ihren Eltern nach Deutschland gekommen. Mein Vater ist in der Ukraine geblieben und dort gestorben. Wir landeten in Schwalmstadt-Treysa, einem ziemlich kleinen Städtchen in Nordhessen. Meine Mutter und meine Oma leben weiterhin dort. Jüdische Community gab es damals im Schwalm-Eder-Kreis kaum. Die nächstgelegene jüdische Gemeinde ist in Kassel.

Ich hatte eine ziemlich gute Schulzeit

Ich hatte eine ziemlich gute Schulzeit mit einem gemischten, wenn auch nicht jüdischen Freundeskreis. In meinem Jahrgang gab es einen weiteren jüdischen Jungen, mit ihm war ich aber nicht befreundet. Ich war eine gute Schülerin. Wir haben viele Klassenfahrten gemacht, auch ins europäische Ausland. Das fand ich immer cool. Wir waren zwar Gemeindemitglieder in Kassel, das Angebot für Jugendliche war aber nicht sonderlich lebendig.

Auf Machane war ich wiederum kein einziges Mal, weil meine Mutter damals nicht wusste, dass man als Sozialhilfeempfänger Vergünstigungen bekommen konnte. Mein erster Berührungspunkt mit junger Jüdischkeit war 2013 »Taglit« – ich war 19, hatte mein Abi in der Tasche und reiste zum ersten Mal nach Israel.

In meiner Kunst interessieren mich Dinge aus meiner Kindheit und Jugend.

Es war schön, das Land zu besuchen, auch weil ich immer im Hinterkopf hatte, dass mein Opa eigentlich lieber dorthin ausgewandert wäre als nach Deutschland. Mein Großvater war ein bisschen religiös. Die Reise bot sehr viele Eindrücke. Weil ich kaum zum Schlafen kam, hätte ich den Aufstieg nach Masada eines Morgens fast verweigert! Einen meiner heute besten Frankfurter Freunde habe ich damals kennengelernt.

In meiner Familie bekam ich nicht viel Wissen über das Judentum vermittelt. An Pessach aßen wir zwar Mazze, ansonsten habe ich aber wenig mitbekommen. Jüdischkeit war etwas, das auf der Geburtsurkunde steht – auch in meiner steht unter Nationalität »Jude«. Es war also eher eine Identität. In der Schulzeit in Deutschland bin ich offen mit meiner Jüdischkeit umgegangen – und es wurde immer auch positiv aufgenommen. Die Mitschüler und Lehrer fanden es interessant.

2013 zog ich nach Frankfurt, um Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Im Rahmen des Bachelorstudiums konnte ich für ein Auslandssemester nach St. Petersburg gehen – damals war Russland noch cool. Es war eine richtig gute, spaßige Zeit! Dort war ich beispielsweise bei Hillel, und ich habe mir die Petersburger Synagoge angeschaut. Aber es waren zeitweise minus 30 Grad dort – mein nächstes Auslandssemester wollte ich daher lieber in einer Stadt mit Strand machen.

Jüdischkeit war etwas, das auf der Geburtsurkunde steht

Mein BWL-Masterstudium begann ich ebenfalls in Frankfurt. In dieser Zeit ging ich für ein Semester nach Tel Aviv. Dann habe ich ein »Masa«-Programm angehängt – und erst durch dieses Jahr in Tel Aviv kam ich so richtig auf den Geschmack, was Jüdischkeit angeht.Außer meiner Mutter und den Großeltern sind in den 90ern sämtliche Verwandten aus der Ukraine dorthin gezogen. Ich konnte also viel Zeit mit ihnen verbringen und sie besser kennenlernen.

Das Jüdischsein war für mich in Israel gar nicht so präsent, weil es dort selbstverständlich ist. In Israel lernte ich meinen Ex-Freund kennen, und über ihn kam dann viel: Wenn man lange mit einem Israeli zusammen ist, hinterlässt das Spuren. Seine Familie war auch ein bisschen religiös, wodurch ich stärker in Berührung mit gelebtem Judentum kam.

In dieser Zeit lernte ich auch Hebräisch – zuerst in einem Ulpan an der Uni. Meine Lehrerin war sehr cool! Am Anfang fiel es mir schwer, weil Iwrit etwas komplett anderes ist als die Sprachen, die ich vorher gelernt hatte. Doch irgendwann fand ich einen Zugang. Ich finde es wichtig, diese Sprache zu lernen.

Homeoffice und Arbeit auf Abruf

Nach meiner Rückkehr aus Israel und meinem Masterabschluss fing ich einen Job im Marketingbereich an – und dann kam Corona. Nach kurzer Zeit musste ich auf Homeoffice und Arbeit auf Abruf umsteigen. Mein Freund zog damals nach Deutschland, und darüber kam ich stärker in Kontakt mit der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, weil er auch hier sein Judentum leben wollte.

Während der Pandemie fasste ich den Entschluss, Grafikdesign zu studieren. Das vollständig digitale Studium absolvierte ich an der DIPLOMA Hochschule und schloss es 2024 ab. Während dieses Studiums sah ich, dass die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland einen freiberuflichen Mediengestalter suchte – und bewarb mich, ohne mir viel zu erhoffen. Aber es hat geklappt, und kaum ein Jahr später bot mir die ZWST eine Stelle als Social-Media-Manager an. Jetzt bin ich schon seit über drei Jahren dort. Ich mag diesen Job und meine Kollegen sehr. Es macht Spaß.

Im Zuge der Trennung von meinem Freund entschloss ich mich zur Bewerbung an mehreren Kunsthochschulen. In Kassel hat es geklappt. Dort studiere ich seit drei Jahren Bildende Kunst bei Dierk Schmidt, Professor für Malerei. Meine Aufnahmeprüfung war just an dem Tag, als bei der »documenta fifteen« das Banner »Peopleʼs Justice« auf dem Kasseler Friedrichsplatz verhangen worden war.

Während der Prüfung diskutierte ich mit einem Professor darüber, warum ich die documenta nicht besuchen mochte. Ich sagte, dass ich dieses Bild nicht sehen wolle, weil ich es nicht ausstellenswert fände. Der Professor fragte mich daraufhin, ob ich mir ein Bild nicht angucken würde, nur weil der Künstler vielleicht ein sehr unangenehmer Mensch sei. Letztlich schien ihn die Diskussion überzeugt zu haben, mich aufzunehmen.

Von meinem Großvater inspiriert

An der Kasseler Kunsthochschule habe ich eine ganz gute Klasse erwischt. Im Gebäude findet man zwar hier und dort einen Wassermelonenaufkleber – ein Symbol für den öffentlichen Ausdruck der Palästinenser in Protesten und Kunstwerken. Und es gibt eine aus dem Libanon stammende Professorin, die problematische Positionen vertritt und Künstler mit ebensolchen Positionen einlädt. Aber ich konnte das bislang gut umschiffen und hatte keine diesbezügliche Konfrontation. Ein Mitglied der Jüdischen Hochschulgruppe Kassel hat hingegen die Kunsthochschule verlassen, nachdem er sehr viel Antisemitismus erlebt hatte.

Auf einem meiner Gemälde sieht man eine Aloe vera, die wir aus der Ukraine nach Deutschland mitgebracht haben.

In meiner Kunst interessieren mich unter anderem Gegenstände, die ich aus meiner Kindheit und Jugend kenne. Auf einem meiner Gemälde sieht man eine Aloe vera, die wir aus der Ukraine nach Deutschland mitgebracht haben. Die Pflanze, die bis heute bei meiner Mutter wächst, ist ein Nachkömmling jener Aloe vera aus Chmelnyzkyj. Und man sieht Personen, teils in Verbindung mit Sätzen aus Dialogen, die mir in Erinnerung geblieben sind.

Vergangenes Jahr habe ich ein Bild gemalt, das von meinem Großvater inspiriert war. Darauf ist eine Jacke mit Geheimtaschen zu sehen, in denen sich ein Siddur, ein Stück Speck und eine Flasche selbst gebrannter Wodka verbergen. Diese Gegenstände verbinde ich mit Opas Synagogenbesuchen.

Es ist nicht mein Ziel, dass meine Gemälde verstanden werden

Auf anderen Bildern sieht man auch eine Mesusa oder Mazze-Stückchen. Wenn man als Betrachter keinen jüdischen Kontext hat, dann versteht man meine Bilder nicht unmittelbar. Es ist aber auch nicht mein Ziel, dass meine Gemälde verstanden werden. Es geht mir eher darum, Bilder, die mir in den Kopf kommen, auf eine Leinwand zu bannen, damit ich sie wieder aus dem Kopf kriege. Im Wintersemester 2024/25 habe ich an Jossef Krispels Malereiseminar an der Jüdischen Kunstschule Berlin teilgenommen. Im Februar war ich Teil der Abschlussausstellung – mein Gemälde zeigte einen Snack-Automaten, gefüllt mit Gegenständen, die ich mit israelkritischen Protesten verbinde.

In den kommenden Jahren will ich mein Kunststudium abschließen. Danach werde ich mich nicht vollständig der Kunst widmen, um nicht komplett abgeschottet im Atelier leben zu müssen. Ich brauche den Input aus dem Zusammensein mit anderen Menschen. In meinem Leben werde ich immer einer Mischung aus verschiedenen Aktivitäten und Tätigkeiten nachgehen.

Aufgezeichnet von Eugen El

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