Stuttgart

Hilfe in der Not

Mit Israelfahnen: Bei »Hevenu Schalom Alechem« stimmen alle ein. Foto: Elke Rutschman

Das Ambiente im Gemeindesaal der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs in Stuttgart (IRGW) ist einladend. Tische und Wände schmücken israelische Fahnen, die blauen Servietten sind farblich darauf abgestimmt. 120 Gäste sind der Einladung zur Magbit-Eröffnung des Keren Hayesod, der weltweiten Hilfsorganisation, gefolgt.

Dabei sind auch zahlreiche Mitglieder der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) und deren Vorsitzende Bärbel Illi sowie die beiden Stadträte Laura Halding-Hoppenheit (Die Linke) und Aytekin Celik (Bündnis 90/Die Grünen). Martin Widerker, der Vorsitzende des Keren Hayesod Württemberg, bereitet seinen Gästen mit zahlreichen Helfern einen ansprechenden Abend. Musikalisch werden die Gäste von Liat Izhaki und Adi Hayat auf die Spendenveranstaltung eingestimmt.

Keren-Hayesod-Vorsitzender Martin Widerker beschreibt die angespannte Lage im Nahen Osten.

Bei seiner Begrüßung geht Widerker auf die Bedeutung von Keren Hayesod für Israel und die komplizierte und angespannte Lage im Nahen Osten ein. Dieser Tage konzentriere sich die sicherheitspolitische Diskussion in Israel auf diverse Bedrohungen: den Machtzuwachs der Hisbollah im Libanon, das Vorrücken des Iran in Syrien, die Unruhen in Gaza.

Raketen Ehrengast des Abends ist Uwe Becker, Bürgermeister und Stadtkämmerer in Frankfurt und seit April dieses Jahres Antisemitismusbeauftragter des Landes Hessen. Und schnell wird klar: Uwe Becker ist ein Freund des jüdischen Staates. »Israel ist für uns in Deutschland sehr weit weg – nicht nur geografisch«, sagt Becker. Es sei kein normales Leben, das die Menschen dort führen. Der Alltag ist immer wieder geprägt von Raketen- und Terrorangriffen – der Weg in den Bunker, wenn die Sirenen ertönen, gehört zum Alltag.

Vergangene Woche wurden aus dem Gazastreifen binnen 48 Stunden 400 Raketen abgefeuert. Um seine Solidarität zu zeigen, reiste Becker für einen Tag nach Israel. In seiner Rede stellt er deshalb unbequeme Forderungen und wünscht sich nicht nur von Außenminister Heiko Maas und der Bundesregierung, sondern von ganz Europa mehr Unterstützung für Israel.

Keren Hayesod hilft Neueinwanderern, sich zu integrieren.

Es sei im Interesse der EU, sich hinter Israel zu stellen. Der 50-Jährige fordert auch einen kritischen Umgang mit der Organisation BDS (Boycott, Divestment and Sanctions), die 2005 gegründet wurde und dazu aufruft, Waren aus Israel zu boykottieren, nicht in das Land zu investieren und keinen kulturellen Austausch zu pflegen. BDS stellt das Existenzrecht des Landes infrage.

Dass der Antisemitismus in Deutschland wieder in die Mitte der Gesellschaft gerückt ist, sieht Becker auch in der Rhetorik der AfD begründet. Er registriert in der Bundesrepublik Antisemitismus von rechts, links und von Islamisten, mit den immer gleichen Klischees und Stereotypen.

Natürlich müsse es erlaubt sein, das Handeln von israelischen Politikern zu kritisieren, sagte Becker. Aber wenn daraus eine grundsätzliche Israelkritik wird, verwischen für Becker die Unterschiede zwischen legitimer Kritik und Antisemitismus.

Der Antisemitismusbeauftragte engagiert sich als Präsident der Freunde der Tel Aviv University und als Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft schon lange für das Land.

Staatsgründung Die Menschen in Israel wachsen seit der Gründung vor 71 Jahren damit auf, dass sie ihr Land verteidigen müssen. Und doch haben sich Millionen dafür entschieden, dort zu leben. Und es kommen immer wieder neue Einwanderer hinzu. Hier kommt die internationale Organisation Keren Hayesod ins Spiel, die den jüdischen Neubürgern dabei hilft, sich zu integrieren.

20 Millionen Dollar wurden in den vergangenen Jahren für rund 6000 Neubürger gespendet.

Rund 20 Millionen Dollar sind laut Erez Manhaimer, Regionaldirektor von Keren Hayesod Europa, in den vergangenen Jahren für rund 6000 Neubürger gespendet worden. Die Bandbreite der Projekte ist groß – sie reicht von der Unterstützung der Holocaustopfer über computergestützte Lernprogramme für Kinder mit Behinderung bis hin zur Hilfe für sozial Benachteiligte in Israel.

Ein weiterer wichtiger Pfeiler von Keren Hayesod ist es, den Opfern von Terroranschlägen in Zusammenarbeit mit der Jewish Agency zu helfen. Frauen, Männer und Kinder erleiden bei Anschlägen nicht nur schwere Verletzungen, sondern geraten in finanzielle Not, weil sie von jetzt auf gleich aus ihrem alltäglichen Leben gerissen worden sind.

Hier greift der Soforthilfezuschuss von 1000 Euro. Bei Kindern führen die Anschläge zudem zu traumatischen Erlebnissen. Erez Manhaimer nennt das Beispiel eines kleinen Jungen, der von Albträumen verfolgt wurde und mithilfe einer Reittherapie zurück ins Leben gefunden hat.

westjordanland Berührend ist auch der Fall von Asael Shabo. Im Juni 2002 wurde das Haus seiner Familie im Westjordanland von arabischen Terroristen überfallen. Mutter Rachel und drei der Geschwister wurden dabei getötet. Er, zwei Schwestern, ein Bruder und sein Vater überlebten. Der neunjährige Asael hatte sich während des Überfalls tot gestellt, 45 Minuten lang.

Asael Shabo verlor sein rechtes Bein bei einem Angriff auf seine Familie im Westjordanland.

Er verlor sein rechtes Bein, das Knie war von neun Kugeln zertrümmert. Doch er gab nicht auf. Sport und die Unterstützung von Keren Hayesod halfen ihm, seine Geschichte zu bewältigen. Erst ist er geschwommen und hält noch immer den Rekord über 50 Meter Freistil. Vor neun Jahren wechselte er zum Basketball und spielte bis vor Kurzem als Rollstuhlbasketballer bei den BG Baskets in Hamburg. Sein bester Freund in der Mannschaft ist Alireza Ahmadi – ein Iraner.

Den eher nachdenklichen Worten folgt dann der ausgelassene Teil des Abends. Das Buffet wartet mit Pita, Hummus, Falafel, Petersiliensalat und Couscous sowie Rot- und Weißwein auf. Die Gäste tanzen und singen Lieder wie »Hevenu Schalom Alechem« oder »Lu Jehi« mit. Und es wird natürlich auch gespendet: 45.000 Euro kommen für weitere Projekte von Keren Hayesod zusammen.

Porträt der Woche

»Musik war meine Therapie«

Hagar Sharvit konnte durch Singen ihre Schüchternheit überwinden

von Alicia Rust  15.07.2025

Berlin

Gericht vertagt Verhandlung über Lahav Shapiras Klage gegen Freie Universität

Warum die Anwältin des jüdischen Studenten die Entscheidung der Richter trotzdem als großen Erfolg wertet. Die Hintergründe

 15.07.2025 Aktualisiert

Andenken

Berliner SPD: Straße oder Platz nach Margot Friedländer benennen

Margot Friedländer gehörte zu den bekanntesten Zeitzeugen der Verbrechen der Nationalsozialisten. Für ihr unermüdliches Wirken will die Berliner SPD die im Mai gestorbene Holocaust-Überlebende nun sichtbar ehren

 15.07.2025

Bonn

Schoa-Überlebende und Cellistin Anita Lasker-Wallfisch wird 100

Sie war die »Cellistin von Auschwitz« - und später eine engagierte Zeitzeugin, die etwa vor Schülern über ihre Erlebnisse unter dem NS-Regime sprach. Jetzt feiert sie einen besonderen Geburtstag

von Leticia Witte  15.07.2025

Würdigung

Er legte den Grundstein

Vor 100 Jahren wurde Simon Snopkowski geboren. Zeitlebens engagierte sich der der Schoa-Überlebende für einen Neubeginn jüdischen Lebens in Bayern

von Ellen Presser  14.07.2025

München

Im Herzen ist sie immer ein »Münchner Kindl« geblieben

Seit 40 Jahren ist Charlotte Knobloch Präsidentin der IKG München. Sie hat eine Ära geprägt und das Judentum wieder in die Mitte der Gesellschaft gerückt

von Christiane Ried  14.07.2025

Jubiläum

Münchner Kultusgemeinde feiert Wiedergründung vor 80 Jahren

Zum Festakt werden prominente Gäste aus Politik und Gesellschaft erwartet

 14.07.2025

Berliner Ensemble

Hommage an Margot Friedländer

Mit einem besonderen Abend erinnerte das Berliner Ensemble an die Zeitzeugin und Holocaust-Überlebende. Pianist Igor Levit trat mit hochkarätigen Gästen auf

 14.07.2025

Reisen

Die schönste Zeit

Rom, Balkonien, Tel Aviv: Hier erzählen Gemeindemitglieder, an welche Urlaube sie sich besonders gern erinnern

von Christine Schmitt, Katrin Richter  13.07.2025