Rottweil

Hilfe für Daniel

Die Diagnose 2015 war niederschmetternd. Sergejs und Jele­nas Sohn Daniel hat eine schwere Krankheit und wird möglicherweise sein 18. Lebensjahr nicht erreichen. Wie schafft man es in einem solchen Zustand von der Arztpraxis nach Hause? Von einer »ernst zu nehmenden Krankheit« sprach der Kinderneurologe. »Das war hart. Ein Schock«, sagt Sergej Kamylin aus Villingen. Seine Frau Jelena und er konnten vor Kummer nicht mehr schlafen, es steckte ihnen regelrecht in den Knochen.

Noch schlimmer wurde es, als sie im Internet Informationen über die Krankheit fanden. »Da wurde uns das ganze Ausmaß bewusst.« »Spinale Muskelatrophie Typ 2« heißt die Krankheit, die das Schicksal des inzwischen fünf Jahre alten Daniel und seiner Familie bestimmt. »Ein Neuron in seinem Körper funktioniert nicht. Infolgedessen werden alle Muskeln schwächer und mit der Zeit abgebaut.« Niemand kann voraussagen, wie die Krankheit bei ihrem Sohn verlaufen wird. Irgendwann wird sie die Atmung beeinträchtigen, weshalb viele Betroffene nachts Sauerstoff brauchen.

ALLTAG Seit der Diagnose sind drei Jahre vergangen. »Mit Gottes Hilfe schaffen wir das. Wir sind eine ganz normale Familie. An die besonderen Bedürfnisse haben wir uns gewöhnt, sodass sie für uns zum Alltag gehören.« Sie hätten es geschafft, wieder auf die Beine zu kommen, und wollen nach vorne schauen, nicht so viel daran denken.

Am Morgen hilft Vater Sergej
seinem Sohn und bringt
ihn zum Kita-Bus.

An diesem Morgen hat der 32-jährige Vater Daniel angezogen, ihn beim Frühstücken unterstützt und gewartet, bis der Bus ihn abholt und zur Kita für körperbehinderte Kinder bringt. Der sechsjährige Bruder David ist nun ebenfalls in der Kita, die ganz in der Nähe der Wohnung liegt, Jelena arbeitet als Fachverkäuferin, und Sergej selbst ist mit seinem jüngsten Sohn, dem fast einjährigen Aron, allein zu Hause. Er konnte Elternzeit nehmen.

ANWALT »Dass unser Sohn so eine schlimme Krankheit hat, ist eine Sache, aber hart ist es auch, dass wir dringend notwendige Hilfsmittel einklagen müssen, weil unsere Krankenkasse vieles ablehnt.« Ein Anwalt setzt sich dafür ein, dass Daniel Orthesen und das Rumpfkorsett erhalten kann. Er braucht beides, damit er so gut wie möglich gestützt wird und seine Muskeln so lange wie möglich erhalten bleiben. Schon jetzt wird die Skoliose im Rücken immer stärker.

Ein mechanisches Hilfsmittel ist der Muskeltrainer Galileo, er bringt die Muskeln zum Vibrieren und stärkt sie auf diese Weise. Das Gerät wird in den nächsten Tagen zur Verfügung stehen, hofft die Familie. Daniel hatte bei einem Programm der UniReha Köln mitgemacht und dabei Galileo ausprobieren können. Innerhalb dieser Studie genehmigte die Krankenkasse die Behandlung für ein halbes Jahr, danach übernahm die Deutsche Muskelstiftung »Philipp und Freunde« weitere sechs Monate. Nun braucht Daniel dringend ein eigenes Gerät. »Er nutzt es jeden Tag«, sagt der Vater.

Das Prozedere ist umständlich, aber effektiv. Zunächst wird Daniel auf das Gerät gelegt und fest mit ihm verbunden. Dann wird das Gerät in die Senkrechte hochgefahren, beginnt, unter den Füßen zu vibrieren, und stimuliert die Muskulatur im gesamten Körper. Da Daniel diese Hilfe immer brauchen wird, will die Familie das Gerät nun aus eigenen Mitteln anschaffen. Doch die junge Familie mit drei Kindern kann die 10.500 Euro dafür nicht alleine aufbringen.

SPARSCHWEINE Kinder und Jugendliche aus dem Mannheimer Jugendzentrum Or Chadasch hörten von Daniels Krankheit und sammeln nun Spenden für ihn. Beim Mitzvah Day vor wenigen Wochen haben sie Sparschweine an Kassen aufgestellt, in der Hoffnung, dass viele Menschen Euros und Cents stiften. Und auch die Israelitische Kultusgemeinde Rottweil hat auf ihrer Facebook-Seite einen Spendenaufruf gestartet: »Daniel braucht unsere Hilfe«.

»Eigentlich ist er ziemlich fröhlich und denkt positiv«, sagen Sergej und Jelena über ihren Sohn. Und er sei sehr herzlich und freundlich. Aber manchmal überfalle ihn doch eine tiefe Traurigkeit. Was er aber besonders gerne mag, sind Eisenbahnen, die Pommersche Lokomotive, kleine Modellautos und Bücher. Und in diesen Tagen freut er sich auf das Theaterstück zu Chanukka, das in der Rottweiler Gemeinde aufgeführt wird.

»Glücklicherweise sind die Räume und die neue Synagoge barrierefrei, und es ist kein Problem, mit dem Rollstuhl überall hinzugelangen.« Daniel hat seinen Text schon einstudiert. »Es ist ein Rätsel über Kreisel«, verrät er. Seit einigen Jahren ist er bei den Aufführungen zu Chanukka und Purim dabei. Ebenso bei der Sonntagsschule. Gerne fährt die Familie die 20 Kilometer zur jüdischen Gemeinde. Auch zum Schabbat – wenn sie es einrichten kann.

ANZEICHEN Dass mit ihrem Sohn etwas nicht stimmt, bemerkten die Eltern, weil er gar nicht versuchte, laufen zu lernen. »Vielleicht ist er etwas faul«, dachten sie. Er konnte nur wenige Sekunden stehen. Andererseits war er für sein Alter ziemlich schlau. Schließlich fanden sie einen Kinderneurologen, der die traurige Gewissheit zutage brachte. Seine Krankheit hinderte ihn am Laufen, weshalb er im Rollstuhl sitzt.

»Wann werde ich endlich groß, dass ich dann laufen kann?«, hat er seine Eltern einmal gefragt. Sie mussten ihm beibringen, dass es keine Medikamente geben wird, die ihn heilen können. Aber er soll immer viel lernen und aufpassen, dass er anderen helfen kann.

Sein Vater, von Beruf Verkäufer, will nun noch ein paar Jahre die Elternzeit nutzen, um möglichst viel Zeit mit seinen Kindern verbringen zu können. Das bedeutet, dass die Familie mit dem Fachverkäufergehalt auskommen muss, das die 30-jährige Jelena verdient.

UNTERNEHMUNGEN Sergej begleitet Daniel zweimal wöchentlich zur Krankengymnastik, zu den Arztbesuchen, betreut ihn bei seinen Übungen zu Hause und unterstützt ihn bei Bewegungen, die seine Muskeln nicht mehr zulassen. Dienstags und mittwochs sind die Nachmittage bis auf die Übungen therapiefrei, »da unternehmen wir etwas«.

Erst kürzlich hat Daniel zu Hause seinen fünften Geburtstag gefeiert – was für seine Freunde einen enormen Aufwand bedeutet. Denn sie sind auch alle körperlich beeinträchtigt und brauchen barrierefreie Zugänge. In seine Kita geht er sehr gerne. Wenn er krank ist, zählt er die Tage, bis er wieder gesund ist und hin darf.

Einen Hoffnungsschimmer gibt es inzwischen: Ein neues Medikament ist auf den Markt gekommen, das Daniel hilft und den weiteren Muskelabbau aufhält.

Spenden an: Israelitische Kultusgemeinde Rottweil, DE 77642500400000103268, Verwendungszweck: Spende für Daniel Kamylin

Pessach

Vertrauen bewahren

Das Fest des Auszugs aus Ägypten erinnert uns daran, ein Leben in Freiheit zu führen. Dies muss auch politisch unverhandelbare Realität sein

von Charlotte Knobloch  22.04.2024

Pessach

Das ist Juden in Deutschland dieses Jahr am wichtigsten

Wir haben uns in den Gemeinden umgehört

von Christine Schmitt, Katrin Richter  22.04.2024

Bayern

Gedenkveranstaltung zur Befreiung des KZ Flossenbürg vor 79 Jahren

Vier Schoa-Überlebende nahmen teil – zum ersten Mal war auch der Steinbruch für die Öffentlichkeit begehbar

 21.04.2024

DIG

Interesse an Israel

Lasse Schauder über gesellschaftliches Engagement, neue Mitglieder und die documenta 15

von Ralf Balke  21.04.2024

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024

Berlin

Pulled Ochsenbacke und Kokos-Malabi

Das kulturelle Miteinander stärken: Zu Besuch bei Deutschlands größtem koscheren Foodfestival

von Florentine Lippmann  17.04.2024