Ukraine

Hilfe durch Teilhabe

Setzen sich für eine Soforthilfe ein: Eyal Dali, Svitlana Vershynina und Aron Würfel (v.l.) Foto: Imanuel Marcus

In der Ukraine herrscht seit Februar 2022 Krieg. Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) hilft vor Ort zusammen mit IsraAID Germany betroffenen Menschen. Anlässlich einer großen Konferenz in Berlin berichten drei Vertreter der NGO, Svitlana Vershynina, Eyal Dali und Aron Würfel, über das Geleistete und die Herausforderungen.

Die Fachtagung von IsraAID Germany und der ZWST zum Erfolgsfaktor Teilhabe liegt nun hinter Ihnen. Wie zufrieden sind Sie mit der Zusammenkunft?
Svitlana Vershynina: Sehr zufrieden. Wir haben unsere Partner getroffen, unsere Arbeit in Deutschland und der Ukraine präsentiert und Ideen ausgetauscht. Zudem hatten wir Gelegenheit, Probleme und Lösungen anzusprechen. Auf einer Skala von null bis zehn lag unsere Zufriedenheit mit der Konferenz bei zehn.
Aron Würfel: Das Thema Teilhabe stand mit all seinen Facetten im Mittelpunkt der Fachtagung. Eine davon ist die Einbeziehung von Partnern in strategische Diskussionen. Und zwar bezüglich der Frage, welche Richtung die humanitäre Hilfe nehmen sollte. Eine solche Zusammenkunft, wie wir sie hatten, ist eine gute Plattform, die uns ebenfalls lokale Perspektiven aus der Ukraine nähergebracht hat. Auch dies gehört zur Teilhabe.

Wie sieht diese Teilhabe in Ihrer Hilfe konkret aus? Geht es darum, dass sich Ukrainer vor Ort gegenseitig helfen? Und inwieweit sind ukrainische Flüchtlinge in Deutschland ebenfalls daran beteiligt?
Vershynina: In der Ukraine gibt es mehrere kooperierende Partner, beispielsweise Avalyst und die Organisation District One. Beide sind ukrainisch, beide wurden als Reaktion auf die Situation gegründet oder sind stark gewachsen. Und ja, es geht darum, dass Ukrainer Ukrainern helfen sollen. Wir waren zunächst mit der Situation des Krieges konfrontiert – und dann mit der Frage, wie damit umzugehen ist. Unterstützung kommt aus Deutschland, aber die Umsetzung erfolgt durch Ukrainer.

Warum ist es besonders wichtig, lokale Partner zu haben?
Würfel: Entscheidend für die Arbeit in der Ukraine ist nicht nur die Kenntnis der genauen Verhältnisse vor Ort, sondern auch der lokalen Institutionen, die man dann nachhaltig stärkt. Deshalb gehört es für uns einfach dazu, ukrainische Geflüchtete mit einzubinden. Gemeint sind damit solche, die aufgrund des Eroberungskrieges nach Deutschland kamen und nun anderen geflüchteten Landsleuten helfen wollen. Dies ist Teil unseres Konzepts, weshalb wir etwa Tagungen organisieren, in denen es um das Empowerment zur Teilhabe geht. Die so involvierten Ukrainer organisieren dann ihre eigenen Hilfsprojekte, die anderen Geflüchteten zugutekommen. Indem sie anderen helfen, helfen sie sich letztendlich auch selbst.

Um welche Art von Hilfe geht es genau?
Vershynina: In den Gebieten im Süden und Osten der Ukraine, die unter ständigem Beschuss stehen, braucht man Soforthilfe. Menschen verlieren dort ihr Zuhause und stehen oftmals praktisch vor dem Nichts. Ukrainer, die weiter von der Frontlinie entfernt leben, müssen diese Menschen nun integrieren. Wir haben viele Binnenvertriebene. Eine dritte Dimension ist der Wiederaufbau der Infrastruktur. Dabei konzentrieren wir uns mit unseren Partnern zum Beispiel auf Kindergärten. Die Erfahrungen der vergangenen Monate haben gezeigt, dass Online-Schulunterricht zwar möglich ist, aber Online-Kinderbetreuung eben nicht. Der Wiederaufbau von Kindergärten ist daher besonders wichtig, weil Eltern so die Möglichkeit gegeben wird, wieder arbeiten zu gehen, um das Land aufzubauen. Selbstverständlich ist materielle Hilfe, vor allem im medizinischen Bereich, ebenfalls wichtig.

Was ist mit psychosozialer Hilfe?
Vershynina: Diese wird in der gesamten Ukraine gebraucht, weshalb wir sie in Lviv, Dnipro und Winnyzja anbieten. Es gibt auch eine Telefon-Hotline, die rund um die Uhr besetzt und ebenso in den derzeit von Russland besetzten Gebieten vorhanden ist. Wenn wir dort schon nicht vor Ort sein können, sollte wenigstens diese Hotline verfügbar sein.

Selbst wenn zerstörte Gebäude wiederaufgebaut werden, können sie trotzdem von Russland erneut beschossen werden, oder?
Vershynina: Darüber haben wir ebenfalls in Berlin diskutiert – schließlich wissen wir, dass es in der Ukraine keinen wirklich sicheren Ort mehr gibt und das ganze Land sich im Visier Russlands befindet. Aber manche Gegenden werden mehr, andere weniger beschossen. Wir konzentrieren uns deshalb auf den Wiederaufbau unter anderem in Kiew. In der Nähe der Frontlinie sieht das natürlich anders aus.

Wo ist der jüdische Aspekt in all der Hilfe, die Sie leisten?
Eyal Dali: Wir pflegen einen engen Kontakt mit der jüdischen Gemeinschaft in der Ukraine, inklusive der Masorti-Gemeinden. Gerade erst haben wir fünf Schutzräume für den Notfall mit Generatoren, Matratzen und Schlafsäcken ausgestattet.

Für wie viele Menschen wurden sie eingerichtet?
Dali: Das ist unterschiedlich. Das Fassungsvermögen dieser unterirdischen Schutzräume reicht von 30 bis 100. Sie wurden übrigens nicht ausschließlich für Juden eingerichtet – auch wenn wir die jüdischen Gemeinden als Netzwerk nutzen. In Dnipro befindet sich ein solcher Schutzraum zum Beispiel in einer ganz regulären Schule. Hier wird mit allen Kräften zusammengearbeitet. Die Schutzräume sind für alle offen, betrieben werden sie aber von Mitgliedern der jüdischen Gemeinden.
Würfel: Die jüdischen Gemeinden sind sehr gut organisiert. Auch deshalb können wir wirklich effektive Hilfe für viele Menschen leisten und zum Beispiel ganze Nachbarschaften unterstützen.

Ihre umfassende Hilfe, die Sie beschreiben, kostet viel Geld. Woher kommt es?
Würfel: IsraAID Germany führt das Projekt zusammen mit der ZWST durch – und diese ist Teil der Aktion Deutschland Hilft (ADH). Dabei handelt es sich um ein Netzwerk aus humanitären Hilfsorganisationen, die gemeinsam öffentliche Spendenaktionen durchführen. Jede Privatperson, die etwas spenden möchte, kann ADH unterstützen.

Im Bundeshaushalt für das nächste Jahr sind Kürzungen bei der Ukrainehilfe vorgesehen. Putins Krieg geht aber weiter. Was bedeutet das für Sie?
Würfel: Generell läuft unser gemeinsames Projekt in der Ukraine primär über Mittel von Aktion Deutschland Hilft, die wiederum losgelöst vom Bundeshaushalt betrachtet werden müssen, weil es sich dabei ja ausschließlich um private Spenden handelt. Die Veränderungen im Bundeshaushalt betreffen aber unsere Arbeit in Deutschland ganz maßgeblich.

Wie hat die Konferenz in Berlin Ihre Hilfsaktionen und die Kooperation verbessern können?
Würfel: Das ist eine gute Frage. Wir wissen es noch nicht. Wir müssen noch abwarten, um Genaueres sagen zu können. Ich konnte aber bereits einige interessante Anknüpfungspunkte ausmachen, viele verschiedene Organisationen haben sich vernetzt, und ich bin sicher, dass viele zukünftige Kooperationen daraus entstehen werden.

Mit den Vertretern von IsraAID Germany sprach Imanuel Marcus.

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