Projekt

Hier wird ihnen geholfen

Jörg Kaminski sitzt an seinem Schreibtisch im Büro und sortiert Unterlagen. Die Wände sind voller farbenfroher Bilder und Mosaike, die von den Teilnehmern des Kunstateliers Omanut gemalt und gestaltet worden sind, denn das Büro befindet sich in dessen Räumen. Doch der 56-Jährige ist mit den Gedanken nicht bei den Gemälden. »Diese Flyer gehören nun der Vergangenheit an«, sagt er bedauernd und nimmt einen Stapel Info-Papiere der »Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung« (EUTB) in die Hand. Genau in diesem Moment klingelt das Telefon.

»Teilhabeberatung im Kunstatelier Omanut. Guten Tag«, sagt er freundlich. Am anderen Ende der Leitung ist eine Mutter, die sich Sorgen um ihre erwachsene Tochter macht. Sie sei psychisch erkrankt, und die Mutter wisse jetzt nicht, wie sie ihr helfen könne. Jörg Kaminski bietet ihr einen Termin für die nächsten Tage an. »Wir können Sie auf jeden Fall beraten«, beruhigt er sie. Denn auch, wenn nach einer Bundesentscheidung eine Umstrukturierung im Bereich der EUTB vorgenommen wurde, werden Hilfesuchende nicht abgewiesen.

Rechte Geholfen wird mit einem anderen, neuen Schwerpunkt: »Recht haben – Recht bekommen«. Gefördert wird diese Einrichtung in den nächsten drei Jahren von der Aktion Mensch mit eineinhalb Stellen, die auf mehrere Mitarbeiter aufgeteilt werden. Einer von ihnen ist Jörg Kaminski. Viele Menschen mit Behinderung würden ihre Rechte nicht kennen, so Kaminski. Oder es fehle ihnen an der nötigen Unterstützung und Zuversicht angesichts der Herausforderung, für ihr gutes Recht zu kämpfen. »Menschen mit Behinderung haben den Rechtsanspruch auf volle und gleichberechtigte Teilhabe. Doch das funktioniert nicht immer«, heißt es auf der Homepage von Aktion Mensch.

Jörg Kaminski ist einer von den Beratern und weiß als selbst Betroffener bestens Bescheid. Denn die EUTB zeichnete sich fast fünf Jahre dadurch aus, dass sie unabhängig beriet, die Menschen nicht in eine bestimmte Richtung drängen wollte und dass es eine Peerberatung gab. Letzteres wird auch bei »Recht haben – Recht bekommen« weiter der Fall sein. Jörg Kaminski beispielsweise wird mitunter von seinen schweren Depressionen so gefangen genommen, dass er nicht mehr seiner eigentlichen Arbeit nachgehen kann und bereits frühverrentet ist. Manchmal falle es ihm schon schwer, überhaupt aufzustehen und seinen Tag anzugehen – außer, wenn er Termine im Kunstatelier Omanut hat.

Das Atelier ist ein künstlerisch orientiertes Projekt für Menschen mit geistiger Behinderung und psychischen Erkrankungen. Die Struktur helfe ihm. Deshalb kennt er sich mit psychischen Erkrankungen gut aus und weiß, welche Sorgen die Betroffenen haben. »Habe ich ein Recht auf einen Schwerbehindertenausweis? Kann ich bereits jetzt Rente beantragen? Habe ich einen Anspruch auf Unterstützung im Alltag, wenn ich es beispielsweise nicht mehr schaffe, meine Wohnung aufzuräumen?« Das sind alles Fragen, die ihm oft gestellt werden. Wichtig sei ihm, nicht über die andere Person zu bestimmen, sondern zu horchen, was derjenige selbst möchte.

In den nächsten Wochen erhalten die Mitarbeiter extra Schulungen.

»Viele Betroffene kennen ihre Rechte gar nicht, wir möchten sie begleiten, sie kennenzulernen und umzusetzen«, sagt Judith Tarazi, Leiterin der Beratungsstelle und des Kunstateliers, das in der Trägerschaft der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) steht. »Und wir freuen uns auf neue Herausforderungen.« In den nächsten Wochen werden alle extra Schulungen erhalten, damit sie sich mit Gesetzen und Paragrafen auskennen.

formulare Dann können sie den Ratsuchenden mitteilen, an welchen Stellen man die Formulare für seine Anliegen bekommt, wo man sie einreichen muss, wie im Falle einer Ablehnung Widerspruch eingelegt werden kann und wer für die Kosten aufkommt. Wer aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung eine Pflegestufe beantragen möchte, muss sich an die jeweilige Pflegekasse richten. Schwieriger wird es, wenn man die vorzeitige Rente benötigt.

Ein persönliches Budget kann bei mehreren Institutionen – beim Versorgungsamt, dem Jobcenter oder der Krankenkasse – beantragt werden. Aus diesem Topf kann jemand bezahlt werden, der im Alltag, beim Einkaufen, Aufräumen oder Kochen hilft. Auch ein Autist habe Anspruch auf eine Unterstützung bei der Arbeit – wenn er sie braucht. Dann werde sie vom Jobcenter finanziert, damit er am Berufsleben teilhaben kann, so Judith Tarazi.

»Es ist schade, dass die EUTB an dieser Stelle eingestellt werden musste«, bedauert Jörg Kaminski. Er würde die bisherige Arbeit als eine Art »Lotsenfunktion« bezeichnen. Denn bei ihnen waren Anfragen aus ganz Deutschland und mitunter auch aus dem Ausland angekommen. Oft haben sie eine passende Beratungsstelle dann vor Ort für den jeweiligen Betroffenen ausfindig gemacht. »Es gibt eine Menge Hilfe – man muss sie nur finden«, sagt er.

Ein Anruf erreichte sie sogar aus Marokko. Eine Mutter rief an, weil ihr Sohn, der in Leipzig studiert, plötzlich psychisch erkrankte und sie nicht wusste, wie sie ihm helfen konnte. »Wir fanden in Leipzig eine Einrichtung, bei der er richtig aufgehoben war.« Die Familie sprach nur Französisch – was für die Mitarbeiter der Beratungsstelle kein Problem ist, denn sie sprechen neben Französisch auch Deutsch, Englisch, Russisch, Italienisch und Hebräisch. »Das ist unser Alleinstellungsmerkmal«, so Jörg Kaminski.

Behindertenparlament »Wir waren bundesweit die einzige Teilhabe-Beratungsstelle in jüdischer Trägerschaft«, sagt auch Judith Tarazi. »Eines der wichtigsten Merkmale nach der Fachlichkeit ist die jüdische Sozialethik als Grundlage unserer Arbeit und die damit verbundene Wertschätzung und Unterstützung aller Ratsuchenden«, ergänzt Günter Jek von der ZWST. Mit der Schließung der EUTB werden keine spezifischen Angebote mit vergleichbarem soziokulturellen Hintergrund mehr durch den Bund gefördert.

»Durch die Arbeit haben wir in den vergangenen Jahren viel gelernt«, meint Kaminski. Er wolle sich weiter engagieren und hat sich beim Berliner Behindertenparlament erfolgreich beworben. Zu einer Tagung, die zum ersten Mal in Berlin stattfand, war er bereits im Dezember eingeladen worden und konnte mitreden, wenn es um das barrierefreie Wohnen, Arbeiten und Zugänge zu Einrichtungen und Institutionen ging. Jeder Morgen, an dem er es schafft, aufzustehen und den Tag zu gestalten, ist ein Sieg. Und dass er anderen Menschen helfen kann, motiviert ihn immer wieder.

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