Sie gilt als eine der Vordenkerinnen des 19. Jahrhunderts und war eine Pionierin der Frauenbewegung: Henriette Goldschmidt (1825-1920). In Leipzig gründete sie 1911 - im Alter von 86 Jahren - die erste »Hochschule für Frauen« in Deutschland. Und sie engagierte sich im Allgemeinen Deutschen Frauenverein, mit dem die organisierte Frauenbewegung im Land ihren Anfang nahm. Am 23. November jährt sich ihr Geburtstag zum 200. Mal.
Henriette Goldschmidt kam 1825 im polnischen Krotoszyn bei Poznan als sechstes von acht Kindern einer jüdischen Familie zur Welt. Als sie fünf Jahre alt war, starb ihre Mutter. Der Vater, ein Kaufmann, förderte die Bildung seiner Kinder und vermittelte ihnen demokratische Ideen. Wegen ihrer jüdischen Herkunft wurde sie in ihrer Kindheit diskriminiert.
Lebenstraum mit 86 Jahren erfüllt
»Die Hochschule war ihr Lebenstraum«, sagt die Leipziger Kulturwissenschaftlerin Gerlinde Kämmerer. Möglich wurde sie durch umfangreiche Spenden Leipziger Bürger, allen voran des Musikverlegers Henri Hinrichsen. Vorrangig galt die akademische Ausbildung an der »Hochschule für Frauen« staatlich anerkannten sozialen Berufen, später kam auch die naturwissenschaftliche und pädagogische Lehre hinzu. Ein Abitur war keine Voraussetzung. Die Dozenten kamen vor allem von der Universität Leipzig. Rund 1.000 Frauen wurden laut Kämmerer bereits in den Anfangsjahren erreicht.
Mitbegründerin der bürgerlichen Frauenbewegung
Die liberale Jüdin Goldschmidt sei auch eine der führenden Vertreterinnen der Fröbel-Pädagogik in Deutschland gewesen. Im Jahr 1865 habe sie gemeinsam mit den Frauenrechtlerinnen Louise Otto-Peters (1819-1895) und Auguste Schmidt (1833-1902) zudem die bürgerliche Frauenbewegung in Leipzig begründet. Ziel war es, Frauen durch Bildung und Erwerbstätigkeit Unabhängigkeit zu ermöglichen. Goldschmidt hielt auch selbst Vorträge für Frauen.
Leipzig hatte sich laut Kämmerer im 19. Jahrhundert zu einem Frauen- und Mädchenbildungszentrum entwickelt. Unter dem Dach des ebenfalls von Goldschmidt 1871 gegründeten »Vereins für Familien- und Volkserziehung Leipzig« entstanden unter anderem Kindergärten, ein Schülerinnenpensionat, ein Seniorenheim und ein Seminar für Kindergärtnerinnen.
Berufliche Schule an historischem Ort
Im historischen Haus der »Hochschule für Frauen« befindet sich heute die Henriette-Goldschmidt-Schule, ein Berufliches Schulzentrum der Stadt Leipzig. Noch immer wird dort in den Bereichen Soziales, Pädagogik und Gesundheit ausgebildet. Eine Ausstellung, Gedenktafeln und eine Büste erinnern am authentischen Ort an die Gründerin.
»Goldschmidt stand für Bildung, Emanzipation und soziale Verantwortung, dem fühlen wir uns verpflichtet«, sagt Lehrerin Cathleen Hentschel. Mit ihrem Engagement für Frauenbildung, soziale Gerechtigkeit und die Anerkennung pädagogischer Berufe habe Goldschmidt Maßstäbe gesetzt. »Ihr Vermächtnis ist die Überzeugung, dass Bildung der Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe und persönlicher Entfaltung ist.«
Immer wieder wird Henriette Goldschmidt auch mit diesen Worten zitiert: »Der Erziehungsberuf ist der Kulturberuf der Frau. Er verlangt Wissenschaft und Kunst, das Kennen und das Können.« Kritikerinnen sehen darin aus heutiger Sicht eine umstrittene Zentrierung auf das als weiblich empfundene Thema der Kindererziehung. Das Zitat sei im Zeitkontext zu betrachten, betont hingegen Kämmerer. Goldschmidt habe die Bildung der Frau deutlich vorangebracht.
Autodidaktin mit Engagement
»Sie war Autodidaktin«, sagt Kämmerer. Ihr tiefschürfendes Wissen habe sie sich selbst angeeignet. Unterstützt wurde sie in ihrer Tätigkeit später von ihrem Ehemann, dem Leipziger Rabbiner der Israelitischen Religionsgemeinde, Abraham Meyer-Goldschmidt.
Zum 200. Geburtstag von Henriette Goldschmidt brachte das Finanzministerium Anfang November eine Briefmarke mit dem Porträt der Frauenrechtlerin heraus. Goldschmidt starb 1920 mit 94 Jahren. Ihre Ruhestätte befindet sich auf dem Alten Israelitischen Friedhof in Leipzig.