In allen jüdischen Gemeinden gibt es sie: Menschen, die das Gemeindeleben am Laufen halten – weil sie sich im Vorstand engagieren, sich um ältere Mitglieder kümmern, Charity-Veranstaltungen organisieren, eine Chewra Kadischa gründen oder ein Jugendzentrum aufbauen. Oft bekommen sie dafür nicht einmal ein Dankeschön. Wir haben einige von ihnen gefragt, was sie antreibt.

Marlies Studniberg, Mannheim
Seit 1992 gehöre ich mit einer Unterbrechung von neun Jahren dem Vorstand der Jüdischen Gemeinde Mannheim an. Wir sind zu fünft und treffen alle Entscheidungen gemeinsam, jeder von uns ist ehrenamtlich tätig. Es ist schwierig, Nachfolger zu finden, denn für diese Tätigkeit braucht man Zeit. Gleichzeitig bleibt man nicht von Kritik verschont. Als die Gemeinde vor einigen Jahrzehnten in die Stadtmitte zog, begann meine Arbeit im neu gewählten Vorstand. Mein Schwerpunkt war die Jugendarbeit, denn ich war Sonderschullehrerin und bin Mutter dreier Kinder. Ich wünschte mir einen Ort für alle jüdischen Kinder. Damals war kein Raum im neuen Gemeindehaus eingeplant. So fingen andere Mütter und ich an, jeden Freitagnachmittag ein Angebot auf die Beine zu stellen. Heute besuchen zwischen 20 und 25 Kinder das Jugendzentrum.
Mittlerweile engagiere ich mich in einem anderen Bereich: Ich gestalte Führungen für Schulklassen durch unsere Synagoge. Darin sehe ich viel Sinn, und es bereitet mir große Freude. In letzter Zeit beobachte ich, dass immer häufiger muslimische Schüler nicht mehr teilnehmen dürfen. Das ist sehr bedauerlich, denn der Dialog mit den Religionen ist mir wichtig.
Außerdem organisiere ich die Küche, das Veranstaltungsmanagement sowie die Gestaltung unserer Feiertage und Feste. Ich führe täglich viele Telefonate für die Gemeinde, die mir sehr am Herzen liegt. Und ich möchte auch ein Vorbild für meine Kinder und Enkelkinder sein – damit sie ebenfalls eine Beziehung zur Gemeinde aufbauen.

Barbara Schneidewind, Berlin
Mein Chor »Lekulam« probt im Jeanette-Wolff-Heim. Eine unserer Sängerinnen wohnt dort. Deshalb habe ich sie einmal gefragt, ob es in dieser Seniorenresidenz vielleicht Interesse an einem weiteren gemeinsamen Mittagsangebot gibt. Wenn ja, könnte ich einige Ideen beisteuern – schließlich habe ich durch meine bisherigen Aktivitäten schon viele Erfahrungen gesammelt. Schon bald nach meiner Pensionierung als Lehrerin an einer Gesamtschule mit vielen sozial benachteiligten Jugendlichen habe ich mein ehrenamtliches Engagement – neben meiner Rolle als leidenschaftliche Großmutter – fortgesetzt: Ich arbeitete mit arabischen Frauen in einem Nähkurs, unterstützte zeitweise ein Jugendprojekt und unterrichtete im Rahmen eines Senatsprojekts Sinti- und Roma-Jugendliche in Deutsch.
Nach so viel Jugendarbeit wurde mir klar, dass es im Gegensatz zu Projekten für Kinder und Jugendliche kaum Angebote für die Älteren gibt. Die Leiterin der Seniorenresidenz schlug mir daraufhin »Gedächtnistraining« als Thema vor. Also begann ich mit »Bingo« und selbst gebastelten »Tabu«-Karten. Von Anfang an verstanden wir uns in unserer Gruppe prima, lachten viel und diskutierten über die Weltpolitik, lernten einander immer besser kennen. So entstand die Idee, noch mehr gemeinsam zu machen: Wir malten kleinere Aquarelle, beschäftigten uns mit dem Jiddischen und Hebräischen, lasen literarische Texte und erfuhren so, dass man eigentlich nie zu alt dafür ist – die älteste Teilnehmerin ist 96 –, um mit viel Neugier und Geduld Neues auszuprobieren. Das verbindet uns alle. Ich betrachte diese Zeit nicht als etwas, das ich »opfere«, sondern als Bereicherung: Ich erlebe staunend neue Dinge und lerne andere Perspektiven kennen. Ich wünsche mir, dass mehr Menschen – gerade auch ältere – erkennen, wie viel Lebensfreude ein Ehrenamt schenken kann.

Anna Davina, Frankfurt
Vor zwei Jahren wurde ich gefragt, ob ich im WIZO-Vorstand Frankfurt mitarbeiten möchte. Das war der Anlass, mich näher mit der WIZO zu beschäftigen – und ich stellte fest, dass ich mich mit ihren Werten und Projekten durchaus identifizieren kann. Ich bin Mutter von drei kleinen Kindern und finde deshalb Projekte für Kinder in Israel sehr wichtig. Schön ist auch, wenn sich Frauen gegenseitig helfen und wertschätzen. Die Inhalte, für die die WIZO einsteht, haben mich daher sehr angesprochen und überzeugt. Wir treffen uns regelmäßig, um Projekte und Events zu besprechen. Gemeinsam als Team organisieren wir jedes Jahr unter anderem eine Gala und die Jom-Haazmaut-Feier, zu der mehrere hundert Gäste kommen. In der Vorbereitungszeit bin ich jede Woche zehn bis zwölf Stunden im Einsatz, sonst meist zwei Stunden – je nachdem, was gerade ansteht. Solange meine Kinder noch klein sind, ist die Zeit recht knapp, aber das Besondere an der WIZO ist, dass jede Frau genau so viel beiträgt, wie sie eben kann. Und alles, was wir tun, um Israels Familien zu unterstützen, hat für uns einen hohen Stellenwert.

Ignaz Berger, Amberg
Seit mehr als 40 Jahren engagiere ich mich in der Israelitischen Kultusgemeinde Amberg. Lange Zeit war ich einer von drei Vorsitzenden, jetzt sind wir zu zweit. Es ist eine Ehre für mich, dass ich diese Funktion ausüben darf. Glücklicherweise habe ich einen Beruf, in dem ich mein Auskommen habe. Dass ich mich engagiere, liegt an meinem Vater, der 1921 in Auschwitz geboren wurde und die Schoa überlebt hat. Er gelangte irgendwann nach Amberg und gründete 1948 die Gemeinde mit. 1955 kam ich hier auf die Welt. Bereits als 25-Jähriger wurde ich Vorstandsmitglied. Für unsere Gemeinde, die etwas mehr als 100 Mitglieder hat, bin ich immer zu erreichen. Ehrlich gesagt, der Zeitaufwand hält sich in Grenzen.
Allerdings müssen Entscheidungen getroffen werden, unsere alte Synagoge, die in der Pogromnacht 1938 verschont geblieben ist, musste jüngst umgebaut und modernisiert werden. Das Kaufmännische ist mein Schwerpunkt. Ich möchte dazu beitragen, unsere Gemeinde am Leben zu erhalten. Wir haben eine eigene Tradition – die soll es weiterhin geben. Dafür setze ich mich gern ein.

Boris Schulman, Frankfurt
Für mich ist ehrenamtliches Engagement ein großes Geschenk. Es erfüllt mich mit Glück, anderen helfen und etwas Gutes tun zu können. Ich mag es, Menschen miteinander zu verbinden, Freizeitmöglichkeiten für sie zu schaffen und Dinge auf die Beine zu stellen, die ohne mein Zutun vielleicht nicht zustandekommen könnten. Besonders wichtig sind mir dabei das Jüdische und unsere Tradition. Bei Makkabi Frankfurt gestalten wir derzeit ein neues Heim, das Sport, Kultur und jüdisches Leben auf besondere Weise kombinieren soll. Ein Highlight war auch die Eröffnung eines koscheren Restaurants auf unserer Tennisanlage, das großen Anklang findet. Bei »Beyachad« verteilen wir Schabbat- und Feiertagspakete, organisieren Konzerte, Theaterbesuche und gemeinsame Schabbatot. Es ist berührend, die Freude in den Augen der Menschen zu sehen. Dieses Gefühl, geben zu dürfen, macht mich glücklich. Ich bin Haschem dankbar, dass er mir die Möglichkeit dazu gibt. Es ist eine große Verantwortung, und ich bin mir ihrer bewusst.

Ilia Choukhlov, Nürnberg
Es macht wirklich Spaß, etwas für andere zu tun. Und man kann Dinge verändern und gestalten. Insgesamt komme ich auf 18 Ehrenämter. 2003 war ich Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Jugendorganisation »Noar« in Nürnberg. Das sollte mein erstes Engagement sein. Es folgten andere in Studentenverbänden, bei den Sozialdemokraten, in der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und bei der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Nürnberg-Mittelfranken. Zudem bin ich Vertrauensdozent beim Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) sowie Sicherheitskoordinator für jüdische Einrichtungen in Bayern.
Vor allem dafür investiere ich sehr viel Zeit. Nach dem Anschlag auf eine jüdische Schule in Toulouse vor 13 Jahren fragte mich unser Rabbiner, wie man die Sicherheit besser organisieren könnte. So bin ich mit diesem Thema in Berührung gekommen. Bis vor zwei Jahren habe ich das ehrenamtlich gemacht, seit 2023 auf Basis eines Minijobs. Es interessiert mich so sehr, dass ich nun Sicherheitsmanagement studiere. Zwischenzeitlich war ich bis zu 40 Stunden pro Woche ehrenamtlich im Einsatz, mittlerweile dürften es zehn bis 15 sein. Im Rahmen eines solchen Engagements bekommt man unglaublich gute Soft Skills vermittelt, kann Netzwerke aufbauen. Aber das Wort »Danke« hört man eher selten bis gar nicht. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich als Jurist.

Felix-Mosche Berul, Potsdam
Aus jüdischer Sicht beschränkt sich die Pflicht zur Barmherzigkeit nicht nur auf die Lebenden, sondern enthält auch die Verpflichtung, den Verstorbenen ein würdiges Begräbnis zu ermöglichen. Dies ist einer der Gründe, warum in jüdischen Gemeinden eine Chewra Kadischa gegründet wurde. Ihre Aufgabe ist es, anderen Juden die letzte Ehre zu erweisen. Wir bereiten den Leichnam für die Beerdigung vor, waschen ihn, kleiden ihn in weiße Leichentücher, legen ihn in den Sarg und bringen ihn zu der von uns zuvor ausgehobenen Grabstätte. Jeder Jude muss nach jüdischen Regeln beerdigt werden. Das ist eine freiwillige Aufgabe, wir werden dafür nicht bezahlt. Ich mache das seit Gründung der Chewra Kadischa in Brandenburg im Jahr 2012. Für mich ist das eine Mizwa. Jüdische Friedhöfe, auf denen Verstorbene beigesetzt werden können, gibt es in Frankfurt an der Oder, Cottbus, Oranienburg und Potsdam. Allein in Potsdam haben wir pro Jahr etwa zehn bis 15 Beerdigungen.
David Herschler, Berlin
Vor einem Jahr bin ich in Rente gegangen. Bis dahin war ich für eine Softwarefirma weltweit unterwegs. Als ich dann hörte, dass es die Möglichkeit eines Ehrenamtes im Jeanette-Wolff-Heim gibt, überlegte ich nicht lang, sondern sagte sofort zu. Ich habe diese Aufgabe von einer Frau übernommen, die aus Berlin weggezogen ist. Seitdem komme ich jede Woche und treffe eine Gruppe von Heimbewohnern. Zwei von ihnen sind Holocaust-Überlebende. Wir unterhalten uns, und ich bringe oft ein Quiz zu Themen wie Politik, Feiertage, Musik und Religion mit. Ab und zu gehen wir auch gemeinsam essen. So sorgen wir für Abwechslung – und mir gefällt unser Zusammensein ebenfalls sehr. Auch im Verein »Israelische Dritte Generation« engagiere ich mich; dort bin ich Mitglied der Leitungsgruppe. Ich wurde vor 66 Jahren in Israel geboren. Meine Familie stammt ursprünglich aus Litauen, und die Familie meiner Frau kommt aus Deutschland.

Galyna Kapitanova, Leipzig
Ich habe 2003 meine erste Tanzstunde in unserer Gemeinde gegeben. Schon als Kind habe ich in der Ukraine getanzt und dann später im Jugendzentrum eine kleine Tanzgruppe für Jugendliche geführt. Im Jahr 2000 bin ich nach Deutschland gekommen und hatte großes Heimweh. Israelische Tänze kannte ich aus meinem »alten« Leben. Ich hatte der Gemeinde angeboten, einen Kurs zu geben. Zur ersten Stunde kamen erwachsene Frauen, die viel älter waren als ich. Alle waren begeistert. Ein Ehrenamt zu übernehmen, ist nicht nur ein Geben, es ist eher ein Austausch von Energie, Emotionen und Dankbarkeit. Auch der Aufbau eines Jugendzentrums war mir wichtig. In Leipzig gab es damals keines. Ich selbst bin in der Ukraine mit elf Jahren in die Gemeinde gekommen. Das war für mich eine enorme Bereicherung und ein Wendepunkt in meinem Leben! Ich hatte die Vorstellung, dass meine drei Kinder wahrscheinlich so etwas nie erleben werden. Meine Schwester und ich boten der Gemeinde an, in den Sommerferien ein Tagescamp zu organisieren. Die Kinder und ihre Eltern waren sehr dankbar und glücklich. Und es zeigte sich bald, dass ein einziges Sommercamp im Jahr zu wenig ist. Schließlich haben wir ein Projekt für Jugendarbeit erarbeitet und Unterstützung vom Zentralrat der Juden bekommen. Seitdem bieten wir mehrmals im Monat ein Programm an. Jetzt haben wir einige Madrichim, mehrere Gruppen im Alter von sechs bis 17 Jahren, und ich muss mich nur noch um die Koordination kümmern. Bis dahin war es ein langer Weg, und es hat sehr viel Zeit, Kraft und Energie gekostet. Aber ich bin froh, dass ich mich damals so entschieden habe und die Gemeinde mich unterstützt hat.
Aufgezeichnet und zusammengestellt von Christine Schmitt