Radio

Geschichte zum Hören

Pünktlich zum Internationalen Holocaust-Gedenktag startete der Bayerische Rundfunk (BR) unter dem Motto »Die Quellen sprechen« vergangene Woche eine 32-stündige Hörreihe, die auf der Quellenedition zur Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945 basiert. Die seit 2008 vom Institut für Zeitgeschichte in München publizierte und auf 16 Bände angelegte Edition basiert unter anderem auf Gesprächen mit Überlebenden, ausgewählten Texten, Briefauszügen, Tagebucheinträgen und zeitgenössischen Kommentaren aus Opfer- wie Täterperspektive und ergibt so einen vielstimmigen Kanon. Die erste Staffel läuft bis 16. Februar jeweils freitags, samstags und montags auf BR 2.

Unterstützung Die Auftaktveranstaltung zur dokumentarischen Höredition fand in Form einer eineinhalbstündigen Live-Übertragung aus dem Hubert-Burda-Saal des Jüdischen Gemeindezentrums am Jakobsplatz statt. Eingeladen hatten der BR und das Institut für Zeitgeschichte. Unterstützt wurde das Projekt von der Israelitischen Kultusgemeinde, die 2012 bereits die Präsentation des dritten Bandes der im Oldenbourg Verlag erscheinenden Buchedition ausgerichtet hatte.

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde und selbst Zeitzeugin, wies in ihrem Grußwort auf eine historische Schwelle hin: »Im Übergangsstadium von Zeitgeschichte zu Geschichte gilt es heute mehr denn je, eine erkenntnisorientierte Erinnerungskultur zu etablieren.« Dargelegt werden »Hunderte persönliche Zeugnisse und behördliche Schriftstücke – Dokumente eines generalstabsmäßig geplanten Sadismus neben jenen der Verzweiflung und der Ohnmacht. Abbilder der sich durch die Gesellschaft fressenden Diffamierung und Isolierung der Juden«, so Knobloch.

Für die IKG-Präsidentin ist es wichtig, dass die »Quellen Zeugnis ablegen«, wo die Zeitzeugenschaft entschwindet. Es sei die Pflicht der Nachgeborenen, den Verlust der Erlebnisgeneration mit ihrem Wissensdrang und Verantwortungsbewusstsein abzufedern, die Quellen zu bewahren: »Es ist an ihnen, die Schätze der Erinnerung nicht als Last zu begreifen.«

Schrecken Deutliche Worte fand auch der BR-Intendant Ulrich Wilhelm. Er will in einem »geschichtsbewussten Land« leben. Ihm ist es wichtig, »den Schrecken des Holocaust im kollektiven Gedächtnis unseres Landes lebendig zu halten, dass Gedenken nicht zum Ritual erstarrt – sondern spürbare, greifbare, nachfühlbare Erinnerung bleibt«. Wilhelm ist es ein Anliegen, bei seinem Sender »im Laufe der Jahre ein umfassendes Hörarchiv zum Holocaust im Internet« aufzubauen. Auf der Webseite www.die-quellen-sprechen.de könnten ab sofort alle eingesprochenen Dokumente und begleitenden Gespräche mit Zeitzeugen und Experten auf Dauer abgerufen werden, so Wilhelm.

Schließlich wurde Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München, von dem BR-Moderator Gerhard Späth zu dem ambitionierten Gesamtprojekt befragt. Für den Historiker Wirsching kommen Edition und Vertonung genau zur richtigen Zeit: »Sie konfrontieren das Publikum zwar schmerzhaft, doch höchst lehrreich mit der überaus komplexen Realität des Holocaust.« Wer die Quellen lese oder höre, erklärte Wirsching, erkenne sogleich das systemische Ineinandergreifen der kalten Bürokratie mit der Gewalt der Täter. In der Zusammenschau von Täter- und Opferperspektiven werde, so Wirsching, »die mörderische Dynamik des Holocaust sichtbar«.

Eindrücklich Die Fassungslosigkeit der Opfer vor dem Vernichtungsapparat, die Infamie denunziatorischer Verleumdungen und folgenreicher amtlicher Verordnungen machte der Vortrag einer Textauswahl deutlich. Es las der Schauspieler Matthias Brandt, dessen Vater Willy Brandt 1933 vor den Nazis aus Deutschland nach Norwegen fliehen musste.

Solisten des BR-Symphonieorchesters begleiteten den Abend meisterlich. Nur die Musikauswahl lag daneben. Es wurde kein Stück von einem verfolgten, exilierten oder ermordeten jüdischen Komponisten gespielt. Aufgeführt wurde das »Quartett auf das Ende der Zeit« von Olivier Messiaen, das im »Lobgesang auf die Unsterblichkeit Jesu« gipfelt. Der Franzose Messiaen schuf das Stück 1940 während seiner neunmonatigen Gefangenschaft in einem deutschen Kriegsgefangenenlager bei Görlitz.

Literatur

»Es wird viel gelacht bei uns«

Der Historiker Philipp Lenhard und die Schriftstellerin Dana von Suffrin über den von ihnen gegründeten Jüdischen Buchklub, vergessene Klassiker und neue Impulse

von Luis Gruhler  09.09.2025

Ausstellung

Lesen, Schreiben, Sehen, Handeln, Überleben

Im Literaturhaus München wird das Leben der amerikanischen Denkerin und Publizistin Susan Sontag gezeigt

von Ellen Presser  09.09.2025

München

Spur der heiligen Steine

Es war ein Sensationsfund: Bei Baumaßnahmen am Isarwehr wurden Überreste der früheren Hauptsynagoge entdeckt. Der Schatz wird nun vom Jüdischen Museum erforscht

von Michael Schleicher  07.09.2025

Dialog

Gemeinsam stark

Fatma Keser ist Mitbegründerin von »Pêk Koach – Jewish-Kurdish Women’s Alliance«. Der Frauenverein will jüdische und kurdische Perspektiven vermitteln

von Pascal Beck  07.09.2025

Fürth

Ruth Weiss ist gestorben

Sie engagierte sich ihr Leben lang gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Nun ist die in Franken geborene Schriftstellerin mit 101 Jahren gestorben

 05.09.2025 Aktualisiert

München

»In unserer Verantwortung«

Als Rachel Salamander den Verfall der Synagoge Reichenbachstraße sah, musste sie etwas unternehmen. Sie gründete einen Verein, das Haus wurde saniert, am 15. September ist nun die Eröffnung. Ein Gespräch über einen Lebenstraum, Farbenspiele und Denkmalschutz

von Katrin Richter  04.09.2025

Erfurt

Studiengang »Jüdische Soziale Arbeit« offiziell gestartet

Zentralratspräsident Josef Schuster: Die Einrichtung des Studiengangs ist ein starkes Zeichen für die Lebendigkeit jüdischen Lebens in Deutschland

 04.09.2025

Hannover

»Wir sind hier und wir bleiben hier«

Im September wird die Liberale Jüdische Gemeinde 30 Jahre alt. Gegründet wurde sie einst von drei Frauen. Ein Gespräch mit Geschäftsführerin Rebecca Seidler über Generationen, Sicherheit und eine große Portion Optimismus

von Katrin Richter  04.09.2025

Osnabrück

Leben, Lieben, Lachen

Die Jüdische Gemeinde hat ihr erstes Jüdisches Kulturfestival auf die Beine gestellt – mit einem beeindruckenden Programm

von Sophie Albers Ben Chamo  04.09.2025