München

Gedenken in schwerer Zeit

Angehörige der Familien Schindler, Steinberg, Blumenberg und Mandel bei der Gedenkveranstaltung im Hubert-Burda-Saal Foto: Tom J.M. Hauzenberger

Mehr als 40 Angehörige aus den USA und Israel hätten eigentlich anreisen sollen, um an der Gedenkveranstaltung im Hubert-Burda-Saal des Jüdischen Gemeindezentrums teilzunehmen. Weil aber aufgrund des Krieges zwischen Israel und dem Iran keine Flüge aus Tel Aviv mehr möglich waren, wurde die Veranstaltung, die der Übergabe von Erinnerungszeichen zum Andenken ermordeter jüdischer Münchnerinnen und Münchner voranging, auch digital nach Israel übertragen.

Zugeschaltet per Video, sagte die Ururenkelin des 1942 aus München deportierten Abraham Jitzach Schindler, dass sie möglicherweise ihren Redebeitrag abbrechen müsse, sollte der Raketenalarm sie dazu zwingen, Schutz zu suchen. Und Miriam Oles, in den USA lebende Urenkelin von Abraham Schindler, fügte angesichts dieser Situation hinzu: »Aus historischer Sicht ist es das zweite Mal, dass unsere Familie auseinandergerissen wird.« Voller Bedenken sei sie angereist in das Land, aus dem ihre Großeltern fliehen mussten. Doch nun habe sie München während ihres Aufenthalts als liebenswürdig empfunden.

Die Freude durch die Umstände getrübt

Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) begrüßte die Angereisten in aller Herzlichkeit, betonte aber, dass die Freude des Empfangs durch die Umstände getrübt sei. Den abwesenden Gästen konnte sie digital ihre Grußbotschaft übermitteln: »Wir wünschen sehnlichst, dass dieser Krieg zügig zu Ende gehen möge und Sie den Besuch in München bald nachholen können. Es bleibt unser innigster Wunsch, dass die Menschen in Israel endlich in Frieden und ohne Bedrohung leben können.« Knobloch zeigte sich inmitten der Bedrohungslage des Krieges aber auch zuversichtlich: »Ich bin davon überzeugt, dass Israel weiß, was es tut.«

Der feierliche Empfang wurde digital nach Israel übertragen.

Die Erinnerungszeichen selbst, so Knob­loch, mahnten an die wechselhafte Menschennatur, in der die Fähigkeit zum Bösen genauso wie die Fähigkeit zum Guten stecke. Es gelte hier, sich zu entscheiden: »Gerade heute, da der Judenhass – ob von rechts, von links, aus der muslimischen Community oder aus der vermeintlich liberalen Kunstszene – so bedrohliche Ausmaße angenommen hat, dass jüdische Menschen weltweit wieder in Angst leben wie seit dem Holocaust nicht mehr.«

Abraham Schindler hatte Anfang des vergangenen Jahrhunderts in der Buttermelcherstraße ein koscheres Lebensmittelgeschäft geführt und war durch seine Tätigkeit für die Synagoge in der Reichenbachstraße als Vorbeter bekannt. Wie Albertine Neuland, Knoblochs Großmutter, wurde Abraham Schindler im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und im darauffolgenden Mai ermordet. Seine Frau Necha war bereits 1940 gestorben, nachdem beide unter widrigsten Umständen in ein sogenanntes Judenhaus in der Ickstattstraße gezwungen worden waren.

Wie ihre Eltern Necha und Abraham Schindler führte auch Tochter Judith ein frommes Leben. Sie hatte den aus Berlin stammenden Rabbiner Eli Steinberg geheiratet und mit ihm zunächst bei den Eltern in der Buttermelcherstraße gewohnt. Mit den beiden erstgeborenen Kindern Issachar Dow und Klara gingen sie dann nach Berlin, von wo die Familie im September 1942 nach Riga in den Tod verschleppt wurde.

Das Schicksal von Eva Mandel, einer Nichte von Abraham Schindler, sowie ihres Mannes Leon und der Tochter Klara, verheiratete Krippel, die allesamt nach Polen geflüchtet waren, ist unbekannt. Es ist aber davon auszugehen, dass sie dort ermordet wurden. Evas Mutter Mina Blumenberg, eine Schwester von Abraham, und ihr Ehemann Michael wurden ebenfalls zum Umzug in die Ickstattstraße gezwungen, wo Mina im September 1941 starb. Michael Blumenberg wurde noch im hohen Alter nach Treblinka verschleppt und im September 1942 ermordet.

Rabbiner Jan Guggenheim beschloss die Veranstaltung mit dem »El Male Rachamim«.

Stadtrat Stefan Jagel, der in Vertretung für den erkrankten Oberbürgermeister Dieter Reiter sprach, bedankte sich bei den Angehörigen für ihre »Stärke und das Vertrauen in diese Initiative«. Denn ihre Anwesenheit bringe auch die Erinnerung an ihre Vorfahren wieder näher. »Viel zu häufig sind die Erinnerungszeichen die einzigen Orte, an denen sie um ihre Verwandten trauern können«, betonte Jagel. Auch Benoît Blaser vom Bezirksausschuss Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt dankte den Angehörigen für ihre Berichte: »Es berührt mich, ein Teil dieses Projekts zu sein.«

»Wir alle sind ein Glied in der Kette dieser Familie«

Stefan Wimmer, der als Fachreferent für Hebraica und den Alten Orient an der Bayerischen Staatsbibliothek tätig ist, erinnerte schließlich an Eliezer Schindler, Sohn von Abraham Schindler. Der Dichter, der seine Werke auf Jiddisch verfasste, bekomme in München viel zu wenig Aufmerksamkeit, erklärte Wimmer. 1939 konnte er in die USA fliehen, wo seine Familie sich im Reformjudentum engagierte. Eliezers Enkelin Judith erklärte in ihrer Ansprache: »Wir alle sind ein Glied in der Kette dieser Familie.« Die Gedenkveranstaltung beschloss Rabbiner Jan Guggenheim mit dem Gebet »El Male Rachamim«.

Im Anschluss fand mithilfe der städtischen Koordinierungsstelle für Erinnerungszeichen die Anbringung und förmliche Übergabe der Erinnerungszeichen für Necha und Abraham Schindler sowie für Judith, Eli, Issachar Dow und Klara Steinberg an der Buttermelcherstraße statt sowie danach in der Westermühlstraße für Mina und Michael Blumenberg, Eva und Leon Mandel und deren Tochter Klara Krippel.

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