Köln

Garderobe für den kleinen Geldbeutel

Acht Stufen einer schmalen Steintreppe führen in das Untergeschoss. Nach wenigen Metern öffnet sich die Tür zu einem fensterlosen, gut zwei Meter niedrigen Raum. Auf knapp 30 Quadratmetern befinden sich an einer Wand dicht behängte mobile Kleiderständer. Auf der gegenüberliegenden Seite steht ein Regal aus rund fünf Meter langen Brettern, auf denen sorgfältig gestapelt zahlreiche Kleidungsstücke liegen. Das Warenangebot reicht bis unter die Decke, an der mehrere silberfarben isolierte Rohre verlaufen.

Jeder Zentimeter des Raums wird ausgenutzt. »Willkommen in der Boutique«, begrüßt Galina Berova ihre Besucher, während sie ein gut erhaltenes T-Shirt aus Zeiten der Sowjetunion mit der Aufschrift »CCCP« fein säuberlich auf einen Bügel hängt und an einer grauen Stellwand befestigt – neben einem Handspiegel, einem Regenschirm sowie einem alten Wimpel, auf dem sich russische Schriftzeichen und ein Bild Lenins befinden.

Die Kleiderkammer wirkt wie ein Sammelsurium verschiedenster Objekte.

»Die Boutique« ist der liebevolle Ausdruck für eine Kleiderkammer, und Galina Berova ist ihre Hüterin. Seit 15 Jahren kümmert sie sich um dieses Angebot im Wohlfahrtszentrum der Synagogen-Gemeinde Köln (SGK). In Moskau hat sie als Radioingenieurin und später als Handarbeitslehrerin gearbeitet. Als sie in die Kölner Gemeinde kam und dort eine freiwillige Helferin für die Kleiderkammer gesucht wurde, hat sie sofort zugesagt. »Es ist eine sehr erfüllende Aufgabe.« Seit drei Jahren wird sie dabei von der gelernten Betriebswirtin und Buchhalterin Irina Scegelova-Minkovskij unterstützt. »Wir bieten den Hilfebedürftigen gute Kleidung sowie Gebrauchsgegenstände und somit echte Hilfe an«, sagen die beiden Frauen.

Angebot Zum breiten Angebot gehören Pullover, T-Shirts und Hemden, Hosen und Schuhe, Mäntel, Sportsachen, Schlafanzüge und Jacken aller Größen für Frauen, Männer und Kinder. Es gibt eine Kiste für Schwimmbrillen und eine für Krawatten. Daneben gibt es ein reichhaltiges Angebot an Haushalts-, Gebrauchs- und Einrichtungsgegenständen aller Art – etwa Handtaschen, Geschirr und Besteck, Brillen, Stofftiere, Bilder, Wanduhren oder Blumenvasen, Spielzeug, Bettwäsche, Bilder und Bücher.

Ein alter Stadtplan des noch geteilten Berlin schaut aus der Bananenkiste hervor.

Ein alter Stadtplan des noch geteilten Berlin schaut neben einer Kaffeekanne aus einem Karton hervor, mit dem einmal Bananen transportiert worden sind. In einem rosafarbenen Karton stapeln sich sorgfältig übereinandergelegt Kippot. Das bekannte Logo, der siebenarmige Leuchter, sowie der Schriftzug »ZWST« (Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland) steht auf der obersten Kopfbedeckung.

Akkurat werden Kleidungsstücke nach Farben, ähnlich wie bei einem Malkasten, und nach Jahreszeiten sortiert. Die Kleiderkammer mutet auf den ersten Blick wie ein Sammelsurium unterschiedlichster Objekte an. Doch beim genauen Hinschauen wird schnell deutlich: Alles hat seinen festen Platz, ist genau eingeordnet und zugeteilt sowie überschaubar und direkt erkennbar.

Umzug Als im Herbst 2004 alle Abteilungen der SGK in das neu errichtete Wohlfahrtszentrum im Kölner Stadtteil Ehrenfeld zogen, fand auch die Kleiderkammer eine neue Bleibe. Wie schon zuvor am Standort der Synagoge an der Roonstraße befindet sie sich im Untergeschoss und wird seitdem von Galina Berova betreut. Sie steht damit in einer Reihe von ehrenamtlichen Gemeindemitgliedern, die sich in den Jahrzehnten davor um die Kleiderkammer verdient gemacht haben. Nur wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, bereits 1949, wurde erstmals das Sammeln von Kleidung für bedürftige Gemeindemitglieder organisiert. Praktizierte Nachhaltigkeit, seit Jahrzehnten.

Schadhafte Kleidung wird von Hand ausgebessert.

»Heute stammen unsere Kunden in erster Linie aus der ehemaligen Sowjetunion«, sagt Berova. Irina Scegelova-Minkovskij ergänzt: »Diese Menschen bekommen oftmals nur Arbeitslosengeld oder Grundsicherung.« Armut sei seit jeher ein schwieriges Thema in jüdischen Gemeinden, weiß Berova. »Es ist stets mit einem Gefühl der Scham verbunden.« Für Betroffene sei dies wie ein Stigma, es falle ihnen daher auch sehr schwer, öffentliche Hilfen zu beanspruchen. »Zum Glück haben wir hier mit den Einrichtungen der Synagogen-Gemeinde ein sehr enges Netzwerk, das diese Menschen trägt.«

Zu den Kunden gehören manchmal auch junge Menschen, die beispielsweise etwas Ausgefallenes aus längst vergangenen Zeiten suchen, »Vintage« lautet das Stichwort heutzutage neudeutsch. Zudem suchen auch Mitarbeiter des Pflegepersonals nach neuen Sachen aus den Secondhand-Waren der Kleiderkammer für Bewohner des Wohlfahrtszentrums.

Stammkunden Darüber hinaus kommen immer wieder Stammkunden, um etwas für ihre hilfsbedürftigen Angehörigen, etwa in Osteuropa, auszusuchen. »Auch hier helfen wir natürlich sehr gerne weiter«, sagt Berova, weist jedoch darauf hin: »Die Kosten für den Versand können wir aber nicht übernehmen.«

Zweimal in der Woche, dienstags und donnerstags von 11 bis 15 Uhr, arbeiten Berova und Scegelova-Minkovskij in der »Boutique« auf Hochtouren. Neue Kleiderspenden von Gemeindemitgliedern oder anderen Kölner Bürgern müssen gesichtet und einsortiert werden. Kleidungsstücke werden in der Regel auf Russisch ausgezeichnet in Bezug auf die Größenangabe für Frauen, Männer und Kinder. Bei Kleidung für Kinder wird zudem auf das Alter hingewiesen, für das das Kleidungsstück infrage kommen könnte.

Zweitverwertung Mitunter kommen auch Sachen zurück, die Berova und Scegelova-Minkovskij selbst ausgegeben hatten. Wenn die »Ware« dann immer noch in gutem Zustand ist, wird sie wieder einsortiert. Kleidung, die Beschädigungen aufweist, wird erst einmal aussortiert und später ausgebessert – da muss der eine oder andere Knopf angenäht oder ein klemmender Reißverschluss repariert werden.

»Wir bieten nur gute Ware in einwandfreiem Zustand an«, betont Galina Berova den Qualitätsanspruch der »Boutique«. Das kommt bei den Kunden gut an, immer wieder hören die freiwilligen Helferinnen: »Wie schön, das wollte ich schon immer einmal haben.« Die Kunden nehmen das Angebot dankbar an und loben den Zustand der Kleidungsstücke durchweg. Gemeindemitglieder, die vorbeischauen und durch das bunte Angebot stöbern, haben sogar die Möglichkeit, die ausgesuchte Ware in einer kleinen Umkleidegarderobe anzuprobieren. »Jeder kann kommen«, laden die beiden Frauen in ihrer ebenso warmherzigen wie diskreten Art ein und betonen: »Niemand wird abgewiesen.«

Sachsen

Landesbeauftragter: Jüdisches Leben auch in Sachsen gefährdet

Die Hemmschwelle, in eine Synagoge zu gehen, sei größer geworden, sagt Thomas Feist (CDU)

 25.04.2024

Pessach

Vertrauen bewahren

Das Fest des Auszugs aus Ägypten erinnert uns daran, ein Leben in Freiheit zu führen. Dies muss auch politisch unverhandelbare Realität sein

von Charlotte Knobloch  22.04.2024

Pessach

Das ist Juden in Deutschland dieses Jahr am wichtigsten

Wir haben uns in den Gemeinden umgehört

von Christine Schmitt, Katrin Richter  22.04.2024

Bayern

Gedenkveranstaltung zur Befreiung des KZ Flossenbürg vor 79 Jahren

Vier Schoa-Überlebende nahmen teil – zum ersten Mal war auch der Steinbruch für die Öffentlichkeit begehbar

 21.04.2024

DIG

Interesse an Israel

Lasse Schauder über gesellschaftliches Engagement, neue Mitglieder und die documenta 15

von Ralf Balke  21.04.2024

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024