Identität

Ganz traditionell

Wir-Gefühl: Soziale Kontakte sind den jungen Menschen wichtig, die finden sie vor allem in den jüdischen Jugendzentren. Foto: Nikolai Wolff / fotoetage

Alex reagiert zurückhaltend, wenn er auf das Thema Religion angesprochen wird. Wie viele seiner Freunde, die auch aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion zugewandert sind, ist er nicht religiös erzogen worden. Dennoch ist die Menora auf dem Tisch zu Hause genauso üblich wie ein Essen mit der ganzen Familie zu Chanukka. Deswegen versteht der Student für Maschinenbau sich selbst auch als Jude.

Ähnlich ergeht es der 21-jährigen Tanja. Die Familie ihres Vaters stammt aus Odessa und war sehr religiös. Während der Schoa wurde der größte Teil dieser Familie ermordet, und damit ging auch die religiöse Prägung verloren. Ihre Verwandten in den USA seien da ganz anders, erzählt Tanja.

Sie feiern die jüdischen Festtage, die Jungen lernen Hebräisch für ihre Barmizwa, und die meisten von ihnen sind auch beschnitten. Die 21-Jährige steht einer solchen Religiosität skeptisch gegenüber. Ihr Judentum vermisse sie in ihrem privaten Leben nicht. In ihrer Freizeit betreibt sie gerne Kampfsport und hört Rockmusik. Einzig den Festen aus ihrer Kindheit und gemeinsam Lieder wie Hava Nagila und Tumbalalaika zu singen, trauert sie nach.

Gegenbeispiele Ähnliche Eindrücke hat auch Rabbiner Jonah Sievers von russischsprachigen Jugendlichen gewonnen. Wie die meisten jüdischen Gemeinden in Deutschland prägen sie auch die Gemeinden in Niedersachsen. »Bedingt durch die Eltern, die sich in der antireligiösen Sowjetunion von ihrem Judentum komplett distanzieren mussten, haben deren Kinder seltener einen Bezug zur Religion«, stellt der niedersächsische Landesrabbiner fest. Pauschalisieren könne man dabei natürlich nicht, weil es auch viele Gegenbeispiele gebe, sagt Sievers. Die Verbindung zur jüdischen Gemeinde fänden die Jugendlichen vor allem über jüdische Jugendzentren.

In Berlin leitet Xenia Fuchs das Jugendzentrum Olam. Jeden Sonntag bietet sie Gruppenaktivitäten an, um Kindern und Jugendlichen ihrem Alter entsprechend das Judentum zu vermitteln. Mit dem sozialen Zusammenhalt wachse auch die Verbindung zum Glauben, hofft die Leiterin.

»Die große Lücke klafft vor allem bei den 13- bis 18-Jährigen«, sagt der Düsseldorfer Gemeinderabbiner Julian-Chaim Soussan. Den Jugendlichen seien in diesem Alter soziale Kontakte wichtiger als Religion, weswegen sie in Jugendzentren oft die besseren Ansprechpartner fänden. Um besonders jungen Menschen die Religion zugänglicher zu machen, legt Soussan viel Wert darauf, sie aktiv in den Gottesdienst einzubeziehen.

»Wenn die Jugendlichen das Gebet von Hause aus nicht kennen, dann muss man es ihnen eben erklären. Dazu gehört auch zu berücksichtigen, dass sie nur selten des Hebräischen mächtig sind.« Beim Gemeindekiddusch lässt Soussan die jungen Leute auch eigene Ansprachen halten. Das Material erhalten sie für eine Woche von ihm, können es zu Hause lesen und studieren, um es dann vor ihrer Gemeinde vorzutragen.

Pflichtbewusstsein »Auch weniger religiöse Juden nehmen wieder an den Gottesdiensten teil«, sagt Soussan. Neben dem sozialen Aspekt macht der Rabbiner einen anderen wichtigen Punkt aus: das Bedürfnis, das Richtige zu tun. Das Judentum definiere eindeutig, was richtig und was falsch sei. Auch nichtreligiösen Juden sei das in der Regel bewusst, und so geben sie es auch an ihre Kinder weiter. Das Bedürfnis, die Traditionen der Vorfahren wenigstens zu einem Teil zu wahren, führt dann auch einige gelegentlich in die Synagoge.

Für Felix hingegen spielt das Judentum keine Rolle. Sein Vater ist jüdischer und seine Mutter christlicher Herkunft, weswegen es für ihn nur Agnostiker oder Atheisten gibt. Er unterscheidet nicht zwischen Juden, Christen oder Muslimen und sieht sich keiner Religion zugehörig. Je älter er werde, um so kritischer sei sein Verhältnis zu ihr, erzählt der 23-Jährige. Dennoch bliebe sein Glaube aber bestehen. Als Ingenieursstudent neigt er nicht dazu, sich Unbegreifbares durch eine höhere Macht zu erklären.

Zuflucht Religion bietet seiner Auffassung nach viel mehr eine Zuflucht, um Erlebnisse zu verarbeiten. Durch Freunde, die aus Afrika stammten, erfuhr er, dass die Bindung zur Religion stärker ist, je schwieriger die Lebensumstände sind. »Die gesellschaftliche Verlässlichkeit, die wir hier als normal empfinden, gibt es dort in der Form nicht. Um sich sicher zu fühlen, suchen die Menschen ihren Halt in der Religion. Je sicherer sich die Menschen im Wohlstand fühlen, umso mehr kehrten sie sich von der Religion ab«, sagt Felix.

Alex, Tanja und Felix zeigen, dass die künftige Generation ihren Glauben nicht verlieren wird. Tanjas Familie geht zu den verschiedenen Feiertagen immer noch in die Synagoge. Alex feiert mit seiner Familie Pessach sogar in der Gemeinde, und zum jüdischen Neujahr versammelt sie sich traditionell zum Essen.

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