ZWST

Füreinander, miteinander

Digitalisierung, Senioren, Kompe­tenzzentrum oder Fortbildung und Migrationsberatung – bereits ein kurzer Blick auf die Webseite der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) vermittelt einen guten Eindruck davon, wie breit die soziale Dachorganisation der 104 jüdischen Gemeinden hierzulande im 70. Jahr nach ihrer Neugründung aufgestellt ist.

Zugleich zeigt sich die enge Vernetzung mit den anderen fünf Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege in Deutschland. Dabei orientiert sich die ZWST in ihrer Arbeit stets an den Regeln der Zedaka, dem jüdischen Prinzip der Wohltätigkeit und einem der wichtigsten Gebote der Halacha.

Gesellschaft Dass jüdische Sozialarbeit heute so nachhaltig in der Gesellschaft verankert ist, konnte 1951 im Jahr der Neugründung der ZWST wohl kaum jemand erahnen. Eher das Gegenteil schien auf der Agenda zu stehen. »Man betrachtete sich als ein Provisorium«, weiß Aron Schuster zu berichten. »In der Vorstellung der Verantwortlichen von damals sollte es eine Wiedergründung auf Zeit sein«, so der ZWST-Direktor. »Niemand wollte unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg an dauerhafte Strukturen denken.«

Die Versorgung und Betreuung der vielen Tausend jüdischen Displaced Persons aus dem östlichen Europa, die in Deutschland gestrandet waren und weiter nach Israel oder in die USA wollten, sollten die zentralen Aufgabenbereiche der ZWST sein.

»Die Integration von Neuankömmlingen zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Arbeit.«

ZWST-Direktor Aron Schuster

Damit verhielt man sich analog zu den sogenannten Liquidationsgemeinden, also jenen neu gegründeten jüdischen Gemeinden, die sich mehrheitlich als Übergangseinrichtungen definierten.

Fast alle ihre Satzungen nannten als Zielsetzung die unterstützende Vorbereitung der Emigration ihrer Mitglieder. Denn ein jüdisches Leben in Deutschland schien nach der Schoa undenkbar. In diesem Kontext sah auch die ZWST ihre Arbeit. Doch die Geschichte sollte bekanntermaßen eine andere Entwicklung nehmen.

Name Dennoch »unterscheidet sich die ZWST von allen anderen jüdischen Strukturen, die nach 1945 geschaffen wurden«, betont Schuster. »Als einzige knüpft sie explizit an eine Vorkriegsorganisation an, und zwar an die bereits 1917 gegründete ›Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden‹. Das ist definitiv ein Alleinstellungsmerkmal.«

Dass am 20. August 1951 ein etwas anderer Name gewählt wurde, dafür gibt es gute Gründe. »Die absolute Mehrheit der Juden, die in der jungen Bundesrepublik lebte, stammte aus dem östlichen Europa. Dem wollte man mit der neuen Bezeichnung ›Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland‹ Rechnung tragen.«

»Die Änderungen im Titel können geringfügig erscheinen, und doch sind auch sie ein Ausdruck der Katastrophe, die in den Jahren, welche der Auflösung der alten ZWST folgten, über das Judentum hereinbrach«, brachte es damals die »Allgemeine Jüdische Wochenzeitung« auf den Punkt. Nach dem Eintrag in das Vereinsregister von Hamburg im Februar 1952 erfolgte die Anerkennung durch das Bundesinnenministerium und später die Aufnahme in die heutige Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege.

spitzenverband »Es war kein leichtes Unterfangen, einen Spitzenverband der jüdischen Wohlfahrtspflege auf den Trümmern einer untergegangenen Welt neu entstehen zu lassen«, erinnerte sich Max Willner, ZWST-Direktor in den Jahren zwischen 1959 und 1980.

Sein Vorgänger Berthold Simonsohn hatte die ZWST fast noch wie einen Ein-Mann-Betrieb geführt. Er sorgte dafür, dass man die alten Statuten von vor 1933 um einen wichtigen Passus ergänzte, der für die ZWST-Arbeit von entscheidender Bedeutung war, und zwar die Mitwirkung bei der gesetzlichen Regelung der Wiedergutmachungsansprüche – schließlich befand sich die Mehrheit der Juden in einer prekären Lage.

»Es ist aber ein unvorstellbarer Gedanke, dass Menschen, die so Schweres erlebt haben, heute in größter Not, ja, unter dem Existenzminimum zu leben gezwungen sind«, so Simonsohn 1952 in der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung.

Generation »Simonsohn, Willner, aber auch die langjährige Vorsitzende Jeanette Wolff waren alle Überlebende der Schoa«, so ZWST-Direktor Schuster. »Mit dem legendären Beni Bloch kam dann 1987 ein Vertreter der jüngeren Generation ans Ruder.« Zudem war aus dem Provisorium mittlerweile längst eine Organisation geworden, die nicht nur mehr Mitarbeiter zählte, sondern auch immer neue Aufgaben in Angriff nahm. Kurzum, man professionalisierte sich stetig, hatte in Deutschland Wurzeln geschlagen.

Einen Schwerpunkt bildete dabei von Anfang an die Jugendarbeit mit ihren vielen Freizeitangeboten – Stichwort Machanot. Es wurden Madrichim ausgebildet, die bis heute dafür Sorge tragen, dass auch in kleineren Gemeinden Kinder und Jugendliche spannende und prägende Momente in jüdischer Atmosphäre genießen können. Nicht zu vergessen der als JuKo bekannte Jugendkongress für junge Erwachsene, aus dem schon so manche Familie hervorgegangen ist.

Einen Schwerpunkt bildete von Anfang an die Jugendarbeit.

Ein wichtiger Baustein ist ebenfalls das Projekt 18+, in dessen Rahmen »Reisen gegen das Vergessen« für junge Erwachsene, beispielsweise nach Auschwitz, organisiert werden.

»Eines zieht sich aber seit den Anfängen 1951 bis heute wie ein roter Faden durch unsere Arbeit, und das ist die Integration von Neuankömmlingen«, betont Schuster. Damals waren es die Displaced Persons, seit den 90er-Jahren die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion.

Corona Immer wieder stellte man sich so neuen Herausforderungen, zuletzt bei der Entwicklung von Strategien zur Bewältigung der Corona-Krise oder der Organisation von Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen der jüngsten Flutkatastrophe im Juli.

»In den vergangenen Jahren kam noch etwas hinzu, das uns bedauerlicherweise sehr beschäftigt«, sagt Schuster und meint damit den wachsenden Antisemitismus. »Dafür haben wir eigens das Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment geschaffen, das in Partnerschaft mit Ofek e.V für die Betroffenen von antisemitischer Gewalt oder Diskriminierung eine ganze Palette von Beratungsangeboten bereithält.«

Man sieht also: Jüdische Sozialarbeit im Jahr 2021 ist schon längst mehr als nur reine Hilfe zur Selbsthilfe. Und genau dieser Entwicklung trägt die ZWST auch im 70. Jahr ihres Bestehens Rechnung. Masal tow!

Sachsen

Landesbeauftragter: Jüdisches Leben auch in Sachsen gefährdet

Die Hemmschwelle, in eine Synagoge zu gehen, sei größer geworden, sagt Thomas Feist (CDU)

 25.04.2024

Pessach

Vertrauen bewahren

Das Fest des Auszugs aus Ägypten erinnert uns daran, ein Leben in Freiheit zu führen. Dies muss auch politisch unverhandelbare Realität sein

von Charlotte Knobloch  22.04.2024

Pessach

Das ist Juden in Deutschland dieses Jahr am wichtigsten

Wir haben uns in den Gemeinden umgehört

von Christine Schmitt, Katrin Richter  22.04.2024

Bayern

Gedenkveranstaltung zur Befreiung des KZ Flossenbürg vor 79 Jahren

Vier Schoa-Überlebende nahmen teil – zum ersten Mal war auch der Steinbruch für die Öffentlichkeit begehbar

 21.04.2024

DIG

Interesse an Israel

Lasse Schauder über gesellschaftliches Engagement, neue Mitglieder und die documenta 15

von Ralf Balke  21.04.2024

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024