Erinnerung

Für Recha, Nanni und Jette

Es war 2005, als Benita Stolz bei einem Städteurlaub in Hamburg in einer kleinen Seitenstraße innehielt. Sie stand zum ersten Mal vor einem Stolperstein, einer kleinen Messingtafel des Künstlers Gunter Demnig. Die erfüllte genau ihren gewünschten Zweck: Stolz blieb stehen, las die Inschrift und dachte nach.

Die Steine erinnern an deportierte, verschleppte und ermordete Opfer der Nationalsozialisten, indem sie vor der letzten frei gewählten Wohnadresse im Trottoir liegen. Stolz nahm die Idee mit nach Würzburg. Keine Stadt in Bayern hat inzwischen mehr Stolpersteine verlegt.

BIOGRAFIEN Nun wird mit 40 kleinen Messingplatten und einer Gedenkschwelle an Menschen erinnert, die von den Nazis ermordet wurden. Unter anderem an Recha Asch, Nanni Kurzmann oder Jette Kurzmann.

»Es ist eine Form des Gedenkens, die unmittelbar und sehr persönlich ist.«

Zentralratspräsident Josef Schuster

Bereits am Donnerstag gab es eine Gedenkveranstaltung im »Künstlerkeller«. In seinem Grußwort sagte Zentralratspräsident Josef Schuster: »Die Anzahl der kleinen Messingplatten sagt nichts über das Schicksal der dort genannten Menschen. Es ist der einzelne Stolperstein, der Auskunft über jeden einzelnen früheren Nachbarn gibt, der in diesem Haus, in diesem jüdischen Krankenhaus, in diesem jüdischen Altersheim lebte und von dort in den Tod deportiert wurde.«

Schuster lobte das Kunstprojekt Stolperstein: »Es ist eine Form des Gedenkens, die unmittelbar und sehr persönlich ist. Der ›verschwundene Nachbar‹, die ›verschwundene Nachbarin‹, ihr Leben und ihr Tod berühren den Nachforschenden unmittelbar.«

Erfolg Ob das Projekt Stolpersteine mit mehr als 75.000 Steinen in ganz Europa gerade auch in Würzburg solch ein Erfolg werden würde, war Benita Stolz anfangs gar nicht so sicher. »Ich habe zuerst Kontakt mit Josef Schuster aufgenommen«, erzählt sie. Der Würzburger Schuster war damals zwar noch nicht Zentralratspräsident, wohl aber Präsident des bayerischen Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden. »Ich war von Demnigs Projekt von Anfang an begeistert«, sagt Schuster. »Sobald man so einen Stein sieht, weiß man, hier hat ein Opfer des NS-Regimes gelebt.«

Auf etwas mehr als 213 Einwohner kommt in Würzburg ein Stolperstein.

Stolz - damals Grünen-Stadträtin in Würzburg - erstellte Dossiers über das Projekt, über bereits verlegte Stolpersteine im benachbarten Kitzingen, warb bei den anderen Fraktionen um Zustimmung und bekam schließlich einen nahezu einstimmigen Stadtratsbeschluss. Unter den ersten 18 Steinen, die am 17. Juli 2006 verlegt wurden, waren auch jene für die Familie Ruschkewitz. Die jüdischen Kaufleute wurden von den Nationalsozialisten enteignet, profitiert hat davon unter anderem auch Josef Neckermann, der spätere Gründer und Chef des gleichnamigen Versandhauses.

Etwa zweimal pro Jahr organisiert der Arbeitskreis Würzburger Stolpersteine eine Verlegung, gut 600 Steine gibt es bereits in der Stadt. Damit gehört Würzburg zu den zehn deutschen Städten mit den meisten Stolpersteinen überhaupt. Natürlich liegen in Großstädten wie Berlin (8765) oder Köln (2300) absolut mehr Stolpersteine, gemessen an der Zahl der Einwohner gibt es allerdings in keiner anderen dieser Städte mehr der kleinen Gedenksteine: Auf etwas mehr als 213 Einwohner kommt in Würzburg ein Stolperstein, in Berlin sind es mehr als 418 Einwohner, in Köln mehr als 472.

Aufarbeitung Für die Verbreitung der Stolpersteine in Würzburg gibt es laut dem Historiker Roland Flade gleich mehrere Gründe. »Dass kurz nach der Schoa in Würzburg wieder eine jüdische Gemeinde existierte und diese ab dem Jahr 1956 mit David Schuster einen Vorsitzenden hatte, der bewusst den Finger in die Wunde gelegt und an die NS-Gräueltaten erinnert hat, war sicher wichtig«, sagt Flade. Zudem gibt es in Würzburg einen der größten Bestände an Gestapo-Akten überhaupt. Die NS-Verbrechen sind gut dokumentiert und wurden seit den 80er-Jahren wissenschaftlich aufgearbeitet.

»Darüber hinaus kamen zwei wichtige jüdische Menschen zufällig aus Würzburg«, sagt Flade. Zum einen Jehuda Amichai, einer der berühmtesten Dichter Israels, der die NS-Zeit in Würzburg in sein Werk einfließen ließ. Zum anderen Herbert Arthur Strauss, der spätere Gründer des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, der auch in Würzburg gewirkt hatte. Im Jahr 1987 kam der Sensationsfund der »Würzburger Judensteine« hinzu. Beim Abriss eines Gebäudes waren überraschend 1500 jüdische Grabsteine aus dem Mittelalter im Gemäuer gefunden worden.

Engagement »Die Erinnerungskultur in Würzburg ist sehr lebendig, sie ist außergewöhnlich stark in der Breite der ganzen Stadtgesellschaft verankert«, sagt Flade. Auf diese breite Basis konnte Benita Stolz mit ihrer Idee für Stolpersteine in Würzburg zurückgreifen, ist der Historiker überzeugt. Zentralratspräsident Josef Schuster sieht das ganz ähnlich: »Die Stolpersteine in Würzburg sind Ausdruck eines breiten bürgerschaftlichen Engagements gegen das Vergessen.« mit ja

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