Ausstellung

Fragile Existenz

Mit Stolz und einer Spur Genugtuung präsentiert Hugo Spiegel seine Auszeichnungen. 1962 ist er im Schützenverein »Hinter den drei Brücken« im westfälischen Warendorf Schützenkönig geworden – wohl als erster Jude in der Bundesrepublik überhaupt. Sein Sohn, der Journalist und spätere Zentralratspräsident Paul Spiegel (1937–2006), erinnerte sich einst, dass sein Vater, der nie über die Vergangenheit gesprochen habe, damals im Familienkreis sagte: »Seht ihr! Es war richtig, heim nach Warendorf zu kehren!« – um dann sofort seiner in Auschwitz ermordeten Tochter Rosa zu gedenken

Den sichtbarsten Ausdruck der Rückkehr der Familie Spiegel in ihre angestammte westfälische Heimat setzte Leonard Freed (1929–2006) ins Bild. Der amerikanisch-jüdische Fotograf kam Anfang der 60er-Jahre in die junge Bundesrepublik, um das nach der Schoa wieder entstehende jüdische Leben festzuhalten. Freed reiste unter anderem nach Bad Sobernheim, Düsseldorf, Frankfurt sowie nach Köln und West-Berlin. 52 seiner damals entstandenen Aufnahmen erschienen 1965 in dem von Texten begleiteten Bildband Deutsche Juden heute. Unter diesem Titel zeigt das Jüdische Museum Berlin bis zum 27. April nun erstmals alle diese Fotos, die es von Freeds Witwe Brigitte erworben hat.

Geballte Energie und Zukunftsgewandtheit

Die Schwarz-Weiß-Bilder eröffnen einmalige Einblicke in die sich im Land der Täter neu formierende jüdische Gemeinschaft. Während intellektuelle Remigranten wie Ludwig Marcuse oder Willy Haas die »deutsch-jüdische Symbiose« der Weimarer Republik repräsentieren – und deren Hinfälligkeit auch durch ihr eigenes Alter unterstreichen –, fallen die Bilder der jungen Generation als Kontrast ins Auge.

Ob beim Ausflug zu einer Burg im Oberen Mittelrheintal, bei einer Barmizwa-Feier in Düsseldorf oder einer Hawdala-Zeremonie in Frankfurts polnischer Gebetsstube: Die von Freed fotografierten jüdischen Kinder und Jugendlichen strahlen geballte Energie und Zukunftsgewandtheit aus.

Der Fotograf kam Anfang der 60er-Jahre in die junge Bundesrepublik.

Ihre Eltern und Großeltern, die jahre­lange Flucht, Ghettos und Konzentrationslager überlebt hatten und oftmals unfreiwillig als »Displaced Persons« in der Bundesrepublik strandeten, müssen überwältigend große Hoffnungen in die junge Generation gesetzt haben. Schließlich wollten sie ihren Kindern und Enkeln das normale (jüdische) Leben ermöglichen, das ihnen von den Nationalsozialisten und ihren Helfern brutal entrissen wurde.

Wie präsent die NS-Vergangenheit damals noch war, zeigt das 1961 in Mainz aufgenommene Foto mit dem Polizeichef der Stadt im Jüdischen Gemeindehaus. Uniform, Haarschnitt und Habitus des Polizeibeamten lassen an den Nationalsozia­lismus denken, der zu diesem Zeitpunkt noch keine 20 Jahre zurücklag. Was der nicht mehr ganz junge Polizeichef, der ungläubig sein Kippa tragendes Gegenüber mustert, wohl im Zweiten Weltkrieg gemacht haben mag, fragt sich der Betrachter.

Herbert Lewin und der erste größere antisemitische Skandal in der Nachkriegszeit

Was Juden in der frühen Bundesrepublik über sich ergehen lassen mussten, lässt sich am Beispiel des Arztes und Schoa-Überlebenden Herbert Lewin (1899–1982) illustrieren, den Freed 1964 in Offenbach porträtierte. Lewin, zu dieser Zeit Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, stand im Mittelpunkt des ersten größeren antisemitischen Skandals in der Nachkriegszeit.

1948 wurde seine Berufung zum Chefarzt der Städtischen Frauenklinik in Offenbach zunächst vom Magistrat abgelehnt. Der Zweite Bürgermeister der Stadt soll dies mit den »Ressentiments« von Lewins »Rasse« und mit dem »Rachegefühl des KZ’lers« begründet haben, während der Oberbürgermeister meinte, der Magistrat entscheide quasi »über das Schicksal der Offenbacher Frauen«. Hoffnung und Neubeginn inmitten der Gegenwart der Vergangenheit: Leonard Freeds unbedingt sehenswerte Fotos führen all diese Widersprüche vor Augen, in denen das jüdische Gemeindeleben, wie wir es heute kennen, entstand.

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025

Berlin

Touro University vergibt erstmals »Seid Menschen«-Stipendium

Die Touro University Berlin erinnert mit einem neu geschaffenen Stipendium an die Schoa-Überlebende Margot Friedländer

 12.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025

Vertrag

Jüdische Gemeinde Frankfurt erhält mehr Gelder

Die Zuwendungen durch die Mainmetropole sollen bis 2031 auf 8,2 Millionen Euro steigen

von Ralf Balke  11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025

Hannover

Ministerium erinnert an 1938 zerstörte Synagoge

Die 1938 zerstörte Neue Synagoge war einst mit 1.100 Plätzen das Zentrum des jüdischen Lebens in Hannover. Heute befindet sich an dem Ort das niedersächsische Wissenschaftsministerium, das nun mit Stelen an die Geschichte des Ortes erinnert

 10.11.2025

Chidon Hatanach

»Wie schreibt man noch mal ›Kikayon‹?«

Keren Lisowski hat die deutsche Runde des Bibelquiz gewonnen. Jetzt träumt sie vom Finale in Israel

von Mascha Malburg  10.11.2025