Biografie

Erfindergenie und erfolgreicher Unternehmer

Ulrich Chaussy, langjähriger Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks, ist das, was man einen investigativen Journalisten nennt. Begegnungen und Aufträge lösen bei ihm oft eine lebenslange Beschäftigung mit einem Thema aus. Ein Treffen mit dem Rechtsberater von Opfern des Oktoberfest-Attentats führte 1985, fünf Jahre nach dem Anschlag, zu einem Buch, 2013 unter der Regie von Daniel Harrich zu einem Film und 2020 wegen gravierender Ermittlungsfehler sogar zu einem Wiederaufnahmeverfahren.

Als Nebeneffekt zu seinen Recherchen zum Oktoberfest-Attentat stieß Chaussy auf den antisemitisch motivierten Mord an Shlomo Lewin und dessen Lebensgefährtin Frida Poeschke 1980 in Erlangen und wies auch hier die Blindheit der deutschen Justiz auf dem rechten Auge nach. Im Zuge einer Reportage über den Obersalzberg, den Hitler 1923 erstmals besuchte und zum dauerhaften Zweitwohnsitz für sich ausbauen ließ, stieß Chaussy ausgerechnet dort auf das Schicksal des Erfinders, zeitweiligen Obersalzbergers und schließlich Verfolgten des NS-Regimes, Arthur Eichengrün.

Eigentlich wollte Chaussy sein Buch über den »Mann, der alles erfinden konnte, nur nicht sich selbst« schon zum Europäischen Tag der jüdischen Kultur im September 2023 im Jüdischen Gemeindezentrum vorstellen. Damals musste er sich noch mit einer Performance mit Lesung, Rezitation und Musik begnügen. Inzwischen ist sein Buch erschienen, das er auf Einladung des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur vor Kurzem im Historicum der Ludwig-Maximilians-Universität vorstellte.

Viele Berufszweige in Personalunion

In der Sammlung des Deutschen Museums ist Arthur Eichengrün kein Unbekannter, auch wenn seine Verdienste für bahnbrechende Erfindungen in der NS-Zeit in der Versenkung verschwanden. Der 1867 in Aachen geborene Chemiker vereinte viele Berufszweige in Personalunion. Er war pharmazeutischer Forscher, mit Kenntnissen in Ingenieurwesen, und erfolgreicher Unternehmer. Eichengrün erfand mit »Cellon« einen Kunststoff, der revolutionär ebenso für erste Tonaufzeichnungen wie auch für die Außenbeschichtung von Luftschiffen war. Er war maßgeblich für die Aspirin-Entdeckung verantwortlich.

Seine Biografie, und das zeichnet Ulrich Chaussy akribisch nach, erweist sich als Musterbeispiel des Aufstiegs eines jüdischen Jungen zum assimilierten Akademiker. 1894 – kurz vor seiner ersten Ehe – trat er aus der jüdischen Gemeinde aus, bezeichnete sich als »freireligiös«. Von 1915 bis 1932 war die Sommerresidenz am Obersalzberg ein zweiter Wohnsitz für die Großfamilie Eichengrün.

Mit »atemberaubender Geschwindigkeit«, so Chaussy, verlor Eichengrün 1933 die Leitung der von ihm gegründeten »Cellon-Werke«. Aufhören konnte er trotzdem nicht. Zwischen 1933 und 1940 entstanden 28 Erfindungen, reif zur Patentierung. 1943 wurde der inzwischen 76-Jährige von der Gestapo in Berlin verhaftet, um ab Mai 1944 »auf Lebenszeit in Theresienstadt bleiben (zu) müssen«. Eichengrün überlebte und starb 1949. Sein Grab ist auf dem Friedhof von Bad Wiessee zu finden. Nora Niemann

Ulrich Chaussy: »Arthur Eichengrün. Der Mann, der alles erfinden konnte, nur nicht sich selbst«. Herder, Freiburg 2023, 368 S., mit zahlreichen Abb., 26 €

Berlin

»Berlin verneigt sich«

Zwei Monate nach ihrem Tod wird die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer in Berlin gewürdigt. Der Bundespräsident mahnt vor Politikern und Weggefährten, das Erbe der Jahrhundertfrau weiterzutragen

von Alexander Riedel  09.07.2025 Aktualisiert

Engagement

Verantwortung übernehmen

Erstmals wurde der Fritz-Neuland-Gedächtnispreis verliehen. Die Auszeichnung erhielten der Jurist Andreas Franck und die AG PRIOX der bayerischen Polizei

von Luis Gruhler  09.07.2025

Deutsch-Israelischer Freiwilligendienst

»Wir müssen gewachsene Strukturen erhalten«

ZWST-Projektleiter Erik Erenbourg über ein besonderes Jubiläum, fehlende Freiwillige aus Deutschland und einen neuen Jahrgang

von Christine Schmitt  09.07.2025

Essen

Vier Tage durch die Stadt

Der Verein Kibbuz Zentrum für Kunst, Kultur und Bildung führte 20 Jugendliche einer Gesamtschule an jüdische Orte. Die Reaktionen überraschten den Projektleiter

von Stefan Laurin  09.07.2025

Berlin

Millionenförderung für jüdisches Leben

Die sogenannten Staatsleistungen machten dabei fast 8,9 Millionen Euro in dieser Summe aus. Als Zuwendung für personelle Sicherheitsleistungen flossen den Angaben zufolge 6,1 Millionen Euro

 09.07.2025

Magdeburg

Staatsvertrag zur Sicherheit jüdischer Gemeinden geändert

Die Änderung sei durch den Neubau der Synagogen in Magdeburg und Dessau-Roßlau vor rund zwei Jahren sowie durch zu erwartende Kostensteigerungen notwendig geworden

 09.07.2025

Berliner Philharmonie

Gedenkfeier für Margot Friedländer am Mittwoch

Erwartet werden zu dem Gedenken langjährige Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter, Freundinnen und Freunde Friedländers sowie Preisträgerinnen und Preisträger des nach ihr benannten Preises

 08.07.2025

Mittelfranken

Archäologen entdecken erste Synagoge Rothenburgs wieder

Erst zerstört, dann vergessen, jetzt zurück im Stadtbild: Die erste Synagoge von Rothenburg ob der Tauber ist durch einen Zufall wiederentdeckt worden. Ihre Überreste liegen aber an anderer Stelle als vermutet

von Hannah Krewer  08.07.2025

Biografie

»Traut euch, Fragen zu stellen«

Auch mit 93 Jahren spricht die Schoa-Überlebende Eva Szepesi vor Schülern. Nun hat sie ein Bilderbuch über ihre Geschichte veröffentlicht

von Alicia Rust  06.07.2025