Projekt

Ein weites Forschungsfeld

Von außen war nicht zu erkennen, dass es sich bei dem Heidingsfelder Gebäude um eine Synagoge handelt. Das 1780 erstandene Gotteshaus sollte wie ein in mehrere Geschosse aufgeteiltes Wohnhaus aussehen. Wer jedoch eintrat, fand sich in einem hohen Betraum wieder. Solche »Fassadensuggestionen«, sagt Cornelia Berger-Dittscheid, sind typisch für Synagogen des 18. Jahrhunderts. Doch warum sollte sie nicht erkennbar sein?

»Dem Heidingsfelder Pfarrer war der geplante Bau einfach zu aufwendig, aus diesem Grund wandte er sich an den Fürstbischof«, erläutert die Kunsthistorikerin. Sie gehört dem fünfköpfigen Forschungsteam des Synagogen-Gedenkbands Unterfranken an, das Anfang November im Würzburger Gemeindezentrum Shalom Europa sein zweibändiges Projekt vorstellte. Bis 2016 sollen 112 im Jahr 1930 noch aktive Synagogen für die Buchreihe Mehr als Steine ... porträtiert werden.

Ausmaße Nicht nur in Heidingsfeld bei Würzburg tendierten Pfarrer des 18. Jahrhunderts dazu, Pläne für Synagogenneubauten in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Baugeschichte der Heidingsfelder Synagoge lässt sich allerdings besonders gut nachvollziehen. So beschrieb der Pfarrer dem Fürstbischof das nach seiner Ansicht viel zu prunkvoll geplante Bethaus: »Wir wissen daher, dass die Synagoge 2,35 Meter breiter und 4,70 Meter länger sein sollte«, so Berger-Dittscheid. Der Fürstbischof berief sich auf ein päpstliches Dekret aus dem 13. Jahrhundert und schränkte die Baupläne tatsächlich ein.

Unerlaubt waren dem Dekret zufolge Synagogenneubauten, die prächtiger ausfielen als ihre Vorgänger. Wie die Synagoge der Heidingsfelder Gemeinde schließlich aussah, demonstriert ein akribisch recherchiertes Modell im Würzburger Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken. In Heidingsfeld selbst ist heute nichts mehr von dem Bauwerk übrig. Das Bethaus gehört zu den Synagogen in Unterfranken, die im »Dritten Reich« vollständig zerstört wurden.

Hühnerstall Die die erhalten blieben, ereilte ein sehr unterschiedliches Schicksal. »Nach dem Novemberpogrom wurden sie zu HJ-Heimen, später zu Kinos, Feuerwehrhallen, Lagern, Werkstätten oder Wohnhäusern umfunktioniert«, sagt Hans-Christof Haas vom Team des unterfränkischen Synagogen-Gedenkbands. 48 ehemalige Synagogen werden heute als Wohnhäuser genutzt. In zwei Synagogen ist die katholische, in einer die evangelische Kirche eingezogen. In der einstigen Rimparer Synagoge befindet sich derzeit ein Hühnerstall.

Die Autoren des Gedenkbandes gehen der Geschichte der unterfränkischen Synagogen seit Beginn des Mittelalters nach, sie zeigen auf, welche Bethäuser auf welche Weise das wüste Treiben der SA-Horden überstanden haben und was aus ihnen nach 1945 wurde. Das aktuelle Projekt wird die 2002 gestartete Initiative Synagogen-Gedenkband Bayern abschließen und als Band 3 aufgrund der Faktenfülle bis 2016 in zwei Teilbänden erscheinen.

Bei dem vor allem von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern finanzierten Projekt wird auch die Frage nach der Mitschuld der Kirche an den Verbrechen gegen Juden nicht außer Acht gelassen.

Innenansicht Mit der einst an Einrichtungen reichen Gemeinde in Kleinheubach befasst sich derzeit der evangelische Pfarrer Axel Töllner. Die 1726 gegründete Synagogengemeinschaft traf sich zunächst in einem privaten Betraum. 1808 baute sie eine Synagoge, 1838 kam eine Mikwe hinzu, seit 1911 gab es eine jüdische Schule. In seinen Forschungsarbeiten für den Gedenkband möchte Töllner herausfinden, wo sich der erste Betsaal befand und wie das Innere der Synagoge von 1808 aussah. Offen ist derzeit außerdem die Frage nach ihrer weiteren Nutzung.

»Mit Unterfranken nimmt die Forschergruppe die Region mit der größten Dichte jüdischer Gemeinden deutschlandweit vor der Schoa in den Blick«, sagt Josef Schuster, Präsident des Landesverbands der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern. »Es freut mich, dass mit dem geplanten dritten Band die Darstellung der Jüdischen Gemeinden in Bayern vervollständigt wird.«

www.synagogenprojekt.org

München

Von Stadtrundgang bis Synagoge

Der Europäische Tag der jüdischen Kultur in der IKG bot unter dem Motto »Familie« ein vielfältiges Programm

von Nora Niemann  14.10.2024

Berlin

Zu Besuch in Deutschlands einzigem koscheren Hotel

Ilan Oraizers King David Garden Hotel ist ein Unikum in der Bundesrepublik

von Nina Schmedding  13.10.2024

München

Vorträge, Bücher und Diskussionen

Meldungen aus der IKG

 13.10.2024

Berlin

Wo werde ich hingehen?

Vivian Kanner ist Sängerin und Schauspielerin – und denkt darüber nach, Deutschland zu verlassen

von Matthias Messmer  13.10.2024

Frankfurt

Ein Haus für alle

Der Zentralrat feierte mit vielen Gästen das Richtfest für die Jüdische Akademie in Frankfurt

von Eugen El  12.10.2024

Feiertage

Chatima towa, oder was?

Was von Rosch Haschana über Jom Kippur bis Sukkot die korrekte Grußformel ist

von Rabbiner Yaacov Zinvirt  11.10.2024 Aktualisiert

München

Eine starke Gemeinschaft

Israels früherer Ministerpräsident Naftali Bennett besuchte die IKG

von Luis Gruhler  11.10.2024

Frankfurt

»Jewrovision für den Kopf«

Anfang November rätseln junge Gemeindemitglieder bei »The Jewish Quiz« um die Wette. Ein Gespräch mit Marat Schlafstein und Nachumi Rosenblatt

von Sophie Albers Ben Chamo  10.10.2024

Vor 80 Jahren

Regina Jonas war eine Pionierin - und ist bis heute ein Vorbild

Sie sah es als Notwendigkeit, dass Frauen ein rabbinisches Amt bekleiden. Regina Jonas hatte wenig Zeit als weltweit erste Rabbinerin: Am 12. Oktober 1944 wurde sie nach Auschwitz deportiert - und starb kurz danach

von Leticia Witte  10.10.2024