Jubiläum

Ein unermüdlicher Gewerkschafter

Erich Kuttner (1887–1942) Foto: AdsD/Friedrich-Ebert-Stiftung

Als der knapp 30-jährige Erich Kuttner im Jahr 1916 viele Monate im Krankenhaus liegt, hat er eine Idee: Die Kriegsversehrten müssen sich zusammenschließen und sich selbst organisieren. Zuvor hatte der Kriegsfreiwillige vor Verdun eine schwere Verletzung erlitten und erlebte die katastrophale Notlage der heimgekehrten Soldaten am eigenen Leib mit. Die Versorgung der Invaliden und ihrer Familien war in keiner Weise sichergestellt, sie wurden schlecht behandelt und dürftig entlohnt.

Zeitgleich setzte eine massive Teuerung der Lebenshaltungskosten ein. Während Konservative in einer selbstständigen Interessenvertretung organisiert waren, reagierte die SPD auf Kuttners Einladungen damals eher abwartend. Und auch die Gewerkschaften sahen ihr erkämpftes Mitbestimmungsrecht als gefährdet an und wollten aus Angst vor Zersplitterung nicht mit dem sozialdemokratischen Journalisten zusammenarbeiten.

Gründer Kuttner wollte die Sache jedoch nicht dem politischen Gegner überlassen. Er lud am 23. Mai 1917 zur Gründungsveranstaltung des »Bundes der Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigten« ein und wurde dessen Vorsitzender.

Heute ist daraus nach zahlreichen Namensänderungen der »Sozialverband Deutschland« (SoVD) geworden, der jetzt mit einem großen Festakt und Bundeskanzlerin Angela Merkel als Rednerin seinen 100. Geburtstag feiert.

Der sozialpolitische Interessenverband setzt sich gegenüber der Politik für die Interessen von Rentnern, gesetzlich Krankenversicherten, Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung ein. Mehr als eine halbe Million Mitglieder sind in 2300 Ortsverbänden organisiert, dort wird diesen eine Beratung in sozialrechtlichen Fragen angeboten. Zudem steht der Verband beispielsweise für Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen und für den Kampf gegen Altersarmut.

Abgeordneter Die realpolitischen Forderungen des Verbandes waren zu Gründungszeiten andere: Wesentliche Forderungen des ersten Programms zielten auf einen Beschäftigungszwang zugunsten Schwerbeschädigter und eine Antikriegspolitik ab. Kuttners Qualitäten wurden schließlich auch von seiner Partei erkannt: Ab 1921 war er SPD-Abgeordneter im Preußischen Landtag und galt in seiner Fraktion als bester Redner. Gleichzeitig arbeitete er weiter als Journalist für sozialdemokratische Zeitungen.

Kuttners Biografie hat der Historiker Bart de Cort recherchiert und 1990 veröffentlicht: Nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 wurde Kuttner gemeinsam mit zwei Genossen Teil eines geheimen Komitees, das im Untergrund Aktionen zu den bevorstehenden Wahlen vorbereitete. Schnell stand die SA vor seiner Tür und verhaftete ihn. Kurzzeitig war er im gerade errichteten KZ Sonnenburg inhaftiert, nach seiner Freilassung tauchte er erneut unter. Als dann im Mai die Gewerkschaften verboten wurden, wusste er, dass er Deutschland verlassen muss, und floh über die holländische Grenze.

Journalist Unter Pseudonym arbeitete er dort als Journalist und Satiriker weiter und blieb auch politisch aktiv: Hatte er zuvor noch dem rechten SPD-Flügel angehört, wandte er sich nun einer revolutionär-sozialistischen Gruppe zu, las gemeinsam mit deren Mitgliedern Marx und Freud. Auch am sogenannten Lutetia-Kreis, dem »Ausschuss zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront«, war er beteiligt und brachte in Paris verschiedene Gegner des nationalsozialistischen Regimes zusammen. Als die Deutschen im Mai 1940 die Niederlande überfielen, verbrannte er sämtliche ihm vorliegende Unterlagen.

Viele seiner Emigrantenfreunde begingen Selbstmord, auch er unternahm einen Suizidversuch. Über sein Jüdischsein schrieb Kuttner, der als junger Assimilierter zwischenzeitlich aus der Gemeinde ausgetreten war, dass er es nicht »als das entscheidende Moment und als Achse meines Denkens behandeln« könne. »Mir ist keine Unannehmlichkeit und Verfolgung erspart geblieben, die mit dem Judesein in der heutigen Zeit verbunden ist. Wird in irgendeiner feindseligen Absicht gerufen ›Juden hervortreten!‹, so werde ich mich immer mit einem kräftigen ›Hier!‹ melden«, schrieb er damals. Im April 1942 nahm ihn die Gestapo zu Hause fest und brachte ihn ins Konzentrationslager Mauthausen. Ein halbes Jahr später wurde er von den Nazis ermordet.

Hamburg

»Our Turn«: Zentralrat und ZWST veranstalten Jugendkongress 2025

Den Teilnehmern sollen »Methoden, Chancen und Vorbilder« gezeigt werden, mit denen sie sich selbst verwirklichen können sollen

von Imanuel Marcus  11.12.2024

Magdeburg

Sachsen-Anhalt setzt Förderung jüdischer Einrichtungen fort

Die Projektauswahl wird vom Beirat für jüdisches Leben begleitet

 11.12.2024

Interview

»Damit ihr Schicksal nicht vergessen wird«

Die Schauspielerin Uschi Glas setzt sich für die Befreiung der israelischen Geiseln ein. Ein Gespräch über Menschlichkeit, Solidarität und Gegenwind

von Louis Lewitan  11.12.2024

Stuttgart

Opfer eines Schauprozesses

Nach fast drei Jahrzehnten Stillstand wurde nun ein Platz eingeweiht, der Joseph Süß Oppenheimer gewidmet ist

von Brigitte Jähnigen  10.12.2024

Esslingen

Antike Graffiti

Der Künstler Tuvia ben Avraham beschreibt das Judentum anhand uralter Buchstaben – und jeder darf mitmachen

von Valentin Schmid  09.12.2024

Berlin

Campus mit Kita und Café

Noch bis zum 10. Dezember können Architekten ihre Entwürfe für den Neubau an der Synagoge Fraenkelufer einreichen

von Christine Schmitt  09.12.2024

München

Mit Erfahrung zum Erfolg

Die Spieler des Schachklubs der IKG gehören zu den stärksten in Bayern – allen voran Leonid Volshanik

von Vivian Rosen  09.12.2024

Bundestag

Zentralrat der Juden schlägt Maßnahmen für Schutz jüdischen Lebens vor

Was der jüdische Dachverband von den Parteien mit Blick auf die Neuwahlen erwartet

 09.12.2024

Frankfurt

»Voll akzeptiert in der Gemeinde«

Rabbinerin Elisa Klapheck über das Jubiläum des Egalitären Minjans und das Konzept »Alle unter einem Dach«

von Ralf Balke  07.12.2024