Gleusdorf

Ein Ort des Lernens und Erlebens

Seit dem 13. Juni ist die jüdische Erinnerungskultur in Bayern um einen Lern- und Erlebnisort reicher. Zur Eröffnung der ehemaligen Synagoge in Gleusdorf, einem Ortsteil des bei Ebern gelegenen Dorfs Untermerzbach, waren auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und Ludwig Spaenle, der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, als Ehrengäste in die Haßberge gekommen.

Das beschauliche, 25 Kilometer nördlich von Bamberg gelegene Gleusdorf hat heute rund 200 Einwohner – Juden leben hier schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr. Die Epoche des Landjudentums, die in Gleusdorf im 16. Jahrhundert begann, ging 1909 zu Ende, als Josef Baum, der letzte jüdische Einwohner, nach Bamberg zog. Die Synagoge und das Nebengebäude wechselten 1910 den Besitzer – das Gebäude diente fortan als Scheune und überstand den Nationalsozialismus ohne größere Schäden.

Geschichte In seiner Begrüßung informierte der Bürgermeister von Untermerzbach, Helmut Dietz, die rund 30 Gäste der Eröffnung – pandemiebedingt war der Teilnehmerkreis begrenzt – ausführlich über die Geschichte des Projekts. Bis 2009 war die Synagoge hinter einem Schuppen und in den Anbauten zu dem jetzt ebenfalls in den »Lern- und Erlebnisort« einbezogenen Nebengebäude verborgen. Erst 2014 sei die Synagoge dank einer Stellungnahme des damaligen Kreisheimatpflegers Günter Lipp und der unteren Denkmalschutzbehörde im Landratsamt Haßberge wieder »aus ihrem Schlaf erweckt« worden.

2015 konnte die Gemeinde Untermerzbach die damaligen Besitzer der Synagoge überzeugen, »sich auf das Vorprojekt mit der Gemeinde Untermerzbach als Projektträger« einzulassen. Schließlich habe der Gemeinderat im Juni 2016 den Beschluss gefasst, die Synagoge mit dem Nebengebäude und dem dazugehörenden Wohnhaus für 30.000 Euro zu kaufen.

Das Gebäude diente jahrzehntelang als Scheune.

Das Projekt kam in Schwung: Die Gemeinde gewann zwei Verantwortliche des Fördervereins Synagoge Memmelsdorf – die ebenfalls im Gemeindegebiet von Untermerzbach liegt – für die Idee, »das Projekt als Ergänzung in ihr Konzept in Memmelsdorf zu integrieren«.

Geplant war, das lokale und fränkische Landjudentum der damaligen Zeit mit seiner weitreichenden Vernetzung in der Region zu zeigen und dabei das Zusammenleben der kleinen jüdischen Gemeinde Gleusdorf unter der damaligen Führung der ehemaligen Benediktinerabtei Banz, Ortsherrin von Gleusdorf, darzustellen. Dadurch sollten »die regionale Identität und das Geschichtsbewusstsein gestärkt, durch Infrastruktur die Lebensqualität verbessert und zudem das in der Gemeinde, im Landkreis und in der Region bestehende touristische Angebot aufgewertet werden«, so Dietz.

Den Zuschlag für die Umsetzung des Feinkonzepts erhielt 2019 die Würzburger Kulturagentur »FranKonzept«. Die Sanierung von Synagoge und Nebengebäuden begann 2018 und wurde 2020 abgeschlossen.

Kosten Insgesamt belaufen sich die Kosten des Projekts laut Dietz auf rund 595.000 Euro. Davon übernehmen die Regierung von Unterfranken 131.000 Euro, das bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst 130.000 Euro. Das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Bad Neustadt gibt als Leader-Förderung 87.000 Euro. Und 247.000 Euro steuert die Gemeinde Untermerzbach aus dem eigenen Haushalt bei.

In seinem Grußwort wies Jochen Ramming, Geschäftsführer der FranKonzept, darauf hin, dass das Projekt mit dem etwas sperrigen Namen »Ehemalige Synagoge Gleusdorf – Informationszentrum für die orts- und jüdische Geschichte« bereits der zweite Lernort zum fränkischen Landjudentum in der Gemeinde Untermerzbach sei.

Die Ausstellung wirft einen bewusst anderen Blick auf das fränkische Landjudentum.

Dieser zweite Lernort »in einer einzigen, nicht allzu großen Kommune« sei jedoch sinnvoll, weil sich die Gedenkstätten in Memmelsdorf und Gleusdorf inhaltlich ergänzten: Die Gleusdorfer Ausstellung werfe »einen bewusst anderen Blick auf die jüdische Geschichte in fränkischen Landgemeinden, als dies in Memmelsdorf geschieht. Sie rückt nämlich die Gemeinsamkeiten und Abhängigkeiten zwischen der örtlichen Geschichte und der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Gleusdorf in den Mittelpunkt und erzählt die Geschichte des Dorfes und die Geschichte der jüdischen Gemeinde als zwei miteinander verbundene Stränge ein und derselben Historie«, erklärt Bürgermeister Dietz.

Darstellungen Über drei Jahrhunderte habe in Gleusdorf ein gemeinsames Dorfleben bestanden, das sicher nicht immer spannungsfrei verlaufen sei, an dem aber stets Juden und Christen Anteil gehabt hätten. Deswegen habe sich FranKonzept dafür entschieden, die jüdische Geschichte auf der äußeren, der ehemaligen Synagoge zugewandten Wand des Nachbargebäudes darzustellen und die Ortsgeschichte im Gebäudeinneren zu zeigen. Die Präsentation wechsle bewusst zwischen der Darstellung historischer Ereignisse und Entwicklungen und Kurzporträts einzelner Persönlichkeiten wie etwa der ersten, namentlich bekannten jüdischen Einwohner Samuel und Saalkindt, des Bauern Faust Jud und des Moses Morgenthau ab, berichtet FranKonzept-Chef Jochen Ramming.

»Letztlich erinnert das Informationszentrum hier in Gleusdorf an ein jüdisches Leben, wie es zwischen dem 17. und dem 20. Jahrhundert zum Alltag vieler fränkischer Orte gehörte«, fasst Ramming zusammen. Die Geschichte der jüdischen Gemeinde habe dabei keine außerordentliche Begebenheit dargestellt, sondern sei im Gegenteil integraler Bestandteil der Gesamtgeschichte gewesen. »Erst wenn sie ausreichend einbezogen wird, vervollständigt sich das geschichtliche Bild des Ortes«, betont der Kulturhistoriker. Damit sei das Gleusdorfer Projekt durchaus zukunftsweisend.

Die Eröffnung der Synagoge sei trotz des derzeit virulenten Antisemitismus »ein wahrlich erfreuliches Ereignis«, sagt Josef Schuster.

Das Festjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« habe vor allem das Anliegen, wegzukommen von »Juden automatisch nur im Zusammenhang mit 1933 bis 1945«, betonte Josef Schuster in seinem Grußwort. Jüdisches Leben habe es vor 1933 in Deutschland und eben auch in Gleusdorf gegeben. In einem Gebäude die jüdische Geschichte und die Ortsgeschichte von Gleusdorf mit all ihren Verwobenheiten direkt gegenüberzustellen, zeige, wie sehr und unzweifelhaft jüdisches Leben gerade im fränkischen Landjudentum in das allgemeine Leben in der Region integriert gewesen sei.

Lernort Er freue sich auch deshalb, dass die ehemalige Synagoge Gleusdorf nun dem Lernen gewidmet sei, weil das Lernen für Juden eine zentrale Rolle spiele. Schuster wies darauf hin, dass es im Judentum eine Lernpflicht für Knaben bereits ab drei Jahren gegeben habe. »Es war eine Selbstverständlichkeit, dass schon die kleinen Kinder die hebräischen Buchstaben lernten, damit sie im Alter von spätestens fünf Jahren die Texte aus der Tora und den Schriften lesen konnten«, sagte er.

Besorgt zeigte sich Schuster mit Blick auf die jüngsten Angriffe auf deutsche Synagogen, anti-israelische Demonstrationen und den Judenhass in der demokratischen Gesellschaft: »Trotz aller Bemühungen von Politik und Gesellschaft scheint es nicht zu gelingen, dem Übel des Antisemitismus Herr zu werden.« Die Eröffnung der Synagoge sei jedoch »ein wahrlich erfreuliches Ereignis«. Schuster dankte der Gemeinde Untermerzbach und allen Beteiligten für den Erhalt der ehemaligen Synagoge von Gleusdorf mit dem angeschlossenen Dokumentationszentrum und der Umwidmung als Ort des Lernens und Erlebens.

»Hier wird aus Kleinem – wenn es denn die kleinste Synagoge Bayerns sein soll – ganz Großes.«

Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle

Auf die Bedeutung des Landjudentums für Mitteleuropa wies Ludwig Spaenle in seinem Grußwort hin. Er lobte: »Das, was hier in Gleusdorf geschieht, macht Schule. Hier wird aus Kleinem – wenn es denn die kleinste Synagoge Bayerns sein soll – ganz Großes.« Der Antisemitismusbeauftragte Bayerns berichtete aber auch von antisemitischen Schreiben an die IKG München und Oberbayern und wies auf die Gefahren hin, denen jüdisches Leben aktuell ausgesetzt sei.

Der Antisemit sei dumm und suche simple Antworten auf seine Probleme. Das habe meistens mit Unwissenheit zu tun. »Ich glaube, man kann etwas gegen Antisemitismus tun, auch wenn man ihn nicht ausrotten kann«, sagte der CSU-Politiker. Die in Gleusdorf gesetzte Botschaft sei, Judenhass aktiv mit dem Erinnern an das gemeinsame Leben in diesem Ort zu begegnen.

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