Geroldshausen

Ein Koffer zum Erinnern

Der aus Kirchheimer Muschelkalk gefertigte Koffer erinnert an die ehemaligen Geroldshauser Juden, die deportiert wurden. Foto: Stefan Römmelt

Der vergangene Sonntag war ein guter Tag für Josef Schuster. »Heute, 80 Jahre nach der Ermordung von Salomon und Therese Bierig, kann nun wieder ein Jude in Geroldshausen stehen und sagen: ›Ich bin gerne Unterfranke‹«, sagte der Zentralratspräsident vor rund 80 Zuhörern.

Im südlich von Würzburg gelegenen Geroldshausen wurde ein Koffer der Öffentlichkeit übergeben, der zum 2020 erstmals vor dem Würzburger Hauptbahnhof eröffneten, dezentralen Denkmal »DenkOrt Deportationen 1941–1944« gehört.

deportation Das aus Kirchheimer Muschelkalk gefertigte Gepäckstück erinnert an die ehemaligen Geroldshauser Juden, zu denen auch das Ehepaar Salomon und Therese Bierig, geborene Mayer, gehörte. Beide wurden am 25. April 1942 von Würzburg nach Krasniczyn deportiert. In dem deutschen Durchgangslager für die Vernichtungslager Sobibor, Belzec, Treblinka und Auschwitz-Birkenau verliert sich ihre Spur.

Dass die Erinnerung an Salomon und Therese Bierig, die nach Theresienstadt deportierte Emma Maier und den in der bei Linz gelegenen NS-Tötungsanstalt Hartheim ermordeten Abraham Maier in Geroldshausen wieder präsent ist, war nur möglich, weil in der Region Würzburg die Bereitschaft und die Ressourcen vorhanden sind, die NS-Vergangenheit aufzuarbeiten.

Darauf wies auch Josef Schuster in seiner Rede hin: »Denn die jüdische Gemeinde hat Nachbarn und Freunde, auf die sie sich verlassen kann. Menschen, die bereit sind, sich ihrer Geschichte zu stellen und Verantwortung zu übernehmen.« Damit meinte der Zentralratspräsident wohl auch das im Würzburger jüdischen Gemeindezentrum »Shalom Europa« angesiedelte »Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken«. Dessen neuer Leiter, der Historiker Riccardo Altieri, trug später auch die Biografien der Schoa-Opfer mit einem Bezug zu Geroldshausen vor.

grusswort Zu den Freunden der Jüdischen Gemeinde gehört Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees. Heubner wies in seinem Grußwort auf die Notwendigkeit hin, die Erinnerung in die Öffentlichkeit zu tragen: »Man muss den öffentlichen Raum besetzen.« Die Geroldshauser Gedenkveranstaltung besitze auch politische Relevanz: »Wir stehen hier, um der Demokratie eine Stimme und ein Gesicht zu geben.« Denn: »Demokratie braucht Menschen, die laut sind und unser Land und unsere Demokratie stützen!«

In der Region ist die Bereitschaft da, die NS-Zeit aufzuarbeiten.

An die junge Generation appellierte Michaela Küchler, die aus dem Geroldshauser Nachbardorf Reichenberg kommende, ehemalige Sonderbeauftragte des Auswärtigen Amts für Beziehungen zu jüdischen Organisationen: »Bitte tragt die Geschichte von der Verfolgung und der Ermordung der europäischen Juden weiter!« Die Gedenkveranstaltung ordnete Küchler in einen überzeitlichen Kontext ein: »Alle, die heute hier sind, nehmen teil an diesem großen Auftrag, der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen.«

Vor Ort, in Geroldshausen, hat die Gemeinde auf Initiative von Bürgermeister Gunther Ehrhardt bereits im vergangenen Jahr damit begonnen, die lokale NS-Vergangenheit aufzuarbeiten: Im Frühjahr 2021 wurde der Name des KZ-Arztes Eduard Wirths – in Auschwitz Dienstvorgesetzter von Josef Mengele – aus dem in der Nachkriegszeit errichteten Geroldshauser Kriegerdenkmal ausgemeißelt.

denkmal »Dass sein Name überhaupt so lange auf dem Denkmal stehen konnte, halte ich für schändlich«, sagte Josef Schuster. »Aber die Verantwortlichen aus Geroldshausen hatten die Courage, die Unanständigkeiten aus der unmittelbaren Nachkriegszeit zu korrigieren.«

Zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Geroldshausen gehört jetzt auch die öffentliche Erinnerung an die Opfer. Dass die ermordeten Jüdinnen und Juden in Würzburg und Unterfranken nicht vergessen werden, ist auch das Verdienst der Würzburgerin Benita Stolz, die am Sonntag über den 2011 in Würzburg begangenen »Weg der Erinnerung«, den Ursprung des DenkOrts Deportationen, berichtete.

Künstler und Schüler sind an der Gestaltung der Kunstwerke beteiligt.

Den Einsatz der ehemaligen Stadträtin und ihrer Mitstreiter für den Verein DenkOrt Deportationen und den Arbeitskreis Stolpersteine würdigte Schuster ebenfalls: »Ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass die Erinnerung an die Verbrechen an den Juden in der Öffentlichkeit wachgehalten wird«, sagte der Zentralratspräsident.

Traumata Entsetzt zeigte sich Schuster über eine kürzlich erschienene Studie der Bertelsmann-Stiftung, die ergab, dass sich 49 Prozent der Deutschen einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit wünschen. »Bei den Überlebenden der Schoa und deren Nachfahren bis in die Dritte Generation sind die Traumata weiterhin präsent«, betonte der Zentralratspräsident. »Für sie ist ein Schlussstrich schlicht nicht möglich.«

Einzigartig sei der DenkOrt Deportationen schon allein deswegen, weil an einem zentralen Erinnerungsort – dem Würzburger Hauptbahnhof und in den lokalen Gemeinden wie in Geroldshausen – miteinander verbundene Kunstwerke stünden. Und einzigartig sei er auch, weil viele Menschen – Künstler, Berufsfachschüler und andere Schüler – an der Planung und Gestaltung der DenkOrte beteiligt seien. »Das ist gelebte Erinnerungskultur«, lobte Schuster.

Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, der auf Putins Willen zurückzuführen sei, die Geschichte umzuschreiben, und auf den von der AfD betriebenen Geschichtsrevisionismus mahnte der Zentralratspräsident: »Erinnern und Gedenken müssen gepflegt, aber sie müssen auch verteidigt werden. Einen weiteren DenkOrt einzuweihen und das Vermächtnis der Geroldshauser Juden hochzuhalten, ist ein Teil davon.«

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