Juden in der Politik – Grüne

Ein Kind der DDR

»Man kann die Entwicklung nicht den Idioten überlassen«: Peter Schüler Foto: Mike Minehan

In Potsdam-West, nahe dem Schlosspark Sanssouci, betreibt Peter Schüler seine Anwaltskanzlei. Über Mandantenmangel hat sich der freundliche Mann mit dem Dreitagebart noch nie beschweren können. Doch zum fast »täglichen Geschäft« gehört für ihn auch die Kommunalpolitik: Für die Grünen sitzt Schüler im Potsdamer Stadtparlament, und seit Längerem fungiert er dort auch als Präsident. Fraktions- und Ausschusssitzungen, Bürgerberatung, öffentliche Termine füllen seinen Abendkalender.

Auch jetzt wird sich Peter Schüler gleich wieder aufs Fahrrad schwingen und ins Grünen-Büro radeln. Dort ist die anstehende Bundestagswahl ein heißes Thema. »Ich hoffe natürlich auf den Regierungswechsel hin zu Rot-Grün«, sagt Schüler und lächelt. »Peer Steinbrück ist für mich der bessere Kanzlerkandidat, und Rot-Grün könnte wichtige Änderungen vornehmen.«

gerechtigkeit Vor allem hält Schüler eine gerechtere Steuerpolitik für das Gebot der Stunde. »Mit einer stärkeren Beteiligung der Leistungsfähigen könnten längst fällige Verbesserungen im Bildungswesen, vor allem bei der frühkindlichen Bildung und im Hochschulbereich, begonnen werden. Grünes Mitregieren könnte auch den Rahmen für eine bessere Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Kindererziehung setzen. Und nicht zuletzt braucht das Land endlich eine Mietenpolitik, die diesen Namen auch verdient.«

Peter Schüler wirbelt viel auf kommunaler und teils auch auf Landesebene, doch eine politische Karriere war nie sein Ziel. Was aber treibt den 60-jährigen Anwalt, Naturfreund, Kunstinteressierten und verheirateten Vater zweier erwachsener Kinder dazu, sich »nebenbei« so stark in gesellschaftliche Abläufe einzumischen?

Die eigentliche Politisierung hat er wohl erst durch den gesellschaftlichen Umbruch in der DDR erfahren. Seine Familie – die Eltern hatten den Holocaust im britischen Exil überlebt – war nach dem Krieg nach Ost-Berlin gekommen, um beim sozialistischen Experiment aktiv mitzuwirken, und hatte sich mit dem »Arbeiter-und-Bauernstaat« bis zum Ende identifiziert. Als die marode DDR im Frühjahr 1990 vom eigenen Volk abgewählt wurde, verstand der Vater die Welt nicht mehr.

dritter weg Auch Peter Schüler begann, viele Dinge neu zu betrachten, und hielt für die DDR zunächst – wie viele andere Bürgerbewegte auch – einen »dritten Weg« zwischen Staatssozialismus und Kapitalismus für machbar. Seine politische Heimat fand er dann bei Bündnis 90/Die Grünen, für die er bei der Erarbeitung der Brandenburgischen Verfassung mitwirkte und die er zeitweilig auch im Landtag vertrat.

»Demokratie ist kein Zufallsprodukt«, sagt Schüler, »sie muss von den Menschen ausgefüllt werden.« Als grüner Enthusiast will er mehr basisdemokratische Mitbestimmung, und selbstverständlich ärgert er sich über größere und kleinere Ungerechtigkeiten. »Ich lebe nicht in der Erwartung, dass sich die Welt grundlegend verändert, aber es gibt 1000 kleine Dinge, bei denen man sich einmischen und einigen Schaden verhindern kann«, sagt er. »Da habe ich wohl auch etwas von meinem Vater, der noch zu DDR-Zeiten, als Wirtschaftsprofessor, bisweilen zugespitzt formulierte: ›Man kann doch die Entwicklung nicht den Idioten überlassen.‹«

stolpersteine Eine spezifische Motivation, sich als Jude in der Politik zu engagieren, sieht Schüler für sich aber nicht. »Meine Familie hat ihre jüdische Herkunft nie negiert, aber es spielte für das tägliche Handeln keine vordergründige Rolle. Bei mir ist das ähnlich. Mir ist aber sehr wichtig, dass die Geschichte der Potsdamer Juden nicht aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwindet. Deshalb habe ich das Anbringen von Stolpersteinen für Potsdamer Schoa-Opfer von Anfang sehr unterstützt.«

Peter Schüler ist zudem überzeugt, dass Potsdam eine neue Synagoge braucht – die alte wurde von den Nationalsozialisten entweiht und später durch Kriegseinwirkung zerstört. Seit Jahren kämpft er als Vorsitzender des Bauvereins Neue Synagoge für diesen Neubau: »Solch ein Gotteshaus streben die zugewanderten Juden aus den GUS-Ländern an, und sie brauchen viel Unterstützung dabei. Ich finde, das ist aber auch eine große Herausforderung für die Potsdamer Zivilgesellschaft.«

Berlin/Potsdam

Zentralrat der Juden erwartet Stiftung für Geiger-Kolleg im Herbst

Zum Wintersemester 2024/25 soll sie ihre Arbeit aufnehmen

 26.07.2024

Potsdam

Neuer Name für das Abraham Geiger Kolleg bekannt geworden

Die Ausbildungsstätte für liberale Rabbiner soll nach Regina Jonas benannt werden

 26.07.2024

Berlin

Wegner besucht verwüstetes israelisch-palästinensisches Lokal

Das Restaurant wurde vergangene Woche verwüstet

 26.07.2024

Düsseldorf

Sägen, fräsen, bohren

Im Südwesten der Stadt betreibt die Gemeinde eine metallverarbeitende Behindertenwerkstatt

von Stefan Laurin  25.07.2024

Ausstellung

Olympioniken im KZ Buchenwald

Auf dem Ettersberg bei Weimar treffen unterschiedlichste Biografien aufeinander

von Matthias Thüsing  25.07.2024

Berlin

Große Räume für große Träume

Hillel zieht von Neukölln nach Kreuzberg

von Joshua Schultheis  25.07.2024

Olam

Für die Kids

Der Senat unterstützt das Jugendzentrum der Jüdischen Gemeinde zu Berlin mit 450.000 Euro

von Christine Schmitt  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Leipzig

Sachbeschädigung an jüdischer Einrichtung

Der Tatverdächtige wurde nach der Tat verhaftet und ist inzwischen wieder auf freiem Fuß

 24.07.2024