attentat

Ein Anruf an Schabbat

Sieben Heimbewohner überlebten das Attentat nicht – Gedenkwand im Vorraum der Synagoge Reichenbachstraße Foto: Miryam Gümbel

Am 14. Februar 1970 klingelte nach Mitternacht das Telefon bei Familie Wasserstein in Garmisch-Partenkirchen. »Wo ist David?« fragte Rabbiner Hans Grünewald sel. A. von der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. David war aber zu Hause. Seine Mutter hatte am Vortag wieder einmal das Gefühl gehabt, dass ihr Sohn in Gefahr sei und den Studenten gebeten, so schnell wie möglich zu ihr zu kommen. Dass er zu so später Stunde und noch dazu an Schabbat anrief, bedeutete Schlimmes. Leben musste in Gefahr sein.

Flammen Eine unvorstellbare Tragödie war geschehen: ein Brandanschlag auf die Jüdische Gemeinde in der Münchner Reichenbachstraße. Sieben Menschen waren dabei ums Leben gekommen. Es waren alte Menschen, Überlebende der Schoa, denen der Schrecken der Vernichtung und Verfolgung noch in Erinnerung war. Sie wollten ihren Lebensabend in dem Jüdischen Altenheim in Sicherheit und Geborgenheit verbringen. Und nun wieder Feuer, Rauch – Todesangst.

Um 20.58 Uhr war bei der Feuerwehr der Alarm eingegangen. Geschockte Nachbarn halfen, die Feuerwehr rettete Leben, soweit ihr dies möglich war. Von den rund 50 Menschen, die sich in dem Gebäude aufhielten und arbeiteten, kam für sieben jede Hilfe zu spät: Israel Offenbacher, Meir Blum, Arie Leib Gimpel, Rivka Becher, David Jakubovicz, Eliakim Georg Pfau und Rosa Drucker starben in den Flammen. An sie erinnert eine Gedenkwand im Vorraum der Synagoge in der Reichenbachstraße. Wie Feuerwehr und Polizei später feststellten, war es kein Unfall.

Überlebenskampf Im Treppenhaus war an mehreren Stellen Benzin verteilt und entzündet worden. Ein Anschlag von Neonazis oder islamistischen Arabern – diese Frage ist bis heute unbeantwortet. Die Attentäter hatten ihr Werk grausam geplant. Die Zimmer des Altenheims waren in den obersten Stockwerken. Einige davon waren auch an Studenten von außerhalb vermietet, wie zum Beispiel an David Wasserstein. Sein Zimmer lag unmittelbar neben der Treppe. Bis auf das letzte Papierblatt war dort alles verkohlt – er hätte keine Chance gehabt zu entkommen. Für andere in den Mansardenwohnungen schnappte die tödliche Falle zu.

Die Studentin Lotti Lubelsky konnte über die Dächer der Reichenbachstraße flüchten. Nur wenige der alten Menschen hatten aber die Kraft, aufs Dach zu kommen. Einer, dem es gelang, erwartete dort oben keine Rettung mehr und wollte sich in seiner Verzweiflung mit einem, allerdings tödlichen, Sprung in die Tiefe retten. Ein anderer Heimbewohner, David Jakubowicz, hatte bereits die Koffer gepackt, um für immer zu seiner Schwester nach Israel zu reisen. Ruth Steinführer, die in der Verwaltung arbeitete, hatte ihn am Nachmittag noch zwischen seinem Gepäck stehen sehen und gemeint: »Sie hätten doch heute schon fahren können, wenn alles fertig ist.« Seine Antwort: »Du weißt doch, ich bin fromm.« Er wäre nicht mehr vor Schabbat-Anfang bei seiner Schwester angekommen. Er wurde, wie auch die meisten anderen Opfer, zur Beerdigung nach Israel überführt.

Terror Gerne hätten die Menschen an einen Unfall geglaubt. Rabbiner Grünewald sel.A. sagte: »Wir sind eine so kleine jüdische Gemeinde in München. Ich will es einfach nicht glauben, dass es sich hier um Brandstiftung handelt.« Auch die nicht-jüdische Bevölkerung war aufgeschreckt und betroffen. Drei Tage zuvor war ein Anschlag auf eine El-Al-Maschine in Riem verübt worden. Die Zeitungen berichteten tagelang seitenweise über den Anschlag auf das Gemeindehaus und erinnerten an die dunkelsten Tage der Schoa. Der Kommentator der Süddeutschen Zeitung Ernst Müller-Meiningen jr. sprach von einem neuen Brandmal.
Die Abendzeitung hatte einen Appell des Münchner Oberbürgermeisters Hans-Jochen Vogel zur Schlagzeile gemacht: »Münchner, gebt diesen Toten die letzte Ehre!« Im ausgebrannten Altenheim lag eine Kondolenzliste aus. Seither werden die jüdischen Einrichtungen in München von der Polizei bewacht. Wie notwendig dies leider auch heute noch ist, hat unter anderem der vereitelte Anschlag zur Grundsteinlegung der neuen Synagoge am Jakobsplatz gezeigt.

Für Präsidentin Charlotte Knobloch heißt die auch heute noch aktuelle Mahnung deshalb immer noch: Wachsamkeit gegen Antisemitismus und ein gemeinsames Eintreten für die Demokratie und gegen deren Feinde.

Hannover

Ministerium erinnert an 1938 zerstörte Synagoge

Die 1938 zerstörte Neue Synagoge war einst mit 1.100 Plätzen das Zentrum des jüdischen Lebens in Hannover. Heute befindet sich an dem Ort das niedersächsische Wissenschaftsministerium, das nun mit Stelen an die Geschichte des Ortes erinnert

 10.11.2025

Chidon Hatanach

»Wie schreibt man noch mal ›Kikayon‹?«

Keren Lisowski hat die deutsche Runde des Bibelquiz gewonnen. Jetzt träumt sie vom Finale in Israel

von Mascha Malburg  10.11.2025

München

Gelebte Verbundenheit

Jugendliche engagieren sich im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes in den Einrichtungen der Israelitischen Kultusgemeinde

von Esther Martel  09.11.2025

Sport

»Die Welt spielt gerade verrückt«

Alon Meyer über seine Wiederwahl zum Makkabi-Präsidenten in ganz besonderen Zeiten, den enormen Mitgliederzuwachs und die Zukunft des jüdischen Sportvereins

von Helmut Kuhn  09.11.2025

Erlangen

Bald ein eigenes Zuhause

Nach jahrzehntelanger Suche erhält die Jüdische Kultusgemeinde ein Grundstück für den Bau einer Synagoge

von Christine Schmitt  09.11.2025

Erinnerung

Den alten und den neuen Nazis ein Schnippchen schlagen: Virtuelle Rundgänge durch Synagogen

Von den Nazis zerstörte Synagogen virtuell zum Leben erwecken, das ist ein Ziel von Marc Grellert. Eine Internetseite zeigt zum 9. November mehr als 40 zerstörte jüdische Gotteshäuser in alter Schönheit

von Christoph Arens  09.11.2025

Hanau

Greifbare Geschichte

Ein neues 3D-Denkmal zeigt die alte Judengasse der hessischen Stadt

von Eugen El  09.11.2025

Potsdam

Mehr Geld für jüdische Gemeinden in Brandenburg

Brandenburg erhöht seine Förderung für jüdische Gemeinden auf 1,2 Millionen Euro

 09.11.2025

Namensgebung

Jüdische Pionierinnen

In Berlin erinnern künftig zwei Orte an Clara Israel, die erste Leiterin eines Jugendamts, und an Regina Jonas, die erste Rabbinerin der Welt

von Christine Schmitt  09.11.2025