Düsseldorf

Die Wiege des Zentralrats

18. Februar 1997: In Düsseldorf unterzeichnen Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau (M.) und der Vorsitzende des Landesverbandes Nordrhein, Paul Spiegel (4.v.l.), den neuen Staatsvertrag. Foto: LV Nordrhein

Krieg und Nationalsozialismus waren kaum überwunden, Verfolgung und Vertreibung kaum vorbei, da entstanden bereits in den ersten Wochen nach der Befreiung der Konzentrationslager im Frühjahr 1945 Initiativen, um jüdisches Leben in Deutschland wiederaufzubauen. Als jüdische Interessenvertretung wurde im Laufe des Jahres 1945 in der britischen Zone zunächst ein »Zentralkomitee der befreiten Juden« gegründet, aus dem der »Landesverband der jüdischen Gemeinden der Nord-Rheinprovinz« mit Sitz in Düsseldorf hervorging.

Philipp Auerbach, als Oberregierungsrat mit der Aufgabe der »Fürsorge für politisch, religiös und rassisch Verfolgte« betraut, wurde sein erster Vorsitzender. Am 21. November teilte er der Jüdischen Kultusgemeinde Dortmund mit, dass »wir hier einen Landesverband der Jüdischen Gemeinden des Rheinlandes ins Leben gerufen« hätten. Damit war der erste Landesverband in der britischen Zone, der bei seiner Gründung 1700 Mitglieder vertrat, an die Öffentlichkeit getreten. In Düsseldorf befanden sich der Amtssitz Auerbachs sowie die zentrale Wohlfahrtsorganisation der Briten.

Föderalismus Kurze Zeit später gründeten sich der »Landesverband der jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe« mit Sitz in Dortmund und die Synagogen-Gemeinde Köln. Die größte Gemeinde im Land Nordrhein-Westfalen wollte eine landesverbandsfreie Gemeinde bleiben und damit ein Landesverband in sich selbst sein.

Mit gleich drei dieser Organisationen in einem Land wurde der Föderalismus »auf die Spitze getrieben«, bemerkte der spätere Zentralratspräsident Paul Spiegel sel. A. dazu. Der Landesverband bildete sozusagen das erste »Dach«, den organisatorischen Überbau. Nach eigenem Selbstverständnisverstanden sich die jüdischen Gemeinden am Rhein von Beginn an als Einheitsgemeinden, weil die kleine jüdische Gruppe sich keine Aufsplitterung in liberale, orthodoxe, Austritts- und Reformgemeinden erlauben konnte.

Im Dezember 1951 beschloss der Düsseldorfer Landtag, den Synagogengemeinden den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen. 1953 folgten dann die Korporationsrechte für den Landesverband. Damit erhielten die jüdischen Gemeinden wieder den rechtlichen Status, den sie vor 1933 besessen hatten.

Rückerstattung Hauptaufgabe des Landesverbandes waren Bemühungen um die Rückerstattung von Gemeindeeigentum. Die sich nach 1945 neu formierenden Gemeinden waren Provisorien, deren erste Aufgabe die Organisation von Hilfe für die Opfer der NS-Verfolgung war. 1948 bestanden im Rheinland die Jüdischen Gemeinden: Aachen, Bonn, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Hamborn, Köln, Krefeld, Mönchengladbach, Mülheim an der Ruhr, Oberhausen, Rheydt, Ruppichteroth (Siegkreis) und Wuppertal. Die jüdische »Wohnbevölkerung« in NRW umfasste 1949 genau 2912 Gemeindemitglieder.

Die jüdische Öffentlichkeit im Ausland betrachtete die neu entstehenden Gemeinden lediglich als »Liquidationsgemeinschaft«. Eine differenziertere Position vertrat das 1946 von Karl Marx und Hans Frey gegründete »Gemeindeblatt für die britische Zone«, aus dem schließlich ab 1950 die »Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland« mit Sitz in Düsseldorf hervorging.

Der aus dem Exil in Großbritannien zurückgekehrte Karl Marx, der in der britischen Besatzungszone eine Lizenz für die Herausgabe einer jüdischen Zeitung erhalten hatte, hielt stets an der Einschätzung fest, dass die jüdischen Gemeinden in Deutschland eine Zukunft hätten. In der »Allgemeinen« wies Marx die ausländische Forderung, die Juden sollten den »blutgetränkten deutschen Boden« verlassen, wortreich zurück. Er hatte sich von einem bekennenden Zionisten zum emphatischen Anwalt der in der Bundesrepublik lebenden Juden gewandelt.

Waren die ersten vier Jahre nach der Schoa in erster Linie auf die Sicherung der Existenz gerichtet, erkannten die inzwischen schon etwas konsolidierten Gemeinden bei Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949 die Notwendigkeit, eine zentrale Repräsentanz zu schaffen. Die antisemitische Orientierung in großen Teilen der Bevölkerung und der Verwaltung und nicht zuletzt die Verhandlungen um die ersten Wiedergutmachungsgesetze der Bundesrepublik führten im Jahre 1950 zur Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland, der seinen Sitz in Düsseldorf nahm.

Düsseldorf Es war für die Geschichte der jüdischen Gemeinschaft am Rhein wesentlich, dass die zentralen Einrichtungen des deutschen Judentums in Düsseldorf angesiedelt waren. Mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden Nordrheins, dem Zentralrat und der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung war die Landeshauptstadt sozusagen das Schaltzentrum jüdischer Existenz in Deutschland geworden. Nicht weniger bedeutsam war, dass auch die »Israel-Mission« – das heißt die Vertretung des Staates Israel in den Jahren vor Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern – ihren Sitz im nahe liegenden Köln hatte.

Die jüdischen Gemeinden der 50er- und 60er-Jahre blieben über Jahre hinweg »Zwangsschicksalsgemeinschaften«, wie es Micha Guttmann, 1988 bis 1992 Generalsekretär des Zentralrats der Juden, einmal ausdrückte. Sie fanden nur schwer die Kraft, sich zu lebendigen, zukunftsinteressierten Gemeinschaften zu entwickeln.

Kultussteuer
Die materiellen Verhältnisse der Gemeinden verbesserten sich erst, als seit 1969 in Nordrhein-Westfalen die Kultussteuer ähnlich wie die Kirchensteuer über das Finanzamt eingezogen wurde und öffentliche Mittel vermehrt zur Verfügung standen. Insgesamt stand dieser Zeitraum bis Ende der 80er-Jahre im Zeichen der Konsolidierung und zaghafter Aufbrüche. Der Fülle neuer Aufgaben und dem erheblichen finanziellen Mehrbedarf der Gemeinden trug der Staatsvertrag des Landes NRW mit den beiden Landesverbänden und der Kölner Synagogen-Gemeinde 1993 Rechnung, der in mehreren Abänderungsverträgen den damals aktuellen Erfordernissen angepasst wurde.

Über die bis dahin im Staatsvertrag festgeschriebene Unterstützung stellte das Land weitere Mittel für die 19 Gemeinden bereit, gewährte Zuschüsse zur Instandhaltung jüdischer Friedhöfe sowie Mittel zur sozialen Integration jüdischer Kontingentflüchtlinge. Darüber hinaus erklärte sich das Land bereit, schulische, kulturelle und gesellschaftspolitische Projekte und damit jüdisches Leben zu fördern.

Neue Synagogen und Gemeindezentren entstanden, andere wurden erweitert. Diese Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Mit den jüdischen Grundschulen in Düsseldorf und Köln wurde ein lang gehegter Traum wahr, es wurde eine organisierte jüdische Bildung für Kinder im Schulalter etabliert, die sich nicht auf einen freiwilligen Religionsunterricht in den Gemeinderäumen beschränkte. Mit den 90er-Jahren beginnt sich jüdisches Leben in Deutschland, das sich nicht mehr unbedingt an der bislang verbindlichen orthodoxen Einheitsgemeinde orientiert, zu unterscheiden.

Zentralrat Vorstandsvorsitzender des Landesverbandes Nordrhein ist heute Oded Horowitz aus Düsseldorf, Stellvertretender Vorsitzender Leonid Goldberg aus Wuppertal. Mit dem Zuzug jüdischer Einwanderer aus den Ländern der GUS seit Ende der 80er-Jahre erhöhte sich die Mitgliederzahl in den acht Gemeinden im Bereich Nordrhein auf insgesamt 17.115 Personen. Damit ist er heute der größte Landesverband innerhalb des Zentralrats.

In der Gegenwart haben sich die Aufgaben des Landesverbandes naturgemäß gewandelt. Michael Rubinstein, seit Mitte dieses Jahres neuer Geschäftsführer des Landesverbandes, sieht ihn als Dach der uns angeschlossenen Gemeinden. »Wir vertreten die gemeinsamen Interessen in den gesellschaftlichen und politischen Raum und unterstützen die Gemeinden in verschiedenen Bereichen der täglichen Arbeit. Wir verstehen uns als Kopf eines Netzwerks, dessen Ziel es ist, gemeinsam das Bestmögliche für die Gemeinden und damit für ihre Mitglieder zu erreichen.«

Der Landesverband der jüdischen Gemeinden Nordrhein stellte während der 70 Jahre einen wesentlichen historischen Faktor dar und hat bewiesen, dass die 2000-jährige Geschichte der Juden am Rhein nicht zu Ende ist. Den 70. Jahrestag seines Bestehens wird der Landesverband Nordrhein am 7. Dezember in einem Festakt im Düsseldorfer Landtag begehen. Festredner wird der frühere NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) sein.

Thüringen

Jüdisches Kulturfest will Haifa stärker einbeziehen

Beide Städte pflegen seit dem Jahr 2005 eine offizielle Städtepartnerschaft

 17.07.2025

75 Jahre Zentralrat

Zentralratspräsident: Zusammenlegung von jüdischen Gemeinden »schmerzlich«, aber denkbar

Zu wenig engagierter Nachwuchs und mögliche Zusammenschlüsse von jüdischen Gemeinden - so sieht die Lage laut Zentralrat der Juden derzeit aus. Präsident Schuster äußert sich auch zur Rabbinerausbildung in Potsdam

von Leticia Witte  17.07.2025

Stuttgart

Geige, Cello, Kickboxen

Die Musikerinnen Taisia und Elina über den Karl-Adler-Wettbewerb, Spaß und eigene Stücke

von Christine Schmitt  16.07.2025

Jiddisch

Der unerfüllte Traum

Im Rahmen der Scholem-Alejchem-Vortragsreihe sprach der Judaist Gennady Estraikh über die Geschichte von Birobidschan

von Nora Niemann  16.07.2025

München

»Unsere jüdische Bavaria«

80 Jahre Israelitische Kultusgemeinde München und 40 Jahre Präsidentschaft von Charlotte Knobloch: Am Dienstagabend wurde das Doppeljubiläum mit einem Festakt gefeiert. Für einen scharfzüngigen Höhepunkt sorgte der Publizist Michel Friedman

von Christiane Ried  16.07.2025

München

»Ich habe größten Respekt vor dieser Leistung«

Zum 40-jährigen Dienstjubiläum von Charlotte Knobloch wird sie von Zentralratspräsident Josef Schuster geehrt

 16.07.2025

Porträt der Woche

»Musik war meine Therapie«

Hagar Sharvit konnte durch Singen ihre Schüchternheit überwinden

von Alicia Rust  15.07.2025

Berlin

Gericht vertagt Verhandlung über Lahav Shapiras Klage gegen Freie Universität

Warum die Anwältin des jüdischen Studenten die Entscheidung der Richter trotzdem als großen Erfolg wertet. Die Hintergründe

 15.07.2025 Aktualisiert

Andenken

Berliner SPD: Straße oder Platz nach Margot Friedländer benennen

Margot Friedländer gehörte zu den bekanntesten Zeitzeugen der Verbrechen der Nationalsozialisten. Für ihr unermüdliches Wirken will die Berliner SPD die im Mai gestorbene Holocaust-Überlebende nun sichtbar ehren

 15.07.2025