Buchpräsentation

Die Wahrheit der Anderen

Berichtet über Parallelwelten: Arye Sharuz Shalicar im Gespräch mit Nelly Kranz bei einer seiner Lesungen in Deutschland Foto: Marina Maisel

Am Tag, als Arye Sharuz Shalicar, ein in Göttingen geborener und in Berlin unter Muslimen aufgewachsener persischer Ju­de, nach München kam, betitelte die lokale »Abendzeitung« den Bericht über eine Konferenz des europäischen Dachverbandes jüdischer Gemeinden in Wien mit den unmissverständlichen Worten: »Die Lage der Juden ist inzwischen dramatisch«.

In solch einem Klima drängt sich die Frage Shalicars, »Gehören Juden heute zu Deutschland?«, Untertitel seiner Polemik Der neu-deutsche Antisemit, förmlich auf. Wie der Autor bei der Vorstellung im Jüdischen Gemeindezentrum im Gespräch mit Nelly Kranz erläuterte, hat er sich in den letzten Jahren zu viel anhören müssen, zu viel auf seiner seit dreieinhalb Jahren gepflegten Facebook-Seite gelesen, Solidarisches wie auch Hasserfülltes, um noch länger stillzuhalten.

VORURTEILE Seit seiner Schulzeit im Berliner Wedding weiß er, was Vorurteile bedeuten und was sie anrichten können. Seinen besten Schulfreund verlor er an dem Tag, als er sich als Jude outete. Jener war sich so sicher: »Du kannst kein Jude sein. Erstens, weil ich Juden aus der Ferne erkenne, und zweitens, weil du mein Freund bist.« Das eine war falsch, das andere hatte keinen Bestand. Später überidentifizierte Shalicar sich mit muslimischen Jugendlichen. Heute kann er mit Bestimmtheit von sich sagen, dass er, wäre er im Jahr 2001 nicht nach Israel gegangen, inzwischen im Gefängnis säße oder aber tot wäre.

Selbstironisch und in schlichter, bewusst unakademischer Sprache erzählt Shalicar über die Parallelwelten, in denen Juden- und Israelhass grassieren.

Selbstironisch und in schlichter, bewusst unakademischer Sprache erzählt Shalicar über die Parallelwelten, in denen Juden- und Israelhass grassieren. »Der Antisemit ist 1945 ausgestorben«, so Shalicar, »dafür wurde der Israel-Kritiker geboren.« Um den Staat der Juden zu delegitimieren, konzentriere er sich nicht mehr auf den einzelnen Juden, sondern auf den jüdischen Staat an sich.

Ein ganzes Kapitel seines Buches widmete Shalicar der Presse. »Deutsche Leitmedien« würden Korres­pondenten nach Israel entsenden, die weder Iwrit noch Arabisch verstünden und keine tiefere Einsicht in Landeskunde oder Lebensge­wohnheiten hätten.

Auf dieser bescheidenen Grundlage würde dann die Israel-Berichterstattung ablaufen, frei von jeglicher Sachkenntnis. In erster Linie würde Israels Reaktion auf die Raketenbeschüsse der Hamas thematisiert und oftmals nur im zweiten Satz kurz erwähnt, »was die Gegenseite ›mutmaßlich‹ zuvor getan hatte«.

JOURNALISTEN Shalicar weiß, wovon er spricht, schließlich war er Presseoffizier bei den Israelischen Verteidigungsstreitkräften. Dort lernte ihn Nelly Kranz während ihres eigenen Militärdienstes kennen. Aus der gemeinsamen Arbeit nahm sie die bittere Erkenntnis mit, dass viele Journalisten nach der Devise »Don’t confuse me with facts!« agierten und damit zu einem verzerrten Israel-Bild in Deutschland beitrügen.

Verstört registrieren beide, dass es in Deutschland immer mehr Beauftragte gegen Antisemitismus brauche. Positiv bewertet Shalicar darum jeden Kontakt zwischen Deutschen und Israelis. In diesem Sinne hofft er auch auf eine Belebung des deutsch-israelischen Jugendaustausches.

Arye Sharuz Shalicar: »Der neu-deutsche Antisemit. Gehören Juden heute zu Deutschland? Eine persönliche Analyse«. Hentrich & Hentrich, Berlin/Leipzig 2018, 160 S., 16,80 €

Karneval

»Ov krüzz oder quer«

Wie in der NRW-Landesvertretung in Berlin die närrische Jahreszeit eingeleitet wurde

von Sören Kittel  13.11.2025

Jüdische Kulturtage Berlin

Broadway am Prenzlauer Berg

Vom Eröffnungskonzert bis zum Dancefloor werden Besucherrekorde erwartet

von Helmut Kuhn  13.11.2025

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025

Berlin

Touro University vergibt erstmals »Seid Menschen«-Stipendium

Die Touro University Berlin erinnert mit einem neu geschaffenen Stipendium an die Schoa-Überlebende Margot Friedländer

 12.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025

Vertrag

Jüdische Gemeinde Frankfurt erhält mehr Gelder

Die Zuwendungen durch die Mainmetropole sollen bis 2031 auf 8,2 Millionen Euro steigen

von Ralf Balke  11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025