Porträt der Woche

Die Unternehmerin

Fiona Atay-Sandyk verwaltet und entwickelt überregional Immobilien

von Tobias Kühn  10.07.2021 23:53 Uhr

Kehrte vor elf Jahren aus Israel in ihre alte Heimat Bamberg zurück: Fiona Atay-Sandyk (50) Foto: Christian Lemke

Fiona Atay-Sandyk verwaltet und entwickelt überregional Immobilien

von Tobias Kühn  10.07.2021 23:53 Uhr

In den nächsten Monaten wird sich mein Leben stark verändern. Mein jüngster Sohn Roy verlässt das Haus. Er ist 17 und geht im September nach England, um da die Schule zu beenden. Das wird eine Riesenumstellung für mich. Ich habe dann zwar mehr Freiheiten – aber mein Herz wird bluten, wenn das letzte Kind auszieht.

Manche sagen, mehr Freiheit heißt mehr Freizeit. Ich hoffe, mehr Zeit für den Beruf zu haben, aber auch mehr Zeit für mich. Mein Traum wäre, mehr zu reisen. Das ist etwas, was man sich, wenn man gebunden ist, nie nehmen kann.

OXFORDSHIRE Seit elf Jahren lebe ich wieder in Bamberg. Hier liegen meine Wurzeln, hier bin ich geboren und aufgewachsen, aber ich war mehrmals längere Zeit im Ausland. Das erste Mal von meinem 14. bis 18. Lebensjahr, da war ich auf dem Carmel College in Oxfordshire, einem orthodoxen Internat. Mein Vater wollte das, er hatte einige Bekannte, deren Kinder auch dorthin gingen.

Ich fand das nicht lustig, hatte aber kein Mitspracherecht. Ich sagte zu meinem Vater: »Ich finde es blöd, dass du mich wegschickst.« Er entgegnete: »Für mich ist es noch blöder, denn ich weiß, du kommst nicht wieder.« Ich wollte nach der Schule nach Kanada gehen und Internationales Marketing studieren – aber es kam anders.

Nach dem Tod meines Vaters war ich plötzlich Azubi in meinem eigenen Unternehmen.

Auf Wunsch meines Vaters kehrte ich, als ich mit der Schule fertig war, nach Bamberg zurück und machte eine Ausbildung in seinem Unternehmen. Wir hatten unter anderem ein Geschäft für Damenmode, einen sehr großen Laden, über zwei Stockwerke. Dort lernte ich Einzelhandelskauffrau. Es hat mir Spaß gemacht – ich glaube, jedes junge Mädchen hat einen Zugang zu Mode.

Ich dachte, ich könnte ja später noch studieren. Aber die Umstände änderten sich schnell. Im März 1989 starb mein Vater plötzlich, und so wurde ich mit meiner Mutter und meinem Bruder Miteigentümerin des Betriebs, in dem ich Auszubildende war. Ich hatte viel Verantwortung und war ja gerade erst 19! Ich musste schauen, wie ich das Unternehmen am Laufen hielt.

Zwar ging ich weiter zur Berufsschule, aber natürlich rückte die Ausbildung in den Hintergrund. Das waren keine glücklichen Umstände: Ich war plötzlich die Chefin in meinem Ausbildungsbetrieb! Ich dachte da nicht viel nach, sondern handelte einfach. Ab jetzt unterschrieb ich in meinem Betriebsheft immer dreimal: als Auszubildende, als Ausbilderin und als Geschäftseigentümerin.

Im Nachhinein denke ich: Das war schon mutig! Aber mir wurde nichts geschenkt, ich habe die Prüfungen abgelegt wie alle anderen, die Noten haben gereicht. Aber es sind natürlich nicht die Umstände, die man sich für einen Lehrling wünscht.

KANADA Nach der Ausbildung habe ich überlegt, nach Kanada zu gehen und zu studieren. Ich bin auch hingeflogen zu einem Bewerbungsgespräch. Aber wir hatten zu Hause in Bamberg zwölf Angestellte im Geschäft – das konnte ich doch nicht einfach alles zurücklassen. Also habe ich abgewogen und kam zu dem Entschluss: Das ist es nicht wert. Und so blies ich Kanada ab, blieb in Bamberg und arbeitete im Familienunternehmen. Meine Mutter und ich waren inzwischen ein Team geworden: Wir fuhren gemeinsam auf Messen und machten die Einkäufe.

Dass alle drei Kinder ohne Murren mitkamen, rechne ich ihnen hoch an!

Weil ich Neurodermitis habe und etliche unserer Verwandten in Israel leben, war ich in diesen Jahren häufig am Toten Meer. Bei einem dieser Besuche lernte ich 1995 über eine Cousine meinen späteren Mann kennen. Er war ihr Vorgesetzter beim Militär. Wir verliebten uns ineinander, merkten bald, dass es uns beiden ernst ist, ich zog nach Israel, und wir heirateten. Ich versuchte, die Bamberger Geschäfte von Tel Aviv aus weiterzuführen. Außerdem wurde ich Handelsvertreterin für eine israelische Modefiliale und reiste oft nach Deutschland.

Doch dann wurde unser Sohn Timy geboren. Ich trat kürzer, und wir zogen nach Kochav Ja’ir in der Nähe von Kfar Saba. Drei Jahre später kam dann unsere Tochter Shira zur Welt, und 2004 Roy, unser Jüngster.

Mein Mann machte sich in dieser Zeit selbstständig im Sicherheitsbereich, und ich arbeitete von zu Hause in seinem Unternehmen in der Planung mit. Er verreiste oft, und im Laufe der Zeit wurde unsere Beziehung immer schlechter. Nach und nach zeichnete sich eine Trennung ab. Weil es für mich wichtig war, räumlich Abstand zu gewinnen, ging ich 2010 mit den Kindern zurück nach Bamberg.

FAMILIE Ich weiß nicht, ob es die richtige Entscheidung war – aber damals war sie es. Dass alle drei ohne Murren mitkamen, rechne ich ihnen hoch an! Nie haben sie gesagt: »Nur wegen dir …«

Wir waren zuvor immer dreimal im Jahr zu Besuch in Deutschland gewesen, es war ihnen also nicht ganz fremd, sondern ein Teil ihres Lebens. Sie hatten meine Familie, und Freunde von mir hatten Kinder in ihrem Alter, die sie aus den Ferien kannten.

Alle drei sprachen gut Deutsch – aber sie konnten es nicht schreiben. Es war am Anfang nicht leicht für sie, aber sie haben sich tapfer durchgekämpft.

Arbeit ist nicht alles im Leben. Es ist schön, dass immer jemand da ist, wenn ich nach Hause komme.

Ich hatte nie geplant, nach Bamberg zurückzugehen. Doch als ich darüber nachdachte, Israel zu verlassen, stand fest: wenn woanders hin, dann nach Bamberg. Ich habe hier einen großen Freundeskreis, den ich über die Jahre nicht vernachlässigt hatte, und auch wirtschaftlich gab es eine Perspektive: Ich hatte ja hier das Unternehmen.

unternehmen Inzwischen bin ich Immobilienverwalterin und -entwicklerin und arbeite überregional. 2012 habe ich mein eigenes Unternehmen gegründet.

Aber Arbeit ist nicht alles im Leben. Seit etlichen Jahren haben wir zwei Hunde: einen Golden Retriever und einen schwarzen Labrador-Mischling. Es ist schön, dass immer jemand da ist, wenn ich nach Hause komme – aber es hat eben auch Nachteile: Wenn ich verreisen will, muss ich immer jemanden fragen, der sich kümmert. Doch ich kenne viele Leute in Bamberg, da findet sich schon eine Freundin oder ein Bekannter.

Außer den beiden Hunden haben wir noch drei Pferde. Sie stehen in Lichtenfels, rund 35 Kilometer nördlich von Bamberg. Meine Kinder reiten. Früher, als sie kleiner waren, bin ich auch manchmal geritten, aber heute komme ich fast nur noch zum Streicheln. Mir ist vor Jahren mal ein Pferd auf den Fuß getreten, seitdem habe ich Respekt, ja, vielleicht sogar ein wenig Angst.

ZWEIFEL Auch wenn ich sehr international aufgewachsen bin, sehe ich mich als Bambergerin. Doch manchmal frage ich mich, ob man als Jüdin hier wirklich gut aufgehoben ist. Diese Überlegungen habe ich besonders seit der letzten Eskalation im Nahen Osten. Immer alles erklären müssen: Ich werde mit antizionistischen Äußerungen konfrontiert und mit Fragen, ob die Juden wirklich die Weltherrschaft haben wollen – das strengt an.

Vielleicht auch aus dieser Ungewissheit heraus habe ich bei meinen Kindern aufgepasst, dass sie Berufe wählen, die sie überall ausüben können. Ich glaube, in unserer Familie schwingt dieses Gefühl immer ein bisschen mit.

Bei uns war der Holocaust Gesprächsthema am Mittagstisch. Meinem Vater war es wichtig, dass ich sehr früh davon erfahre. Er hat Auschwitz und die Todesmärsche überlebt. In Bergen-Belsen wurde er 1945 befreit und kam dann in ein DP-Camp in Bamberg. Aufgewachsen ist er in einer kleinen Stadt bei Lodz.

Bei uns war der Holocaust Gesprächsthema am Mittagstisch.

Eigentlich wollte er nach der Schoa nach Amerika, aber er war lange krank, hatte Knochentuberkulose. Und so blieb er in Bamberg. Gemeinsam mit ein paar anderen hat er die hiesige Kultusgemeinde wiedergegründet und aufgebaut. Jahrelang saß er im Vorstand, bis zu seinem Tod.

GEMEINDE Ich selbst bin seit 2015 Schatzmeisterin bei der Liberalen Jüdischen Gemeinde Mischkan ha-Tfila. Die hat sich vor ein paar Jahren zunächst als Verein gegründet und möchte gern eine eigene Gemeinde im Landesverband werden. Ich freue mich, dass ich mich da einbringen kann. Und bald wird es vielleicht auch wichtig für mich sein, diese Aufgabe zu haben, denn wenn mein Jüngster in zwei Monaten das Haus verlässt, bin ich allein und werde mehr Zeit haben als bisher.

Aber mir wird schon nicht die Decke auf den Kopf fallen. Wer weiß, was das Leben noch für mich bereithält. Ich bin für alles offen – ob in Bamberg oder anderswo auf der Welt.

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