Porträt der Woche

Die Stadträtin

»Ich will jungen Leuten aus der Gemeinde Mut machen, in die Politik zu gehen«: Diana Liberova (33) Foto: Christian Rudnik

Porträt der Woche

Die Stadträtin

Diana Liberova ist Pädagogin und sitzt für die SPD im Nürnberger Rathaus

von Katrin Diehl  17.08.2015 18:32 Uhr

Wer sich entschließt, in die Politik zu gehen, der hat eine Vision. Gäbe es da nicht die vielen Detailfragen – man könnte gleich damit loslegen. So aber heißt es erst einmal, die Kleinarbeit in den Griff zu bekommen. Selbstverständlich hätte ich zu allem etwas zu sagen – von den Fragen zur Friedhofsverwaltung bis hin zu den Regelungen im Bereich der Kindergärten oder Schulen. Mir fällt zu allem etwas ein.

Gerade darin liegt aber die Gefahr – die Gefahr, den roten Faden zu verlieren, die eigene Vision. Aber das möchte ich nicht. Ich möchte bei meiner politischen Arbeit meine Vision vom guten Miteinander nicht aus den Augen verlieren. Anders ausgedrückt: Mein Ziel ist es, mich als Integrationspolitikerin überflüssig zu machen.

neuanfang Wie ich überhaupt in die Politik gekommen bin, ist eher ungewöhnlich. Es war nicht der normale Weg von unten, von der Ortsvereinsebene aus langsam nach oben. Ich bin quer eingestiegen. Und eigentlich hat alles damit angefangen, dass mein Vater sehr frustriert war.

1998 sind wir von Sankt Petersburg nach Bayern gekommen, ich war zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt. Meine Eltern wollten von Anfang an nach Nürnberg, was dann auch geklappt hat. Meine Mutter fand die Stadt schön, und mein Vater hat gehofft, in der Nähe als Ingenieur Arbeit zu finden. Das allerdings hat nicht geklappt. Er war 56 Jahre alt, und man hat ihm eigentlich nichts anderes gesagt als: »Sie haben keine Chance mehr, bleiben Sie zu Hause.«

Dass sein Leben nicht anerkannt und sein Wissen als Ingenieur nicht genutzt wurde, das hat ihn wirklich enttäuscht. Es hat ihn so sehr gewurmt, dass er sich ein eigenes Ziel gesetzt hat, nämlich den Deutschen zu zeigen, dass wir auch etwas sind.

So ist der Club der Freunde von Sankt Petersburg entstanden. Er hat ihn gegründet, und ich als seine Tochter war da natürlich auch mit eingespannt. Ich habe mich am Programm beteiligt und bei Festen gesungen.

politik 2003 dann, bei der Wahl zum Ausländerbeirat – ich kannte diese Organisation damals überhaupt nicht –, hat mein Vater als Vereinsvorsitzender das Angebot bekommen, eine eigene Liste mit Kandidaten aufzustellen. »Willst du da mit drauf?«, hat er gefragt, und ich habe gedacht: Wieso eigentlich nicht?

Ich war gerade Mama geworden, steckte noch im Studium der Pädagogik und Musikwissenschaft und hatte keinen Sinn für irgendeinen Wahlkampf, auch weil ich gar nicht wusste, wie so etwas geht. Das war auch nicht nötig: Die Vereinsvorsitzenden der Russischsprachigen, für die drei Plätze reserviert waren, haben sich auf eine Liste einigen können, und so war man automatisch drin. Na ja, ich war da gerade mal 21 Jahre alt, hatte eigentlich keine Ahnung von Politik und bin dann doch gleich zur stellvertretenden Vorsitzenden des Ausländerbeirats gewählt worden.

So langsam, langsam bin ich dann in die Sache hineingewachsen, musste auch mal Termine für unseren Vorsitzenden übernehmen, habe die Stadträte und den Oberbürgermeister kennengelernt, und seit 2014 sitze ich für die SPD im Nürnberger Stadtrat.

alltag Aber das ist nicht alles. Daneben gibt es noch meinen Beruf in der Lehrerfortbildung und, ganz wichtig, Judith, meine Tochter. Ohne die Unterstützung meines Mannes Vitali, den ich bei einem Machane in Regensburg kennengelernt habe, meiner Eltern und Schwiegereltern würde das alles längst nicht so gut funktionieren.

Unter der Woche klingelt mein Wecker kurz vor sechs Uhr. Ich brauche ein bisschen Zeit, um aufzuwachen. Um 6.15 Uhr stehe ich auf und bereite für Judith das Frühstück zu. Sie isst gerne etwas Warmes, ein Rührei oder ein Sandwich: Als Leistungssportlerin verlangt sie nach gesundem, kräftigem Essen. Sie trainiert fünfmal in der Woche Synchronschwimmen.

Kurz vor sieben Uhr versuchen wir noch einmal, ein paar Minuten zu dritt am Tisch zu sitzen. Dann wird schnell aufgeräumt, und wir fahren zusammen im Auto los. Nach der Lehrerfortbildung fahre ich oft direkt zur Fraktionssitzung ins Rathaus. Manchmal schaffe ich es nicht einmal, zu essen. Die Fraktionssitzung dauert bis 19 Uhr, und bei mir meldet sich dann wirklich der Hunger.

Wenn ich am Abend keine weiteren Termine habe, mache ich mich auf den Weg nach Hause. Irgendwann ist dann Freitag, und wenn ich es schaffe, zum Gebet in die Synagoge zu gehen, dann tut mir das wirklich gut. Das ist so ein Cut, und ich begreife: Das Wochenende ist da.

gemeinde Ich gehöre der IKG Nürnberg an und sehe mit Freude, wie sie sich entwickelt. Im Moment hat sie so um die 2000 Mitglieder, und vor Kurzem hatten wir eine wunderschöne Batmizwa für sieben Mädchen. So etwas gab es bisher noch nie! Im Herbst soll das neue Gemeindezentrum fertig sein. Darauf freue ich mich riesig.

Wenn ich für die Politik unterwegs bin, wissen die Leute, mit denen ich zu tun habe, in der Regel, dass ich Jüdin bin, auch weil ich damit recht offensiv umgehe. Bin ich allerdings in Sachen Integration zugange, denken viele erst einmal, ich sei eine Muslimin. Die Vorstellung ist offensichtlich die, dass es üblicherweise Muslime sind, die sich für Integration einsetzen. Irgendwann sage ich dann: »Nö, bin ich gar nicht, ich bin jüdisch.« Dann staunen die Leute.

Seltsam wird es, wenn man mich ärgerlich anspricht, was mir überhaupt einfalle, als Muslimin dies oder das zu sagen. Wenn ich dann sage, ich bin Jüdin, dann merkst du richtig, wie es im Kopf rattert und die Leute darüber nachdenken, was man jetzt noch sagen darf und was nicht. Das stört mich.

Dass ich als Politikerin auch Termine wahrnehmen muss, die mir erst einmal fremd sind, macht mir hingegen weniger aus. Das gehört zum Geschäft, auch wenn man sich dabei mitunter ein wenig komisch vorkommt. Vor ein paar Sonntagen etwa war ich bei einer Pfarrereinführung in dem Stadtteil, für den ich zuständig bin. Zum ersten Mal habe ich einen evangelischen Gottesdienst miterlebt.

überzeugung Mehr als zwei Termine am Wochenende versuche ich zu vermeiden. Ich muss ja irgendwann auch mal meine E-Mails checken und im Haus nach dem Rechten sehen, kochen. Unseren Haushalt führen wir kosher style. Judith hat auch am Wochenende Training. Sie ist da wirklich eifrig und schafft das alles noch neben der Schule. Vitali sagt, darin würde sie mir ähneln: Sie braucht wie ich die permanente Belastung.

Das erinnert mich an meine Zeit als junges Mädchen und wie relativ schnell ich mit dem Gymnasium in Deutschland zurechtgekommen bin. Ohne Wiederholung hatte ich in drei Jahren mein Abitur. Dass das so gut geklappt hat, habe ich einem Pfarrer zu verdanken. Der hatte mich in dem Heim, in dem wir untergebracht waren, sozusagen entdeckt. Ich war ihm durch mein Gesangstalent aufgefallen, und er konnte mich in einem musischen Gymnasium unterbringen. Durch die Leidenschaft für Musik habe ich mein Abitur bestanden.

In Musik und Mathe war ich viel weiter als meine deutschen Mitschüler. Meine erste Matheaufgabe löste ich nach einer Viertelstunde. Der Lehrer sagte, das könne nicht sein. Ich hatte einfach die Ergebnisse hingeschrieben, und die waren dann auch noch so gut wie alle richtig. In Russland hatten wir einfach gut Kopfrechnen gelernt. Wenn das Ergebnis nicht stimmte: null Punkte. In Deutschland war plötzlich alles ganz anders: Da brachte der Rechenweg die Punkte, das Ergebnis spielte keine große Rolle. Jedenfalls bestellte der Lehrer mich zu sich und ließ mich noch einmal alles im Kopf ausrechnen. Dann war er überzeugt.

Bis heute versuche ich zu überzeugen, auch junge Leute aus der Gemeinde. Ich mache ihnen Mut, in die Politik zu gehen. Es muss ja nicht gleich der Stadtrat sein.

Aufgezeichnet von Katrin Diehl.

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