Die erste biblische Gestalt, von der wir uns inspirieren, wenn wir den Brauch des »Reißens« eines Risses in eines unserer Kleiderstücke ausüben, die sogenannte »Qria«, ist Jaakow Awinu, Jaakow, unser Erzvater. Jaakows Riss in seinem Kleid war der physische Ausdruck des inneren Gefühls seines zerrissenen Herzens über den verloren geglaubten Sohn Joseph.
Es wäre zu schön, wäre Jonathan Noach nur verloren geglaubt. Nur zu gerne würden auch wir – egal, nach wie viel Warten – Jonathan wieder umarmen können.
Im Midrasch zum Buche Mischlej wird erzählt, dass die beiden Söhne Rabbi Meirs und seiner Frau Brurja am selben Schabbat gestorben sind. Brurja bedeckte die beiden mit einem Leintuch, legte sie in zwei Betten in einem verschlossenen Zimmer und sagte ihrem Mann nichts, denn am Schabbat darf man nicht trauern. Nach Ausgang des Schabbats wartete sie auf ihn, und als er kam machten sie zusammen die Hawdala.
Auch sorgte Brurja dafür, dass Rabbi Meir nach Hawdala etwas zu sich nimmt. Endlich wandte sich Brurja nun zu ihrem Mann mit der Frage: »Wenn jemand bei dir ein Pfand hinterlegt und es jetzt wieder zurückverlangt, was gilt es zu tun?«
Pfand Rabbi Meir antwortete kurz und entschieden: »Das Pfand muss zurückerstattet werden.« Da führte Brurja ihren Mann ins Zimmer, zeigte ihm die beiden toten Söhne und sprach: G’tt hat uns ein Pfand gegeben – jetzt verlangt er es zurück. Jonathan bedeutet: G’tt hat gegeben, er hat gegeben und er hat genommen, möge G’ttes Name gesegnet sein!
Jeschajhu, der Prophet, lässt G’ttes Worte erhören: »Denn nicht meine Gedanken sind eure Gedanken und nicht eure Wege sind meine Wege – ist der Spruch des Ewigen. Denn so, wie die Himmel höher sind als die Erde, so sind meine Wege höher als die euren und meine Gedanken über euren Gedanken.«
Nach Ausgang des traurigsten Schabbat im Jahreskalender der jüdischen Nation, des Schabbats Chason, der Vision und Prophetie der Zerstörung des ersten und des zweiten Tempels, wurde Jonathan auf tragischste Weise seinen Liebsten in die reißenden Ströme des Amazonas entrissen.
Eine Woche, ganz bestimmt die schwerste im Leben der Eltern Jonathans, folgte – sieben Tage der Ungewissheit, an denen sich Hoffnungslosigkeit und Hoffnungsschimmer abwechselte, bis dann nach Ausgang des Schabbats Nachamu – des Schabbats des Tröstens Jonathan leblos gefunden und geborgen wurde.
Weil wir alle eine große Familie sind, kann ich Ihnen, liebe Trauerfamilie, versichern, dass die Gemeinde Münchens Sie alle umarmt und stärkt.