Berlin

»Die Bühne muss mobil sein«

Herr Sauerbaum, Sie planen ein jüdisches Theaterschiff. Braucht Berlin einen solchen mobilen Ort, obwohl es schon viele Begegnungsstätten gibt?
Die Stadt benötigt eine frische Brise, einen attraktiven Ort der Begegnung, an dem Austausch und wechselseitige Inspiration gefördert, Diskurse über jüdische Themen geführt werden und jüdische Kultur in all ihrer Vielfalt gezeigt wird. »Die Bühne« strebt an, ein kultureller Leuchtturm zu werden, weit sichtbar, attraktiv und anziehend. Theater, Konzerte, Kabaretts, Tanzabende, Filmvorführungen, Partys und Projekte werden attraktive Foren der Begegnung sein.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Antisemitische, fremdenfeindliche und rassistische Attacken sind nicht lokal gebunden, sondern breiten sich im ganzen Land aus. Daher müssen unsere Bestrebungen örtlich ebenso ungebunden sein. Deswegen die Mobilität der Bühne – es ist nichts weniger zu unternehmen, als die Menschheit zu retten, und das Synonym dafür ist die Arche. So kamen wir auf die Idee, das Jüdische Theaterschiff »Die Bühne« vom Stapel zu lassen.

Wer sind Ihre Mitstreiter?
Das Ganze ist ein Projekt des Berliner Vereins »Discover Jewish Europe«. Dazu gehören der Komponist und Musiker Max Doehlemann, der technische Leiter Klaus Wichmann, die SPD-Politikerin Brigitte Lange, deren Schwerpunkt kulturelle Angelegenheiten sind, die Violinistin Liv Migdal, die Juristin Nina Dieckmann, ebenso der Dramaturg Frank Groborz und die Unternehmerin Noa Lerner, die für Tourismus und Marketing zuständig sein wird. Also, wir sind ein breit aufgestelltes Team und verfügen alle über wichtige Netzwerke.

Ihr Schiff heißt »MS Goldberg«. Wie haben Sie es gefunden?
Man sucht Schiffe. Und dann stießen wir irgendwann auf die MS Goldberg. Das passte. Wir hatten uns mit Leuten unterhalten, die sich damit auskennen. Ich war heute gerade im Westhafen und habe mit dem Kapitän über das Projekt gesprochen. Der jetzige Eigner bleibt als Kapitän auf dem Schiff. Aus Altersgründen wollte er nicht mehr jeden Tag unterwegs sein. Er findet das Projekt toll, und er wird das Schiff maximal zweimal pro Woche bewegen.

Wie darf man sich das vorstellen: Gleitet das Schiff bei den Lesungen, Diskussionen oder Vorführungen über die Spree?
Nein, nein, es legt dafür an. Ansonsten würden die Umbaukosten explodieren. Das sind auch Sicherheitsvorschriften, die eine Rolle spielen. So finden in dem Theater 190 Zuschauer Platz. Außerdem wird es noch ein Restaurant geben und im Sommer einen Biergarten.

Es würde dann zu Öffnungszeiten an bestimmten Stellen an Berliner Anlegestellen haltmachen?
Ja, natürlich in Berlin, aber das Schiff würde auch in Brandenburg an der Havel anlegen und an Orten entlang der Spree, Dahme, Oder und Elbe aufbrechen. Dort, wo wir es auch als nötig empfinden. Wir möchten dort anlegen, wo einmal jüdische Gemeinden zu Hause waren. Wir wollen aber auch mit den vielen Initiativen vor Ort zusammenarbeiten, die sich um lokale Geschichte kümmern, die auch die Geschichte der ermordeten jüdischen Nachbarn erforschen und ins Gedächtnis zurückbringen, die vor Ort eine tolle Erinnerungsarbeit leisten.

Welche Stücke haben Sie im Spielplan aufgenommen, und wer wird auftreten?
Zum Beispiel werden wir jetzt Taboris Bearbeitung von Lessings »Die Juden« in der Originalbesetzung bringen. Unser Spielplan wird sowohl mit historisch interessanten Themen als auch mit Uraufführungen bestückt. Die Aufträge erteilen wir gerade.

Es wird also mehr als Theaterinszenierungen geben?
Ja, es geht nicht nur ums Theater, sondern um die breite Palette von Theater bis Kino. Es gibt kein eigenes festes Ensemble, sondern ein variantenreiches Programm. Besonders wichtig ist uns: Das Theaterschiff ist nicht nur Forum für Begegnung und Diskurs, sondern auch Lernort, da der Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit schon in Kitas und Schulen beginnen muss. Hier werden die Grundlagen gelegt, um Kinder und Jugendliche gegenüber antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Einflüsterungen zu immunisieren. Daher sind uns Projekte und Programme der kulturellen Bildung sehr wichtig.

Welche Pläne haben Sie darüber hinaus? Kann das Schiff auch anderweitig genutzt werden?
Man darf es auch mieten, man kann dort beispielsweise unter die Chuppa treten oder Bar- und Batmizwa feiern. Verlage können Literatur vorstellen und Galeristen Bilder. Die Kunstveranstaltungen richten wir selbst aus. Im Potsdamer Landtag wurde gerade die Ausstellung »Zeitzeugen« präsentiert – die würden wir auch gerne aufs Schiff bringen.

Sie und Ihre Mitstreiter erwerben das Schiff. Mit welchen Ausgaben rechnen Sie?
Für den sechsstelligen Kaufpreis des Schiffes sammeln wir. Wir sind auf einem guten Weg. Und dann kommen 900.000 Euro für den Umbau hinzu. Ich ziehe mit einem großen Hut durch die Republik und hoffe auf zahlreiche Spenden.

Wann planen Sie, mit dem Schiff »in die Spree zu stechen«?
Wir hoffen, dass wir im Mai in die Werft fahren können, um das Schiff umbauen zu lassen. Im Sommer 2021 soll es dann losgehen.

Wo in Berlin würden Sie gern anlegen?
Wir diskutieren verschiedene Dinge. Das ist nicht so leicht, wie es sich anhört, denn man darf nicht überall anlegen. Man muss bedenken, dass die Wasserstraßen Bundesangelegenheit sind, die Ufer hingegen sind privat, und dann gibt es bezirkliche Gestaltungspläne. Es ist auch nicht einfach, einen Liegeplatz zu finden. Und das soll ja nicht der einzige Platz sein. Wir wollen den Anker bei den Reinbeckhallen in Oberschöneweide legen, aber auch in Spandau und Tegel spielen und in der Nähe des Berliner Ensembles beim Wissenschaftsschiff.

All das will gut vorbereitet sein und dauert seine Zeit. Wenn es dann so weit ist: Worauf freuen Sie sich besonders?
Auf alles! Dass wir unsere Kunst- und Kulturprojekte realisieren können, und vor allem auf den Lernort. Wir gestalten unser Programm für Menschen aller Altersgruppen, unabhängig von sozialer Herkunft und religiösem Bekenntnis. Es wird spannend, unterhaltsam und lehrreich zugleich sein. Kinderaufführungen, Bildungsprojekte, aber auch die Einbeziehung von neueren Kunstformen wie elektronischer Musik und neuen Theaterformaten sorgen dafür, dass auch jüngere Generationen eingebunden werden.

Mit dem Leiter des Choriner Musiksommers und ehemaligen Kulturdezernenten der Jüdischen Gemeinde zu Berlin sprach Christine Schmitt.

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