Köln

Dialog im Dom

Der Kölner Dom ist für alle Menschen in der Stadt, unabhängig von ihrem Glauben, ein identitätsstiftender Raum, der die Ortsansässigen ebenso bewegt wie die Menschen, die hierherkommen.» Mit diesen Worten ordnet Abraham Lehrer die Bedeutung des Kölner Wahrzeichens aus seiner Sicht ein.

Doch seit Langem bewegt den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland und den Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln (SGK) im Zusammenhang mit der Kathedrale eine ganz andere Frage: Es geht um den angemessenen Umgang mit den antisemitischen Artefakten im und am Dom.

dreikönigenschrein Und das sind einige. So befindet sich beispielsweise auf der Rückseite des Dreikönigenschreins, die wohl bedeutendste Goldschmiedearbeit des Mittelalters, eine Darstellung der Geißelung Jesu. Entgegen der biblischen Überlieferung sind es statt der römischen Soldaten zwei durch den tellerförmigen Trichterhut eindeutig als Juden erkennbare Männer, die mit grimassierendem Gesichtsausdruck auf den an einer Säule angebundenen Jesus mit Ruten einschlagen.

Ein anderes Beispiel ist das sogenannte Kinderfenster im Querhaus. Wer die figurenreichen Darstellungen des vierbahnigen Glasfensters aus den 60er-Jahren studiert, entdeckt etwa eine Darstellung vom Judasverrat: Der einstige Jünger Jesu erhält einen übergroßen Geldbeutel, der das antisemitische Stereotyp der Habgier bedient.

Zudem werden Judas und die anderen jüdischen Widersacher Jesu mit physiognomischen Merkmalen dargestellt, wie sie Juden in antisemitischen Hetz- und Propagandaschriften zugeschrieben werden. Solche und weitere Artefakte belegen, wie es der Kölner Dombaumeister Peter Füssenich formuliert, «dass Antijudaismus als Wurzel von Antisemitismus in Deutschland eine jahrhundertelange, geradezu ungebrochene Tradition hat, die auch im Dom ihre Spuren hinterließ».

DARSTELLUNG Abraham Lehrer weist darauf hin, dass es auf jüdischer Seite zwei Antworten auf die Frage nach dem Umgang mit antisemitischen Darstellungen im Kölner Dom sowie an christlichen Kirchen insgesamt gibt: «Die eine Seite plädiert eindeutig dafür, dass antisemitische Aussagen keinen Bestand mehr in christlichen Kirchen respektive dem Dom haben dürfen. Die andere Seite spricht sich dafür aus, diese Objekte und deren Verortung im Dom exakt zu benennen, leicht auffindbar zu machen und sie an ihren Positionen zu belassen, um sich über den antisemitischen Gehalt der Werke zu informieren.» In der SGK gebe es Raum für beide Meinungen. Der Prozess der abschließenden Meinungsbildung sei noch längst nicht abgeschlossen.

Der Zentralratsvize würdigt in diesem Zusammenhang die intensiven Bemühungen der vergangenen Jahre, die Artefakte im Kölner Dom, die von erschreckender Judenfeindschaft zeugen, umfassend zu erforschen und in Publikationen, Themenrundgängen und Ausstellungen zu kontextualisieren.

Diakon Jens Freiwald, stellvertretender Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, erinnert daran, dass die Gesellschaft gemeinsam mit der Geistlichkeit an der Hohen Domkirche, dem Domkapitel, im Jahr 2016 den mit verschiedenen Vertretern von Institutionen der Kölner Stadtgesellschaft besetzten Arbeitskreis «Der Kölner Dom und die ›Juden‹» gebildet hat. Auch Abraham Lehrer sowie weitere SGK-Mitglieder gehören dem Kreis an.

In den vergangenen Jahren hat die Arbeitsgruppe etwa ein spezielles Heft konzipiert, mit dem Besucher des Doms einen Rundgang entlang der antisemitischen Artefakte unternehmen können und dabei durch die Texte eine Einordnung in die historischen, gesellschaftlichen oder theologischen Kontexte erhalten. Zudem wurden die für Führungen durch die Kathedrale verantwortlichen Personen entsprechend sensibilisiert und geschult. Darüber hinaus gab es im Festjahr «1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland» eine eigene Ausstellung. «Ich bin dem Domkapitel sehr, sehr dankbar, dass der Arbeitskreis völlig frei arbeiten kann», betont Abraham Lehrer.

KUNSTWERK Nun geht der Arbeitskreis einen weiteren Schritt und startet einen internationalen Kunstwettbewerb zum christlich-jüdischen Verhältnis. «Im Bewusstsein der christlich-jüdischen Geschichte soll für den Kölner Dom ein neues Kunstwerk geschaffen werden, das den Blick auf Gegenwart und Zukunft richtet», erklärt der Kölner Weihbischof Rolf Steinhäuser, der auch Bischofsvikar für die Ökumene und interreligiösen Dialog im Erzbistum Köln ist.

Bei dem Kunstwettbewerb handelt es sich um einen Einladungswettbewerb als kooperatives Dialogverfahren. Konkret bedeutet das, wie Stefan Kraus, Direktor von «Kolumba», dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln, sowie Mitglied der Wettbewerbsjury, ausführt: «Im ersten Schritt werden acht Personen, die mit Künstlern und dem internationalen zeitgenössischen Kunstgeschehen vertraut sind, gebeten, der Jury jeweils einen Künstler und eine Künstlerin zu nennen.»

Diese 16 Kunstschaffenden werden dann von der Jury angesprochen und gebeten, bis etwa Dezember einen Entwurf einzureichen. «Nach dieser Dialogphase folgt mit dem zweiten Schritt die Vertiefungsphase, denn aus den 16 Einreichungen werden vier ausgewählt und weiterverfolgt», erläutert Kraus.

ENTWURF Bis zum Herbst 2024 soll dann der Siegerentwurf feststehen und dem Domkapitel als Auftraggeber zur Umsetzung empfohlen werden. 500.000 Euro stellt das Domkapitel für die Durchführung des Wettbewerbs bereit. Weihbischof Steinhäuser ist es wichtig zu betonen, dass das Domkapitel den noch zu findenden Künstlern keine grundsätzlichen Grenzen für die Ausführung ihrer Entwürfe oder Vorgaben für die zu verwendenden Materialien setze.

Es gehe darum, «Kunst mit Kunst» zu begegnen. Auch ein möglicher Aufstellungsort ist nicht vorgegeben. Im Gegenteil. Stefan Kraus weist auf den Ausschreibungstext hin: «Die bewusste Verortung des Werks ist Teil der Wettbewerbsaufgabe.»

Der Arbeitskreis nimmt mit dem Kunstwettbewerb einen Gedanken des Theologen Reinhard Hoeps auf, der bereits 2006 vorgeschlagen hatte: «Der bildlichen Struktur entspräche es, wenn die neuerliche Auseinandersetzung um das Thema ›Der Kölner Dom und die Juden‹ wiederum in einem Bildwerk Ausdruck fände, das auf der Höhe der künstlerischen Reflexion unserer Zeit steht (…). Für die Kritik an Bildern im Kölner Dom sind Bilder am besten geeignet.»

Zur Jury des Wettbewerbs gehören außer Abraham Lehrer von jüdischer Seite noch Salomon Korn, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, sowie Rabbiner Jehoschua Ahrens, ehrenamtlicher Direktor des Center for Jewish-Christian Understanding and Cooperation, Jerusalem.

PROJEKT Dass ein solches Kunstwerk an einem der weltweit wichtigsten christlichen Gotteshäuser dauerhaft aufgestellt werden soll, verleihe dem Projekt eine deutschlandweit beispielhafte Strahlkraft, sagt Abraham Lehrer. «Das Kunstwerk soll aufzeigen, wie sich das christlich-jüdische Verhältnis zeitgemäß und für die Zukunft inspirierend darstellen lässt.» Das bedeute aber keinen Schlussstrich unter die Vergangenheit. Dafür stehe weder die jüdische Gemeinschaft noch jemand aus der Arbeitsgruppe.

Diakon Freiwald ergänzt in diesem Zusammenhang: «Der Kunstwettbewerb ist in gewisser Weise auch Teil eines Aufarbeitungsprozesses des christlich-jüdischen Verhältnisses, denn wir Christen haben das Verhältnis zum Judentum die allerlängste Zeit der Geschichte sehr einseitig und sehr zulasten der Juden definiert. Als Christen möchten wir diesen Prozess heute aber nicht mehr ohne die jüdische Perspektive betreiben und sind insofern auf ein Wohlwollen unserer jüdischen Partner angewiesen.»

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