Berlin

»Der Text begleitet mich mein ganzes Leben«

Nur Ben Shalom Foto: Andrej Grilc

Herr Ben Shalom, den ersten Seder, der in diesem Jahr mit dem christlichen Karfreitag zusammenfällt, gestalten Sie gemeinsam mit der evangelischen Gemeinde der Apostel-Paulus-Kirche in Berlin-Schöneberg einen musikalischen Gottesdienst. Wie kam es dazu?
Dieses Jahr fällt das Datum des Karfreitags und des Seders auf den Jahrestag des Beginns des Aufstands im Warschauer Ghetto am 19. April 1943. Superintendent Michael Raddatz, Kantor Frank Schreiber und ich haben lange überlegt, wie wir diesen dreifach bedeutsamen Tag begehen können. Wir wollen den Gottesdienst als eine liturgisch-musikalische Melange aus den Stimmen von heute und damals gestalten. Gemeinsam mit einem Kammermusikensemble werde ich Lieder von Komponisten aus dem Warschauer Ghetto spielen, der Superintendent wird Psalmen und Gebete vortragen. Diese Mischung aus Musik und religiöser Zeremonie finde ich spannend.

Für Sie hat die Veranstaltung auch eine sehr persönliche Bedeutung.
Meine Großtante, Salomea Ochs Luft, wurde in dem Ghetto in Polen getötet.

Ein Brief, den Ihre Großtante kurz vor ihrer Ermordung im April 1943 aus dem Ghetto an ihre Familie geschrieben hat, wird eine zentrale Rolle in dem Gottesdienst spielen.
Dieser zwölf Seiten lange Text begleitet mich mein ganzes Leben. Ich bin mit dem Wissen über ihn aufgewachsen. Wenn man den Brief liest, ist man überwältigt. Er ist wie ein Bericht aus der Hölle. Teile des Briefes sollen während des Gottesdiensts vorgelesen werden, mit Klarinettenmusik untermalt.

Wer war Ihre Großtante?
Meine Großtante war Pianistin. Ich habe das Gefühl, dass ich ihr durch die Veröffentlichung des Briefs zusammen mit meiner Musik eine Stimme wiedergeben kann.

Welche Botschaft soll von der Veranstaltung ausgehen?
Der Gottesdienst soll zum Nachdenken anregen, über die Geschichte, aber auch über die Gegenwart. Ich denke, dass von dem Ganzen ein überkonfessioneller Appell an die Menschlichkeit ausgeht. Für mich ist es nicht einfach, meine Familiengeschichte öffentlich zu machen. Ich danke der Gemeinde für diese Chance. Ich finde es überaus mutig, an einem hohen religiösen Feiertag gleichzeitig eines so dunklen Geschichtskapitels zu gedenken.

Das Konzert zum Gedenken an den Aufstand im Warschauer Ghetto findet am 19. April um 10.05 Uhr in der Apostel-Paulus-Kirche, Klixstraße 2, in Berlin-Schöneberg statt. Einlass ist bis 9.45 Uhr.

Zeitzeugin

Auftakt mit Margot Friedländer

Die Schoa-Überlebende las zum Beginn der Gesprächsreihe vor Schülerinnen und Schülern im Bundesfinanzministerium – eröffnet wurde die Veranstaltung von Christian Lindner

 22.03.2023

Pantomime

Von der Kunst der Stille

Eine Ausstellung im Jüdischen Gemeindezentrum zeigt Fotografien über Marcel Marceau

von Stefanie Witterauf  22.03.2023

Interview

»Es war ein Schock«

An Ora Avitals Tür wurde ein Hakenkreuz geschmiert. Angst will sich die israelische Künstlerin aber nicht machen lassen

von Imanuel Marcus  20.03.2023

Filmdebüt

Auf der Suche

In der Dokumentation »Liebe Angst« verarbeitet Kim Seligsohn die Geschichte ihrer Familie

von Alicia Rust  19.03.2023

Porträt der Woche

Mit Leib und Seele

Laura Goldfarb ist Schauspielerin und fand als Sexual- und Paartherapeutin eine neue Berufung

von Christine Schmitt  19.03.2023

Thüringen

Jüdische Landesgemeinde bekommt mehr Geld vom Land

Eine feste Summe für die jüdische Kulturarbeit ist Teil der Vereinbarung

von Matthias Thüsing  17.03.2023

Foto-Reportage

»Wir haben kein anderes Land«

Vor dem Brandenburger Tor demonstrierten am Donnerstag mehrere hundert Menschen gegen den israelischen Premier

von Joshua Schultheis  16.03.2023

Berlin

Hilfe für Geflüchtete

Wie die Gemeinde Kahal Adass Jisroel ukrainische Familien ganz praktisch beim Ankommen unterstützt

von Elke Wittich  16.03.2023

Potsdam

Die anderen Juden?

Das Mini-Festival »Jüdische Ossis« thematisierte ein selten besprochenes Kapitel deutscher Zeitgeschichte

von Alicia Rust  22.03.2023 Aktualisiert