Porträt der Woche

Der Netzwerker

»Aus ganz Deutschland gibt es Anfragen für unsere Workshops«: Alex Golub (28) aus Rheinland-Pfalz Foto: Ilja Kagan

Ich mag es sehr, unterwegs zu sein. Als IT-Projektmanager habe ich einen mobilen Arbeitsplatz, kann also überall arbeiten und viele weitere Projekte verwirklichen. Zudem führen mich verschiedene Hobbys wie Städtetrips, Snowboarden und Konzerte und natürlich die Reisen für meine jüdischen Aktionen durch ganz Deutschland. Nach dem 7. Oktober ist es schwieriger geworden, sein Jüdischsein selbstbewusst nach außen zu zeigen – aber das möchte ich nicht aufgeben.

An Worms, wo ich aufgewachsen bin, mag ich, dass es eine geschichtsträchtige Stadt mit schönen Kulturfesten ist. Leider gibt es hier nicht so viel jüdisches Leben. Meine Großeltern und Eltern kamen 1995 aus Odessa nach Deutschland, ich selbst wurde 1995 hier geboren. Musik ist ein gemeinsames Hobby von meinem Vater und mir. Er ist Jazzschlagzeuger, und ich spiele Bassgitarre in einer Jazzband. Als Instrumentalisten erfahren wir die Musik intensiver.

Ich ziehe mich manchmal gern zurück, um abschalten zu können

Außerdem erlebe ich sehr gern Dinge mit Freunden, wir gehen zum Beispiel zusammen in Museen für moderne Kunst. Das verleiht mir so eine Ruhe und gleichzeitig neue Inspirationen. Ich ziehe mich auch manchmal gern zurück, um komplett abschalten zu können. Konkret heißt das, in die Natur fahren, wandern gehen, meditieren sowie das Handy ausschalten und Yoga. Wenn man so einen Lifestyle führt wie ich, ist es wichtig, eine Balance zu haben. Ich bin ein Extremler, brauche dann meine Auszeiten, Introspektion.

In meinem Job beschäftige ich mich mit IT-Strategien großer Unternehmen. Seit Corona arbeite ich eigentlich nur noch im Homeoffice. Studiert habe ich »International Management« in Mannheim und danach ein Unternehmen gefunden, das zu mir passt. In meinem Beruf konnte ich mich aber nicht vollkommen verwirklichen und wollte deshalb eigene Projekte starten.

Durch mein Engagement in der jüdischen Community lernte ich zahlreiche Jüdinnen und Juden kennen und fand so mehr Freunde mit einem ähnlichen kulturellen Hintergrund. Jetzt möchte ich in einer Großstadt leben. Ich habe vor, ein Moishe-Haus aufzumachen, eine Art jüdische Wohngemeinschaft, bei der man Freunde einlädt, regelmäßig Veranstaltungen macht, wie Schabbatessen oder Vorträge. Das kann man durch eine weltweite Organisation fördern lassen.

Ich schaffe gern Räume, wo jüdische Inspiration stattfindet und wir uns unserer Stärken und Fähigkeiten bewusster werden. Solch eine Community zu bauen, würde mich erfüllen und mir die Möglichkeit geben, die Welt ein wenig besser zu machen.

Ich schaffe gern Räume, wo jüdische Inspiration stattfindet.

Ehrenamtlich beschäftige ich mich mit jüdischen Projekten. Als ich 26 Jahre alt war, habe ich gemerkt, dass mir mein Berufsleben sehr viele Situationen beschert, in denen ich meine Fähigkeiten gut zur Geltung bringen, schwierige Probleme lösen kann und in denen mir auch viel anvertraut wird. Aber mir fehlte trotzdem etwas. Ich nahm an einem Leadership Seminar der Janusz Korczak Akademie in Berlin teil und kam in Kontakt zu Nevatim, das Projektförderungen im Bereich jüdische informelle Bildung ausstellt.

Für mich haben sich tiefe Freundschaften entwickelt

Ich war und bin sehr motiviert, selbst etwas aufzubauen mit den Seminaren. Und so haben sich für mich in der jüdischen Community auch tiefe Freundschaften entwickelt. Ich würde mich als Organisator, Projektmanager und Unternehmer bezeichnen. Mir macht es Spaß, Anstöße zu geben. Auch einmal zu intervenieren, wenn es hakt. Und Sachen selbst anzupacken.

Eigentlich bin ich ein total unmodischer Mensch. Mein Interesse an Mode ist vielleicht vergleichbar mit dem von Mark Zuckerberg, der zehn graue T-Shirts hat, die alle gleich sind. Etwa diese Kategorie. Aber durch das Projekt »J-Fashion« habe ich mehr darüber gelernt, wie Kleidung unsere Außenwirkung prägt. Wie wir bewusster damit umgehen können, darum geht es mir im Themenbereich Mode. »J-Fashion« steht für Jewish Fashion und befasst sich mit Identitätserforschung, jüdischem Leben und Mode.

Als Konversationsstarter trage ich gern meine Mütze mit dem Schriftzug »Mensh«. Dieses jiddische Wort wirkt erst einmal wie ein Schreibfehler und bringt manchmal sehr schöne Gespräche mit wildfremden Menschen ins Rollen. Der Begriff steht für einen tugendhaften Menschen, der etwas Gutes in die Welt bringt. Diese »Mensh«-Mütze ist hervorgegangen aus meinem Projekt »J-Fashion«.

Es geht darum, etwas nach außen zu tragen

Es geht darum, etwas nach außen zu tragen und die Träger selbstbewusster zu machen. Wenn uns nämlich klar ist, wer wir sind, welche Eigenschaften wir haben, dann können wir das auch selbstbewusst nach außen zeigen. Es wirkt positiv, und andere Menschen werden neugierig. Durch diese Neugier entstehen gute Gespräche.

Informationen über Geschehnisse in der Welt sind das eine. Aber ich habe erfahren, wie wichtig es ist, dass man sich selbst versteht. Und dass es auch ein Weg der persönlichen Entwicklung ist. So habe ich mit einem Team von Ehrenamtlichen eine Art Persönlichkeitsentwicklungsseminar entwickelt. Der Themenkomplex befasst sich mit Identität, Judentum und Mode.

Wir beschäftigen uns mit Problemstellungen wie diesen: Was ist Identität? In welchem Zusammenhang steht das zur Herkunft? Wie sieht das alles in jungen Jahren aus? Und dazu gesellt sich die Frage: Was ziehe ich an? Was möchte ich über meine Kleidung ausdrücken? Auch wollen wir herausfinden, welche Eigenschaften man hat oder auch inwieweit man Teile seiner jüdischen Identität womöglich noch gar nicht richtig realisiert hat.

Mittlerweile reisen wir durch ganz Deutschland. Vergangenes Jahr waren es 13 Veranstaltungen in kleinen und größeren Städten. Egal, wo wir sind, haben wir eine schöne Botschaft, die wir kreieren. Diese Verbundenheit zu spüren, ist einfach toll. Es geht darum, sich mit der jüdischen Identität zu beschäftigen und ein Motiv zu entwickeln, das davon inspiriert ist. Ganz individuell. Aufgedruckt auf ein Kleidungsstück oder auf eine Tasche können es die Teilnehmer dann in ihrem Alltag tragen. Und wenn sie darauf angesprochen werden, können sie mit Stolz ihr eigenes Werk vorstellen.

Im Team von »MyJcon« sind wir zu sechst. In unserem Namen stecken gleich mehrere Bedeutungen. Wir verbinden Menschen aus unterschiedlichen Städten und Lebenslagen mit dem Interesse an jüdischen Werten und Kultur, das ist die »Connection«. Wir stoßen Gespräche an, also »Conversation«. Und wichtig ist auch die »Confidence«. Wir gehen alle mit einer selbstbewussten Haltung raus und sind stolz auf unsere Identität, auf uns selbst. Unterstützt werden wir mit Fördergeldern von Trägervereinen wie Nevatim, der Jewish Agency, Jewish ArtEck und Kibbuz e.V.

Es ist wichtig, sein Jüdischsein selbstbewusst nach außen zu zeigen

Es ist wichtig, sein Jüdischsein selbstbewusst nach außen zu zeigen und Wege zu finden, wie man es machen kann. Es gibt natürlich diejenigen, die sich jetzt eher zurückziehen. Schließlich ist der Antisemitismus gerade jetzt noch sichtbarer geworden. Das ist sehr problematisch, und doch darf unser Leben nicht durch den Judenhass diktiert werden. Wir sollten jetzt nicht sagen, wir packen unsere Koffer oder wir bauen unsere Synagogen ab. Wir gehen jetzt nicht in den Keller und kommen erst wieder heraus, wenn der Antisemitismus vorbei ist. Das geht nicht. Das Leben geht weiter. Und durch Aufklärung, durch persönliche Gespräche können wir entgegenwirken.

Auch auf anderen Wegen, nicht nur über die Workshops und Seminare, ergeben sich Verbindungen. Für das neue Jahr gibt es aus ganz Deutschland Anfragen für unsere Workshops. Wir werden weitermachen. Aber natürlich diskutieren wir unsere Themen nun anders. Und es sollte für jeden Menschen eine individuelle Entscheidung sein, wie sehr er oder sie das Jüdischsein nach außen tragen will.

Meine Projekte, die Begegnungen mit jüdischen jungen Menschen in ganz Deutschland ermöglichen, sind mir auch im kommenden Jahr sehr wichtig. Es ist doch toll, wenn man Sachen über sich erfährt. Jüdisch zu sein bedeutet ja nicht nur, freitags in die Synagoge zu gehen, sondern dass du so viel Spannendes an dir hast. Und es ist meine Vision, dass wir uns als jüdische Menschen stolz zeigen können, ohne um unsere Sicherheit besorgt zu sein. Ich würde mich freuen, wenn durch meine Geschichte junge jüdische Menschen inspiriert sind, aktiv zu werden, und sich mit ihren eigenen Ideen einbringen und selbst Projekte starten.

Aufgezeichnet von Annette Kanis

Porträt der Woche

Unterwegs

Channah von Eickstedt fuhr Taxi, war Buchhändlerin und gründete eine Gemeinde

von Gerhard Haase-Hindenberg  28.04.2024

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an Warschauer Ghetto-Aufstand

Zum Gedenken gehört eine Kranzniederlegung am Mahnmal vor dem Gemeindehaus

 26.04.2024

Sachsen

Landesbeauftragter: Jüdisches Leben auch in Sachsen gefährdet

Die Hemmschwelle, in eine Synagoge zu gehen, sei größer geworden, sagt Thomas Feist (CDU)

 25.04.2024

Köln

Auftakt des Fachbereichs Frauen der ZWST

Zu den zentralen Themen gehören Empowerment, Gleichberechtigung und Gesundheit

 25.04.2024

Pessach

Vertrauen bewahren

Das Fest des Auszugs aus Ägypten erinnert uns daran, ein Leben in Freiheit zu führen

von Charlotte Knobloch  22.04.2024

Pessach

Das ist Juden in Deutschland dieses Jahr am wichtigsten

Wir haben uns in den Gemeinden umgehört

von Christine Schmitt, Katrin Richter  22.04.2024

Bayern

Gedenkveranstaltung zur Befreiung des KZ Flossenbürg vor 79 Jahren

Vier Schoa-Überlebende nahmen teil – zum ersten Mal war auch der Steinbruch für die Öffentlichkeit begehbar

 21.04.2024

DIG

Interesse an Israel

Lasse Schauder über gesellschaftliches Engagement, neue Mitglieder und die documenta 15

von Ralf Balke  21.04.2024

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024