Porträt der Woche

Der Naturverbundene

»Mein kleines Unternehmen funktioniert ganz gut, ich lebe hauptsächlich von Weiterempfehlungen«: Daniel Fischer wohnt und arbeitet in Berlin. Foto: Stephan Pramme

Porträt der Woche

Der Naturverbundene

Daniel Fischer ist Tischler und arbeitet am liebsten allein

von Alicia Rust  30.07.2023 09:18 Uhr

Unsere Familiengeschichte ist ein wenig unkonventionell. Wie erklärt man anderen, dass die Mutter Jüdin war und der Vater ein deutscher – zum Judentum konvertierter – Kapitän zur See? Doch ich fange anders an: Ich bin in Israel aufgewachsen. Die Eltern meiner Mutter waren jüdisch, ursprünglich kamen sie aus Rumänien. Während der Schoa sind sie nach Israel geflohen, damals waren sie noch sehr jung.

Mein Großvater stammte aus einer jüdischen Familie in Siebenbürgen, Transsilvanien. Zunächst lebten sie in einem Kibbuz, wo auch meine Mutter und mein Onkel Rami geboren wurden. So wuchs meine Mutter innerhalb einer großen Gemeinschaft auf. Ganz in der Nähe, wo auch ich später auf die Welt kam und aufgewachsen bin. Ich wurde im Kibbuz Nahal Oz geboren, also am Fluss Oz. Ich hatte eine schöne Kindheit, man sagt das so leicht, aber so war es tatsächlich.

London Meine Eltern hatten sich auf einem Schiff in Übersee kennengelernt. Zunächst reisten sie gemeinsam um die Welt. Damals war mein Vater noch Kapitän zur Hochsee und meine Mutter eine junge, unternehmungslustige Studentin. In Israel hatte sie ein Studium der Anthropologie begonnen, doch als sie meinen Vater kennenlernte, blieb sie bei ihm. Schließlich zogen die beiden nach London. Dort begann meine Mutter, Drama zu studieren. Anschließend ging es für das junge Paar weiter nach Hamburg, wo meine älteren Schwestern zur Welt kamen.

Schließlich zog die junge Familie weiter, diesmal nach Israel, wo ich geboren wurde. Dort arbeitete meine Mutter als Kunsttherapeutin und später als Dozentin an der Universität. Mein Vater hatte sich bewusst entschieden, nicht mehr in Deutschland leben zu wollen, und es war sein ausdrücklicher Wunsch, dass wir Kinder jüdisch aufwachsen sollten. Er wollte nicht, dass wir uns »anders« fühlten, als Fremde. Wir sollten eine feste Basis haben. Als unsere Familie in einen Kibbuz zog, konvertierte mein Vater sogar im Alter von 38 Jahren zum Judentum. Er wollte ein Teil der Gemeinschaft sein, allerdings nie im religiösen Sinne.

Mein Vater war Kapitän. Als ich drei Jahre alt war, fuhr er wieder zur See.

Was meine Eltern verband, war ihre Liebe zur Kunst, zur Philosophie. Doch es fiel meinem Vater schwer, sesshaft zu werden. Schon nach einigen Jahren zog es ihn wieder häufiger zur See. Schließlich trennten sich meine Eltern, da war ich ungefähr zehn, mein Vater ging zurück in seine Heimatstadt Hamburg. Ich war erst drei Jahre alt, als er wieder begann, zur See zu fahren. Er war immer ein halbes Jahr zur See und dann drei Monate zu Hause. So eine Beziehung auf Distanz hinterlässt natürlich ihre Spuren.

Wir verließen den Kibbuz und zogen nach Maccabim Reut, wo wir uns auf Anhieb sehr wohlfühlten. Zur damaligen Zeit lebten viele Leute von der Armee dort. Heute ist es sehr fancy. Ein schöner Ort, um aufzuwachsen. Ich habe immer noch viele Freunde, schließlich lebte ich hier vom sechsten bis zum 18. Lebensjahr. Eine prägende Zeit.

Handfestes Nach meinem 18. Geburtstag und nach der Highschool zogen wir nach Tel Aviv, was für uns eine gute Entscheidung war. Ich musste nicht zur Armee, das lag an der Art, wie ich erzogen wurde. Vor allem aber war ich vom Wunsch beseelt, unbedingt selbst etwas mit meinen Händen zu bauen: am liebsten ein Haus. Also ging ich zunächst in den Betrieb eines Bekannten, der Maler war. Dort lernte ich viel. Nach ungefähr einem Jahr bemerkte ich, wie viel Spaß es mir machte, mit meinen Händen zu arbeiten. Vor allem mochte ich den Geruch von Holz und die Möglichkeit, etwas zu kons­truieren. Es war etwas Handfestes. Also begann ich, in einer Tischlerei zu arbeiten.

Als ich von einer Reise aus Deutschland zurückkam, bei der ich eine Freundin besucht hatte, kam mir eine schöne Eingebung: Sie hatte ein Baumhaus im Garten, und auf dem Rückflug dachte ich: So etwas möchte ich auch gern machen.

Also begann ich, Architektur zu studieren. Dazu zog ich in den Norden Israels, nach Tel Hay. Ein schöner Ort, der vor allem sehr grün ist, mit Flüssen und Bergen. Wenn ich wieder in Israel leben sollte, dann am liebsten dort. Zunächst studierte ich aber drei Jahre lang Architektur und Design mit dem Schwerpunkt in nachhaltigem Bauen. Dabei hat mir die Praxiserfahrung, die ich zuvor gesammelt hatte, sehr geholfen.

Pass Mein Vater hatte dafür gesorgt, dass ich einen deutschen Pass bekam, rückblickend eine gute Idee. Denn nach dem Studium hatte ich den Plan, einmal nach Europa zu kommen, zunächst nur, um eine Rundreise zu machen. Da ich schon einige Male Berlin besucht hatte, wollte ich hier zunächst als Tischler arbeiten, um dann mit der Architektur weiterzumachen und anschließend zu reisen. Doch es kam anders, und ich blieb hier irgendwie hängen.

Nun bin ich schon seit neun Jahren in der Stadt, und meine Tätigkeit als Tischler erfüllt mich. Ich habe zunächst eine Weiterbildung gemacht, meinen Maschinenschein, dann lernte ich andere Schreiner kennen, von denen ich viel gelernt habe. Seither liebe ich meinen Beruf als Tischler. Natürlich bin ich immer noch dabei, mich weiterzuentwickeln. Obwohl ich 38 Jahre alt bin, lerne ich ständig hinzu. Wer weiß, wohin mich die Zukunft noch trägt.

Auf jeden Fall möchte ich nach wie vor eines Tages auch Häuser bauen, jedenfalls mein eigenes Haus. Etwas aus nachhaltigen Materialien. Das ist und bleibt absolut mein Traum. In den letzten Jahren habe ich alles Mögliche gebaut, vor allem maßangefertigte Möbel: Hochbetten, Tische, Garderoben und Schränke, ganze Küchen. Meine Arbeit entwickelt sich gerade ein wenig in Richtung Innenarchitektur.

instagram Meine kleine Tischlerei habe ich woodonearth genannt, so heißt mein Instagram-Account. Ich bin viel in Kreuzberg, momentan bin ich in einer Werkstatt in Charlottenburg tätig. Am liebsten arbeite ich allein, ich bin überhaupt kein Bürotyp. In Israel war ich zum Beispiel ein Jahr lang in einem Architekturbüro angestellt, was überhaupt nicht mein Fall war.

Mein kleines Unternehmen funktioniert ganz gut, dabei lebe ich hauptsächlich von Weiterempfehlungen. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich dahin gekommen bin, wo ich mich heute befinde. Aber ich mache tatsächlich alles aus Holz, viel aus recyceltem Material, und meine Arbeit erfüllt mich mit Freude. Ich habe auch einen Van, so eine Art Wohnmobil, in dem ich alles an Werkzeug verstaue. Folglich bin ich schnell dort, wo ich gebraucht werde.

Natürlich reise ich nach wie vor viel. Letzten Sommer war ich mit meiner Freundin in Griechenland unterwegs, diesen Sommer sind wir in den Niederlanden. Ich bin sehr naturverbunden. Was mir noch gut gefällt, sind Tiny Houses, meine Überlegungen gehen auch in diese Richtung.

An Berlin gefällt mir und meinen zwei Schwestern – sie leben seit rund einem Jahrzehnt hier –, dass es so eine weltoffene Stadt ist. Einige jüdische Traditionen feiern wir zusammen, selbst wenn wir ansonsten nicht sehr religiös sind – Chanukka zum Beispiel. Das Leben in Israel empfinde ich inzwischen als anstrengend. Es ist sehr teuer geworden, und ich merke, wie wichtig mir die Ruhe ist, ein bisschen mehr Natur und natürlich etwas mehr Sicherheit für die Zukunft.

An Berlin gefällt mir und meinen zwei Schwestern, dass es so eine weltoffene Stadt ist.

Ich baue gern Terrassen. Dabei fordere ich mich selbst heraus und lerne dazu. Es ist schön, etwas anzufertigen, was ich noch nie zuvor gemacht habe. Design ist mir nach wie vor wichtig, genauso, wie eine eigene Formsprache zu haben.

Spirituell Zurück zur Familie: Meine Mutter folgte mir und meinen zwei Schwestern vor ihrem Tod – vor einem halben Jahr – nach Deutschland. Sie wollte in unserer Nähe sein. Sie war an Alzheimer erkrankt. Das war schwer für uns alle, und es war sehr anstrengend. Doch ich schätzte es, sie in unserer Nähe zu wissen. Als es nicht mehr anders ging, kam sie in eine Einrichtung.

Meine Schwestern sind meine Familie. Was ich von meinen Eltern gelernt habe, war: die Freiheit, meinen eigenen Weg zu finden. Meinem Wunsch zu folgen. Meine Mutter war sehr spirituell, ich lernte viel von ihrer Weisheit, sie inspirierte mich, während ich aufwuchs.

In Israel habe ich noch Freunde und Familie, ich bin ungefähr alle zwei Jahre dort. Aber mein Zuhause werde ich vermutlich woanders finden. Im Moment hinterfrage ich mich sehr, ich weiß, dass irgendwann die Zeit kommen wird, wenn ich weiter muss. Doch wann, ist noch offen. Und wer weiß, wohin mich die Zukunft führt.

Aufgezeichnet von Alicia Rust

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