Porträt der Woche

Der Natur verbunden

Yesha Karmeli wuchs in einem Moschaw auf und arbeitet als Heilpraktiker in Berlin

von Christine Schmitt  18.04.2016 17:59 Uhr

»Die Natur kann dabei helfen, zur Ruhe zu kommen und die eigene Mitte zu finden«: Yesha Karmeli (42) Foto: Uwe Steinert

Yesha Karmeli wuchs in einem Moschaw auf und arbeitet als Heilpraktiker in Berlin

von Christine Schmitt  18.04.2016 17:59 Uhr

Die Achtsamkeit gegenüber der Natur habe ich von klein auf gelernt – noch heute ist es mir ein Bedürfnis, mit Pflanzen, Tieren und dem Ökosystem behutsam umzugehen.

Aufgewachsen bin ich in dem Dorf Amirim in Galiläa in Israel. Meine Eltern haben es mitgegründet. Sie leben heute noch dort. Mein Vater stammt aus Persien, meine Mutter aus Polen. Karmeli heißt übersetzt »Mein Olivenfeld« – das passt auch zu mir. Das Geheimnis des Dorfes? Alle Bewohner wollen ein ökologisches Leben im Einklang mit der Natur führen. Daher gibt es dort keine chemischen Spritz- oder Düngemittel, und alle Bewohner sind Vegetarier.

Meine sieben Geschwister und ich hatten keinen Fernseher, stattdessen waren wir eigentlich immer draußen. Wenn ich heute in Berlins Innenstadt durch die Straßen gehe, dann empfinde ich schon allein die viele Leuchtreklame als anstrengend. Heutzutage ist man durch Computer, Fernsehen und Handys einer ständigen Strahlenbelastung ausgesetzt – und Stress.

antibiotika Zur Landwirtschaft meiner Familie in Israel gehören Ziegen, die in den Bergen frei herumlaufen. Außerdem betreiben meine Eltern ein Restaurant und ein Gästehaus. Bis heute habe ich kein einziges Mal Antibiotika einnehmen müssen, und ich bin auch nicht geimpft – und ich fühle mich sehr gesund. Einige meiner Geschwister wohnen noch immer dort, nur eine Schwester lebt in der Schweiz und ein Bruder in Süddeutschland.

Unser Dorf musste ich verlassen, als ich zur Armee ging, wo ich mich zum Fallschirmspringer ausbilden ließ. Es stand für mich immer fest, dass ich Militärdienst leisten würde, mit diesem Gedanken bin ich schließlich aufgewachsen – Ökodorf hin oder her.

Ich hatte mir damals auch Gedanken darüber gemacht, ob ich Berufssoldat werden soll, denn zwei Ideen gingen mir nicht mehr aus dem Kopf, die mir beide wichtig waren – entweder ich bleibe in Israel und schütze mein Land, oder ich studiere Medizin und schütze Menschen. Beides habe ich schließlich nicht umgesetzt, sondern bin Naturarzt und Heilpraktiker geworden, was mir mehr zusagt.

bewusstsein So darf ich jetzt auch wie ein Arzt agieren, denn ich kann dem Patienten Blut abnehmen und ihn gründlich untersuchen. Der entscheidende Unterschied zur Schulmedizin ist für mich, den Menschen ganzheitlich zu sehen. Körper, Geist und Seele gehören in meinen Augen zusammen. Diesen Ansatz verfolge ich jeden Tag in meiner Praxis, die ich vor acht Jahren in der Nähe der israelischen Botschaft eingerichtet habe.

Etliche Leute hatten mich vorher gewarnt und gesagt, dass dieser Standort zu weit vom Zentrum Berlins entfernt ist und somit gefühlt etwas außerhalb liegt. Doch ich dachte mir, wenn die Patienten kommen wollen, dann werden sie den Weg schon auf sich nehmen. Ich mag meinen Kiez. Und ich genieße es, in unserem Haus leben zu können und einfach hinüber zur Praxis zu gehen. Außerdem gehört ein riesiger Garten dazu.

heimat Nach meiner Militärzeit beschloss ich, Israel erst einmal zu verlassen. Zunächst entschied ich mich für eine Ausbildung in Klassischer Massage, daran schloss ein Kunsttherapiestudium in der Schweiz an, in Basel. Das Wandern in der unberührten Natur der Schweizer Berge mochte und mag ich immer noch, dort wachsen die Kräuter und Blumen teilweise unberührt.

Diese Natur war für mich wie eine neue Heimat, so unverletzt und frisch kam sie mir vor. Am Anfang meiner Schweizer Zeit hatte ich ein Zimmer bei einer Familie, die ich unterstützt habe, indem ich die Gartenarbeit übernahm und die Kinder teilweise betreute. Als ich eine bezahlbare Wohnung fand, zog ich um. Neben der Maltherapie ließ ich mich noch zum Naturarzt und Heilpraktiker ausbilden.

Einen Kulturschock habe ich damals aber auch erlebt. Wenn ich in Israel einen Freund besuchte, dann ging ich immer einfach so auf einen Sprung vorbei, doch in der Schweiz ist Spontaneität nicht angesagt, man meldet sich vorher an und fragt, ob es passt. Auch das Nachtleben ist total anders. Aber ich muss sagen, ich mag das Strukturierte und schätze das Ordentliche. In dieser Zeit habe ich Abschied von der »Insel« Israel genommen.

Aber meine Freundschaften bleiben natürlich bestehen, und ich fliege mindestens einmal im Jahr nach Tel Aviv zu meiner Familie. Viele meiner Freunde leben nicht mehr dort, sondern sind auch weggegangen.

ausbildung Ich ließ mich in Meditation ausbilden und biete Gruppenunterricht in den USA, Israel, Frankreich, Polen und natürlich in der Schweiz an. Meine Schwerpunkte sind dabei Bewusstseins- und Mentaltraining sowie Ernährungsberatung.

Dabei war und ist es für mich wichtig, einen Weg zu zeigen, wie man ein Bewusstsein entwickelt, um aus sich selbst heraus zur eigenen Mitte zu finden. Vor etwa zehn Jahren hatte ich den Eindruck, dass ich in Berlin mehr gebraucht werde als in Basel, und ließ mich hier nieder.

Am wichtigsten ist es bei meiner Arbeit, keine Krankheit auszuschließen. Bei einer Untersuchung schaue ich nach allen Organen. Viele Krebspatienten und chronisch Kranke kommen mittlerweile zu mir. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass jeder Mensch seine eigene Lebenskarte hat. Deswegen habe ich ein sehr ganzheitliches Therapiekonzept entwickelt. In meiner Praxis steht der Mensch als Einheit mit Körper, Seele und Geist im Mittelpunkt. Ein großer Schwerpunkt ist die Entgiftung.

stress Meiner Meinung nach wird unterschätzt, wie sehr Schwermetalle, Pestizide, Insektizide, Zusatzstoffe in Lebensmitteln, Abgase und Medikamentenrückstände wie Antibiotika, Anti-Baby-Pille und Schmerzmittel sowie Psychopharmaka uns direkt oder über Umwege – etwa über das Trinkwasser – belasten.

Dazu kommt vor allem noch der ständige Stress in unserem Leben. Zum einen der, den wir uns selbst machen, aber auch der Stress von außen. Lichter und der Lärm wirken besonders in den Großstädten dauerhaft auf uns ein. In den meisten Fällen haben wir nicht gelernt, bewusst Pausen einzubauen und zur Ruhe zu kommen. Oftmals bemerken wir das erst, wenn wir eine Weile außerhalb waren, beispielsweise in der ruhigen Natur, und dann zurückkehren.

Deswegen ist es mir auch wichtig, den Menschen neben der körperlichen Ebene der Entgiftung auch ein Werkzeug für ihre Seelenebene mit an die Hand zu geben, um langfristig eine Änderung bewirken zu können. Dazu gehört in den meisten Fällen auch eine Ernährungsumstellung. Ich wünschte mir, dass wir Heilpraktiker besser mit den Schulmedizinern zusammenarbeiten könnten, denn davon würden alle profitieren.

rhythmus Meine Lebensgefährtin lernte ich beim Tangotanzen kennen, seitdem sind wir zusammen. Wir legen beide viel Wert auf einen gemeinsamen Rhythmus. Meistens stehe ich morgens um halb sieben mit meiner zweijährigen Tochter auf, zusammen bereiten wir den grünen Smoothie vor, und gegen acht Uhr gehen wir mit unserem Hund an der frischen Luft spazieren.

Diese Stunden schätze ich ganz besonders, denn da haben wir Zeit füreinander. Kurz vor neun bin ich dann nebenan in meiner Praxis. Meistens widme ich mich bis 18 Uhr den Patienten. Zusätzlich arbeite ich Vorträge aus und erledige Büroarbeit. Später gehe ich noch einmal spazieren, wir essen gemeinsam Abendbrot, und ich meditiere und überlege mir, was ich an diesem Tag alles gemacht habe. Wenn ich mir sage, dass ich alles geschafft habe, was ich mir vorgenommen hatte, empfinde ich Frieden mit mir.

An den Wochenenden sind meine Familie und ich viel an der frischen Luft unterwegs – im Wald oder im Garten. Demnächst wollen wir die Heilpflanzen und Beete mit den Wildkräutern auf Vordermann bringen. Vielleicht muss auch der Komposthaufen umgeschichtet werden.

Einen prüfenden Blick werde ich bald auf die Obstbäume werfen – vielleicht müssen sie geschnitten werden. In diesem Frühjahr wollen wir unser eigenes Gemüse anbauen – vielleicht probieren wir Hochbeete aus. Den israelischen Geist meiner Kindheit und Heimat jedenfalls lebe ich hier weiter.

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