Porträt der Woche

Der kochende Philosoph

Leon Joskowitz hat eine Catering-Firma und lädt zu interkulturellen Abendessen ein

von Canan Topçu  22.12.2015 12:03 Uhr

»Ich bin nicht religiös – Glaube hat für mich eher mit Kultur und Ethik zu tun«: Leon Joskowitz (33) aus Frankfurt Foto: Rafael Herlich

Leon Joskowitz hat eine Catering-Firma und lädt zu interkulturellen Abendessen ein

von Canan Topçu  22.12.2015 12:03 Uhr

Es gibt bei mir keine Abläufe nach festen Wochentagen. Der einzige regelmäßige Termin in meinen Kalender war in diesem Jahr jeweils der dritte Mittwoch des Monats. An diesem Tag findet im Museum für Angewandte Kunst das »Philosophische Dinner« statt, zu dem der Koch Ronny Bolz und ich gemeinsam einladen.

Mit zehn Gästen sitzen wir an einem runden Tisch bei einem Drei-Gänge-Menü und philosophieren über Essen und Ernährung. Dieses Konzept hat mich auf eine andere Idee gebracht: »Dinner für drei: Tischgespräche über Religionen« – mit christlichen, jüdischen und muslimischen Gästen, die zusammen an einem Tisch sitzen, essen und sich dabei über Gott und die Welt unterhalten.

glaube Es fand im August in der »Freitagsküche« statt, dem Restaurant des Museums für Moderne Kunst. Das Experiment hat so wunderbar geklappt, dass wir es 2016 wieder organisieren werden. Wir, das ist der »trialogische Arbeitskreis«: eine Gruppe aus Christen, Juden und Muslimen.

Vor dem Dinner bin ich das Thema Religion noch einmal innerlich durchgegangen und habe festgestellt: Ich bin kein religiöser Mensch – im institutionellen Sinne. Wenn mir jemand sagt, der Schöpfer hat die Welt erschaffen, dann kann ich damit nichts anfangen.

In dem Moment aber, in dem der Glaube mit mir als Person etwas zu tun hat, ich von Menschen umgeben bin, die religiös sind, gewinnt er eine andere Dimension. Ich bin dabei, wenn es um den Glauben als kulturelle Praxis geht, als etwas, das uns Mut macht, trägt, verbindet und eine Ethik an die Hand gibt.

ziele Ich habe Philosophie, Soziologie und Geschichte studiert – in Freiburg, Berlin und Lissabon. In Berlin habe ich mein Studium abgeschlossen, mit einer Arbeit über Schellings philosophische Untersuchungen zur menschlichen Freiheit. Im Grunde ist damit das Thema meines Lebens markiert: das Streben nach Freiheit und Selbstständigkeit, im Wirken wie auch Gestalten der Welt. Dafür lebe ich – davon leben kann ich nicht. Das ist aber meiner Ansicht nach schon viel. Für etliche Suchende in unserer Gesellschaft besteht ja das Problem darin, dass sie von etwas, aber nicht für etwas leben.

Worin auch immer mein Interesse lag: Es ging mir stets darum, für etwas zu leben. In den sieben Jahren meines Studiums waren es die Philosophie und die Geisteswissenschaften – jetzt ist es die Gastronomie. Seit einem halben Jahr ist das Auftragsvolumen meiner Catering-Firma so gewachsen, dass ich Leute beschäftige und nicht mehr alles selbst mache. Das nächste Catering ist für eine private Feier anlässlich eines 50. Geburtstags. Ich habe auch schon Aufträge fürs nächste Jahr. Am Vormittag etwa war ich bei einer Kundin, die ein Fest am Valentinstag ausrichten will.

Nach dem nächsten Auftrag fliege ich mit einem Freund für eine Woche nach Marokko. Wir wollen uns treiben lassen. Abschalten. Entspannen. Die letzten Monate waren ziemlich arbeitsintensiv. Unter anderem habe ich während der Frankfurter Buchmesse das Kulinarische Festival organisiert.

küche Auf die Idee, die Küche des jeweiligen Gastlandes zu präsentieren, kam ich vor vier Jahren bei einem Besuch in Island, dem damaligen Gastland der Buchmesse. Ich hatte die Möglichkeit, die Küche dieses wunderbaren Landes kennenzulernen, und fragte mich, warum nur Literaten, Künstler, Musiker und Tänzer der jeweiligen Gastländer nach Frankfurt eingeladen werden, aber keine Köche, um die jeweilige Nationalküche zu präsentieren.

Die kulinarische Welt habe ich mir während meines Studiums und danach erschlossen. Gastronomie ist zu meiner Leidenschaft geworden. Ich mag das sehr gerne, wenn Menschen zusammenkommen und essen, trinken, reden und diskutieren. Ich habe als Student angefangen zu kellnern, irgendwann hatte ich genug davon und wollte hinter die Kulissen schauen. Gegen Ende meines Studiums 2009 begann ich, Kuchen für einen israelischen Konditor zu backen. Das kam so: An seinem Geschäft in Berlin-Neukölln hing ein Schild: »Kuchenbäcker gesucht, Erfahrung nicht notwendig.« Ich dachte: »Das ist etwas für mich.«

Also bin ich hineingegangen und habe gefragt. Es war der Beginn meiner Auseinandersetzung mit der Gastronomie aus kulinarischer Sicht. Nach einer gewissen Zeit ging das aber nicht mehr gut mit dem Konditor und mir – wir hatten unterschiedliche Vorstellungen vom Backen.

autodidakt Ich habe dann in einer Berliner Kaschemme angefangen zu kochen. Beworben hatte ich mich mit dem Hinweis, dass ich gerne koche, keine Ausbildung habe, aber die professionellen Seiten des Kochens lernen wolle. Ich bekam die Chance und arbeitete dort neun Monate.

Was Kochen und Kulinarisches betrifft, habe ich mich als Autodidakt fortgebildet. Als ich mir gegen Ende meines Studiums bewusst machte, dass ich ja bald keine finanzielle Unterstützung mehr bekommen würde, entschloss ich mich, eine Catering-Firma zu gründen. Für meinen ersten Auftrag belegte ich Ciabatta-Brote für ein privates Fest. Als ich abends nach 16 Stunden körperlicher Arbeit ins Bett ging, kam ein so richtig zufriedener Seufzer aus mir heraus.

Das war ein gutes Gefühl! Also behielt ich das Konzept bei – frische und gute Zutaten zu verwenden – und baute das Catering aus. Und ich nahm mir vor, nicht für zwei Euro die Stunde zu arbeiten wie beim ersten Auftrag. Meine Catering-Firma habe ich am 21. März 2010 gegründet. Das weiß ich so genau, weil es der Geburtstag meiner Mama ist. Sie ist ein prägender Mensch in meinem Leben – ebenso was die berufliche Selbstständigkeit betrifft wie das Ethos im Handeln. Meine Mutter hat mich so erzogen, dass der kategorische Imperativ mein Handeln bestimmt. Sie hat immer gesagt: »Leon, du kannst machen, was du willst, aber du musst es begründen und erklären können, vor dir selbst und anderen.«

back-up Daran habe ich mich gehalten. Ich hatte immer einen sicheren Hafen, ein Back-up, war aber gleichzeitig frei, meine eigenen Wege zu gehen. Meine Eltern waren immer für mich da, es gab nie einen Moment, in dem ich mich nicht auf sie verlassen konnte. Meine Kindheit und Jugend waren sehr schön und behütet. Ich bin 1982 in Frankfurt geboren, war erst in der Lichtigfeld-Schule und danach auf dem Bettina-Gymnasium. Nach dem Studium kehrte ich zurück in meine Heimatstadt.

Davor war ich unterwegs – ich habe bei einer Weinlese mitgeholfen, bei einer Olivenernte in Italien mitgemacht und eine Saison als dritter Koch in einem Hotel in Südtirol gearbeitet. Ich habe tolle und sehr wichtige Erfahrungen gemacht und weiß, worauf es mir ankommt: Immer dieselben Abläufe – das wäre nichts für mich. Ich glaube, ich bekäme nach nicht allzu langer Zeit eingefallene Wangen.

Ein Leben und Arbeiten, das fremdbestimmt wird – da würde ich wohl eingehen. Deswegen mache ich das, was ich mache, und das sehr gerne. Meine Freizeit verbringe ich gerne mit Lesen, das kommt leider derzeit zu kurz. Ich verlebe gern Zeit mit Freunden und im Garten des Hauses, in dem ich wohne. Als ich dort einzog, begann ich damit, den Garten zu gestalten – der ist jetzt voll schön. Ab und an gehe ich ins Kino, habe keinen Fernseher und auch kein Smartphone. Meine Freunde sagen zu mir, ich sei der letzte Mohikaner. Sie wundern sich, dass ich ohne so ein Gerät auskomme, und wollen mich davon überzeugen, wie praktisch es sei. Ich habe ein altes Mobiltelefon, man kann damit telefonieren und SMS schreiben.

Alles Internetbezogene erledige ich im Büro. Ich bin ein- bis zweimal am Tag online und checke E-Mails. Das reicht völlig. Es ist eine politische Entscheidung. Soll mir keiner erzählen, dass das Leben nicht möglich ist, ohne permanent online zu sein. Ich habe zuletzt das Kulinarische Festival mit dem Gastland Indonesien organisiert – 55 Veranstaltungen ganz ohne Smartphone. Das hat bestens geklappt.

Aufgezeichnet von Canan Topçu

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