Hamburg

Der Bischof und seine SS-Vergangenheit

Die Ausstellung ist bis Ende 2016 in verschiedenen Kirchen Norddeutschlands zu sehen, Foto: Moritz Piehler

Die Nordkirche Holstein und Hamburg, Teil der evangelischen Landeskirche in Norddeutschland, widmet sich endlich einem lange unbeachteten unrühmlichen Kapitel ihrer Geschichte.

Die Wanderausstellung »Neue Anfänge nach 1945? Wie die Landeskirchen Nordelbiens mit ihrer NS-Vergangenheit umgingen« setzt sich mit dem Verhalten der Kirche im Nachklang der nationalsozialistischen Diktatur auseinander. Die Aufarbeitung findet im Auftrag der Nordkirche statt, hat aber intern durchaus für Kontroversen gesorgt.

Der Antisemitismus innerhalb der evangelischen Kirche und die Annäherung an die jüdischen Gemeinden nach 1945 stellen einen der sechs Schwerpunkte der Ausstellung dar, die ab diesem Freitag in der Kirche St. Laurentii in Itzehoe zu sehen ist.

neubewertung So thematisiert die Ausstellung die Rolle der Kirche etwa durch die denunzierende Tätigkeit der Kirchenbuchämter, die lange unter den Teppich gekehrt wurde, oder die auch nach dem Krieg noch weit verbreitete Meinung, Juden müssten per »Judenmission« zum christlichen Glauben bekehrt werden. Sie zeigt auch, wie in Holstein (im Gegensatz zu Hamburg) jüdische Mitglieder aus der Kirche ausgeschlossen wurden.

Betreut wurden sie inoffiziell von Pastor Walter Auerbach, der einen jüdischen Hintergrund hatte und von der Kirche vorzeitig in den Ruhestand gezwungen worden war. Der Historiker Stephan Linck, dessen Vater Roland selbst Pastor in Norddeutschland war, untersuchte für die Ausstellung die verschiedenen Aspekte des Umgangs der Kirche mit der eigenen NS-Geschichte und ließ dabei auch berühmte Personen nicht aus.

Denn so manche Legende vom »ehrbaren Widerstand« innerhalb der evangelischen Kirche ließ sich nicht aufrechterhalten. Es ist gerade diese Demontage – oder zumindest Neubewertung – strahlender Kirchenmänner, die manchen in der Nordkirche auch heute noch zu weit geht. Vielen wäre es wohl lieber gewesen, dieses Kapitel der eigenen Geschichte für beendet zu erklären.

NAzi-ideologie Da ist etwa das prominente Beispiel des Holsteiner Bischofs Wilhelm Halfmann, der für seine Opposition gegen die Nazis und seine Verurteilung der Euthanasie im Nachkriegsdeutschland hoch angesehen war. Halfmann war einer der leitenden Figuren der Oppositionsbewegung »Bekennende Kirche«.

Was jedoch bisher wenig beleuchtet wurde, ist die andere Seite des Bischofs. Denn Halfmann veröffentlichte schon im Jahr 1936 einen Text mit dem Titel »Die Kirche und der Jude«. Darin zeigte der Kirchenmann, der zudem drei Jahre lang als förderndes Mitglied der SS aktiv war, durchaus Sympathie für den Umgang der Nazis mit der jüdischen Bevölkerung. Er hielt allein die Kirche für in der Lage, das Alte Testament richtig auszulegen, alles andere sei »verkehrt« oder gar »böswillig«.

Bis lange nach dem Krieg verteidigte Halfmann seinen Standpunkt im Bischofsamt von Holstein, auch galt er als Befürworter der Einbeziehung ehemaliger Nazigrößen, während er einer christlich-jüdischen Annäherung stets kritisch gegenüberstand.

Dabei erhielt er durchaus Rückhalt aus seiner Kirche. Noch 1960 schrieb der emeritierte Probst Johannes Bielfeld aus Itzehoe an Halfmann: »Wir müssen jetzt die Hand auf den Mund legen. Zu große Schuld haben wir auf uns geladen. Wir haben nicht die Vollmacht, kritisch über die Juden zu reden. Aber im eigenen Interesse dieses seltsamen Volkes möchte man so sehr wünschen, dass sie sich nicht wieder unbeliebt machen durch ihr Verhalten.«

aufklärung Der frühere Bischof von Lübeck, Karl Ludwig Kohlwage, initiierte eine Tagung zur Ehrenrettung Halfmanns, die auch Lincks Ausstellung kritisch hinterfragen sollte, während Landesbischof Gerhard Ulrich vollständig hinter der Aufarbeitung durch Linck steht.

Die Ausstellung zeigt, wie schwer sich die Kirche nach dem Krieg getan hat, mit ihrer historischen Verantwortung umzugehen, und wie lange antisemitisches Denken noch in der Nordkirche verankert war. Die aktuelle Kontroverse über den Umgang mit der eigenen Historie macht dazu deutlich, wie wichtig die Aufklärung auch heute noch ist.

Die Schau wird bis Ende 2016 in verschiedenen Kirchen in Norddeutschland zu sehen sein, erweitert um die lokalen historischen Erkenntnisse.

Ausstellungsorte und Informationen unter www.nordkirche-nach45.de

Berlin

»Berlin verneigt sich«

Zwei Monate nach ihrem Tod wird die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer in Berlin gewürdigt. Der Bundespräsident mahnt vor Politikern und Weggefährten, das Erbe der Jahrhundertfrau weiterzutragen

von Alexander Riedel  09.07.2025 Aktualisiert

Engagement

Verantwortung übernehmen

Erstmals wurde der Fritz-Neuland-Gedächtnispreis verliehen. Die Auszeichnung erhielten der Jurist Andreas Franck und die AG PRIOX der bayerischen Polizei

von Luis Gruhler  09.07.2025

Deutsch-Israelischer Freiwilligendienst

»Wir müssen gewachsene Strukturen erhalten«

ZWST-Projektleiter Erik Erenbourg über ein besonderes Jubiläum, fehlende Freiwillige aus Deutschland und einen neuen Jahrgang

von Christine Schmitt  09.07.2025

Essen

Vier Tage durch die Stadt

Der Verein Kibbuz Zentrum für Kunst, Kultur und Bildung führte 20 Jugendliche einer Gesamtschule an jüdische Orte. Die Reaktionen überraschten den Projektleiter

von Stefan Laurin  09.07.2025

Berlin

Millionenförderung für jüdisches Leben

Die sogenannten Staatsleistungen machten dabei fast 8,9 Millionen Euro in dieser Summe aus. Als Zuwendung für personelle Sicherheitsleistungen flossen den Angaben zufolge 6,1 Millionen Euro

 09.07.2025

Magdeburg

Staatsvertrag zur Sicherheit jüdischer Gemeinden geändert

Die Änderung sei durch den Neubau der Synagogen in Magdeburg und Dessau-Roßlau vor rund zwei Jahren sowie durch zu erwartende Kostensteigerungen notwendig geworden

 09.07.2025

Berliner Philharmonie

Gedenkfeier für Margot Friedländer am Mittwoch

Erwartet werden zu dem Gedenken langjährige Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter, Freundinnen und Freunde Friedländers sowie Preisträgerinnen und Preisträger des nach ihr benannten Preises

 08.07.2025

Mittelfranken

Archäologen entdecken erste Synagoge Rothenburgs wieder

Erst zerstört, dann vergessen, jetzt zurück im Stadtbild: Die erste Synagoge von Rothenburg ob der Tauber ist durch einen Zufall wiederentdeckt worden. Ihre Überreste liegen aber an anderer Stelle als vermutet

von Hannah Krewer  08.07.2025

Biografie

»Traut euch, Fragen zu stellen«

Auch mit 93 Jahren spricht die Schoa-Überlebende Eva Szepesi vor Schülern. Nun hat sie ein Bilderbuch über ihre Geschichte veröffentlicht

von Alicia Rust  06.07.2025