Porträt der Woche

Der Barde

»Ich möchte keine Lieder singen, die nichts mit mir zu tun haben«: Mati Gavriel (26) Foto: Stephan Pramme

Porträt der Woche

Der Barde

Mati Gavriel schreibt und singt über das Leben und die Liebe

von Urs Kind  24.04.2012 07:52 Uhr

Das Wichtigste für mich ist, dass ich frei und unabhängig bin. Aber ich höre natürlich auch auf Menschen, die mir gute Ratschläge geben und von denen ich etwas lernen kann. Seit ich sechs Jahre alt bin, spiele ich Gitarre. Im Alter von 13 Jahren fing ich an, zu singen und eigene Songs zu schreiben. Insofern war die Show »X Factor«, bei der ich vor zwei Jahren in der ersten Staffel mitmachte, eine gute Möglichkeit für mich, vor einem größeren Publikum aufzutreten.

Die Show selbst und der ganze Medienrummel haben mir viele Erfahrungen gebracht, und ich habe dadurch eine Menge interessante Menschen kennengelernt. Das Wichtigste aber war, dass ich während der ganzen Zeit viel an mir selbst gearbeitet habe.

Mittlerweile würde ich an so einer Castingshow im Fernsehen nicht mehr teilnehmen, da ich an einem ganz anderen Punkt meiner künstlerischen und auch persönlichen Entwicklung stehe. Manchmal denke ich, dass es vielleicht ganz gut war, dass ich »nur« Dritter geworden bin, denn so bin ich weiterhin frei und nicht an einen Vertrag gebunden. Ich kann meine Karriere selbst organisieren und muss mir nicht von anderen Menschen reinreden lassen. Ich möchte keine Lieder singen, die nichts mit mir zu tun haben.

berühmt Das Musikgeschäft ist derart schnelllebig, dass man sich nicht auf den Erfolg einer solchen Show und auf die kurze Berühmtheit verlassen darf. Seit dieser Zeit arbeite ich sehr viel, habe einen Vertrag mit einem großen Musiklabel abgeschlossen, und bald erscheint meine erste eigene Platte.

Für mich ist es das Tollste, live auf der Bühne vor anderen Menschen zu spielen, sie mit meiner Musik zu berühren und etwas bei ihnen auszulösen. Die meisten meiner Lieder handeln von zwischenmenschlichen Beziehungen und vor allem von der Liebe. Ich bin ständig auf der Suche nach neuen Themen, Bildern und Symbolen, anhand derer ich über die Liebe schreibe und singe.

Die meisten Texte schreibe ich auf Englisch, einige auch auf Hebräisch. Obwohl ich die Sprache nicht perfekt beherrsche, macht es mir großen Spaß. Jede Sprache verwendet andere Bilder, und meine Musik funktioniert stark mit bildlichen Assoziationen. Beim Schreiben der Texte steht meine jüdische Herkunft eher im Hintergrund. Manchmal zeigt sie sich in bestimmten Melodien oder Akkorden, das kommt aber eher unbewusst.

pragmatisch Meine Familiengeschichte ist etwas verrückt. Meine Großmutter ist während des Kriegs in Braunschweig geboren, und auch meine Mutter ist in Deutschland aufgewachsen. Mein Vater kommt aus Italien, und meine Schwester ist in Griechenland geboren. Ich selbst kam in Tel Aviv zur Welt. Als ich sechs Jahre alt war, sind wir nach Deutschland gezogen. Das war eine sehr pragmatische Entscheidung. Meine Eltern hatten hier gute Arbeitsmöglichkeiten.

Früher hatten wir manchmal die Großmutter besucht, und es hat uns schon immer gut gefallen in Deutschland. Wir haben dann in Delmenhorst gewohnt, und ich bin später auf ein musikalisches Gymnasium gegangen. Mit 18 Jahren zog ich nach London und habe eine Ausbildung als Tontechniker gemacht. Dabei lernte ich Englisch. Nebenbei habe ich immer schon Musik gemacht und mich autodidaktisch weitergebildet. Später lebte ich eine Weile in New York, bevor ich nach Berlin zog. Hier habe ich eine ganze Weile als Ausstatter für Musikvideos gearbeitet und bin darüber auf die Idee gekommen, mich bei »X Factor« zu bewerben.

Einen richtigen Alltag habe ich momentan eigentlich gar nicht, weil ich so viele verschiedene Dinge mache. Meist bin ich nachts sehr kreativ und schreibe oder komponiere bis morgens um sechs Uhr. Dann gehe ich schlafen und versuche, gegen elf Uhr wieder aufzustehen und weiterzumachen. Anschließend gehe ich ins Studio, erledige Termine oder bleibe zu Hause und schreibe. Manchmal mache ich aber auch gar nichts. Diese Freiheit ist mir wichtig, im Moment brauche ich dieses Unregelmäßige und die immer neuen Erfahrungen und Erlebnisse. Nur dadurch entstehen gute Ideen.

Die Inspiration zu meinen Songs kommt mir in ganz unterschiedlichen Situationen: wenn ich laufen gehe, wenn ich nachts von einer Party nach Hause komme oder unter der Dusche stehe. Dann nehme ich die Texte oder Melodien mit meinem iPhone auf. Und wenn ich nach einem halben Jahr wieder in die Aufnahmen reinhöre, kommen weitere Ideen, und dann setze ich mich hin, um den Song fertig zu schreiben.

Chorus Die besten Ideen sind die spontanen. Das Einzige, was ich als Arbeitsgrundlage zum Schreiben brauche, sind meine Vorlagen. Da habe ich die einzelnen Teile des Songs und deren Reihenfolge schon in Überschriften festgelegt: Intro, Vers, Pre-Chorus, Chorus und so weiter. Das hilft mir. Mal entsteht der Text zuerst, mal die Melodie. Manche Lieder schreibe ich am Klavier, manche an der Gitarre und manche ohne Instrument.

Oft schreibe ich aus meiner Perspektive über eigene Erfahrungen, manchmal sehe ich aber auch ein Pärchen streiten oder umarmen – dann entsteht daraus eine Geschichte. Das Wichtigste ist, dass ich beim Zuhörer Emotionen wecke, denn ein Lied, das beim Hören nichts auslöst, ist wertlos.

Einmal stand ich in einem Kiosk und bin mit einem anderen Kunden ins Gespräch gekommen. Wir haben uns eine Weile unterhalten, und er erzählte mir von seiner zerbrochenen Beziehung. Dabei benutzte er die Worte »Feuer auf Eis«. Dieses Bild ging mir nicht mehr aus dem Kopf: ein zugefrorener See, auf dem ein Feuer brennt. Irgendwann wird es das Eis schmelzen, und die Beziehung geht in die Brüche, zwangsläufig. Es führt kein Weg daran vorbei. Daraus habe ich einen Song gemacht.

Ich glaube, ein Lied funktioniert erst dann richtig, wenn es dem Musiker gelingt, im Kopf des Zuhörers Bilder zu erschaffen. Allerdings darf man es auch nicht übertreiben mit der bildhaften Sprache. Entscheidend ist ein gutes Gleichgewicht. Deswegen finde ich es auch schwer, über gesellschaftliche oder politische Themen zu schreiben. Ich fühle mich nicht gut dabei, so komplexe Themen treffend zu beschreiben und runterzubrechen auf eine knappe Geschichte. Vielleicht kommt das später, aber momentan ist es noch nicht das Richtige für mich. Ich muss voll und ganz hinter einem Thema stehen, sonst bringe ich das nicht überzeugend rüber.

künftig Im Moment bin ich sehr zufrieden hier in Berlin mit dem, was ich mache. Ich freue mich auf die Tour zu meinem Album und versuche, eine Version des Albums auf Hebräisch zu veröffentlichen. Manchmal, wenn ich merke, dass meine Kreativität nachlässt, muss ich die Stadt verlassen, um den Kopf freizubekommen. Wenn ich wieder zurückkomme, kann es weitergehen.

In Zukunft möchte ich mein eigenes Label gründen und mit verschiedenen Musikern zusammenarbeiten. Auf der Bühne zu stehen, ist zwar meine größte Leidenschaft, aber das reicht mir nicht. So schreibe ich zum Beispiel Songs für andere Künstler und mache auch Musik für Werbung. Reizen würde mich auch, Filmmusik zu schreiben. Später, wenn ich alt bin und Familie habe, möchte ich gern nach Israel zurückkehren. Momentan aber brauche ich dieses unstete und abwechslungsreiche Leben.

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