Die Bilder vom 7. Oktober, als die Hamas Israel überfiel, haben sich in seinem Kopf eingebrannt. Das sagte Marat Schlafstein bei der Diskussion »Was uns zusammenhält: Die jüdische Gemeinschaft und (ihr) Israel« am Freitag beim Gemeindetag. In dem Moment, als ihm das ganze Ausmaß des Anschlags bewusst geworden ist, sei ihm auch klar geworden, dass seine Kinder in Deutschland nicht anders aufwachsen werden als er selbst.
»Ist Israel noch ein sicherer Hafen?«, fragte Moderatorin Ayala Goldmann. Auf dem Podium saßen außer Schlafstein, dem Referenten für Jugend und Gemeinden des Zentralrats der Juden, Sergey Lagodinsky (grüner Abgeordneter des Europaparlaments), die Unternehmerin und Bloggerin Jenny Havemann sowie Awi Blumenfeld (Historiker und Judaist). Havemann sagte, sie habe sich diese Frage auch gestellt.
»Aber es ist dann doch keine Alternative, nach Deutschland zu emigrieren«, erklärte die Bloggerin, die mit ihrer Familie in Israel lebt. Manche Familien mit kleineren Kindern hätten zwar vorübergehend das Land verlassen. Sie kenne aber niemanden, der dauerhaft weggegangen ist. Sie selbst wolle bleiben und Israel beschützen. »Wir sind alle gefordert«, betonte auch Awi Blumenfeld. Alle Juden sähen nun, vor welcher Aufgabe sie stünden.
150.000 Euro Spenden für Israel
Der Zentralrat konnte dank eines Spendenaufrufs, der mehr als 150.000 Euro einbrachte, Israel finanziell unterstützen, berichtete Schlafstein. »Aber was machen wir, damit wir hier bleiben können?« Er glaube nach wie vor, dass jüdisches Leben in Deutschland eine Zukunft hat. Viele junge Juden hätten sich vor dem 7. Oktober nicht sehr stark für Israel engagiert, was sich inzwischen geändert habe. »Jetzt positionieren sie sich klar zu Israel, und das Land ist nun für sie viel mehr als nur ein Urlaubsort.«
Awi Blumenfeld vermisst die Demonstranten, die massenhaft auf die Straße gingen, als die Ukraine angegriffen wurde. »Wir sind so wenige, zu den Solidaritätsdemos stehen nicht so viele auf.« Den »Wettstreit der Massendemos werden wir nicht gewinnen«, erkannte auch Sergey Lagodinsky. In der jetzigen Situation seien »Bildung, Haltung und Strafverfolgung« wichtig. Das Selbstverteidigungsrecht Israels werde von anderen Ländern infrage gestellt.
Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sei für die Juden ein Glücksfall gewesen, da es kaum Pogrome gab: »Nun ist die Realität der Pogrome wiederhergestellt.« Die Welt sei seit Jahrtausenden daran gewohnt, dass Juden »abgeschlachtet« würden, so der Politiker. Doch jetzt verteidigten sie sich. Für diese Aussage gab es Applaus aus dem Publikum. Es sei ein Glück, dass die meisten deutschen Politiker eine klare Haltung bezögen, meinte Lagodinsky. Und Blumenfeld erinnerte daran, dass aufgrund von Protesten immerhin Zahlungen an die Hamas gestoppt werden konnten.
»In der jüdischen Bubble sind wir alle einer Meinung, aber wir müssen auch sehen, was hier in der jüngeren Generation los ist«, sagte Havemann. Sie erhalte auf Social Media täglich Hasskommentare. Speziell an den Schulen müsse etwas passieren. Auch deshalb engagiere sie sich bei Lehrerfortbildungen in Schleswig-Holstein. Viele Schulen wollen etwas gegen Antisemitismus tun, betonte Schlafstein. Das Programm »Meet a Jew« des Zentralrats und andere Organisationen erhielten so viele Anfragen wie noch nie. Doch die Herausforderungen seien nicht in kurzer Zeit zu bewältigen: »Das ist ein Marathon, kein Sprint.«