Porträt der Woche

Das Gefühl zu fliegen

»Musik ist mein Lebensinhalt«: Emanuel Sint (19) wurde in Madrid geboren und lebt heute in Berlin. Foto: xpess.berlin

Das Fagott ist so ein tolles Instrument – da wünsche ich mir doch, dass noch viel mehr Menschen davon erfahren, dass es bekannter wird. Und dass beim Fagott nicht nur an den Großvater aus Prokofjews Peter und der Wolf gedacht wird. Es besticht ja mit einem warmen, manchmal sonoren, zeitweise humorvollen, aber auch jazzigen Klang. Meine Ohren hören es täglich mehrere Stunden – wenn ich Tonleitern, Etüden und Konzerte auf ihm spiele oder in einem Ensemble musiziere. Auch würde ich mir wünschen, dass es häufiger als Solo-Instrument in Erscheinung tritt, es also noch mehr Fagott-Konzerte gibt. Daran möchte ich arbeiten!

Nun hatte ich Glück: Valentin Silvestrov, der größte zeitgenössische Komponist der Ukraine, widmete mir seine erste und bisher einzige Komposition für Fagott. Vivaldi hat 40 Konzerte für das Fagott geschrieben, Mozart angeblich fünf, von denen vier als verschollen gelten. Das B-Dur-Konzert von Mozart wird auch bei den Vorspielen für eine Orchesterstelle verlangt, weshalb es einen Dauerplatz auf meinem Notenständer hat.

Mit neun Jahren verkündete ich meinen Eltern, dass Fagott mein Instrument sei. Meine Großmutter, Mara Mednik, ist eine begnadete Pianistin, meine Mutter Elisaveta Blumina ebenso. Ich selbst habe seit meinem vierten Lebensjahr Klavier gespielt. Meine Mutter spielte oft Konzerte mit den Solobläsern der Berliner Staatskapelle, und ich hörte ihnen gern zu. Darunter war auch ein Fagott – der weiche, dunkle Klang zog mich an.

Ich schaffte auf Anhieb, dem Instrument einen Ton zu entlocken, was mir auf dem Saxofon nicht gelang. Da das Klavier nicht so mein Instrument war, hätte mich allein das Cello noch interessiert. Aber aufgrund seiner Größe und der damit verbundenen Transportschwierigkeiten war es mir zu kompliziert. Also wurde es das Fagott – und seitdem spiele ich es jeden Tag. Selbst in den Urlaub nehme ich es mit und übe ein bisschen, damit mir die Muskulatur erhalten bleibt.

Musik ist mein Lebensinhalt

Musik ist mein Lebensinhalt. Und trotzdem wäre ich gern Pilot geworden. Diese Option schied aufgrund meiner Größe leider aus, da die Grenze bei etwa 1,95 Metern liegt und ich ein paar Zentimeter darüber bin. Den Flugschein will ich trotzdem unbedingt machen.

Geboren wurde ich in Madrid, allerdings habe ich keine Erinnerungen mehr an die Zeit und habe auch mein Spanisch vergessen. Englisch ist meine erste Sprache, dann kommen Deutsch und Russisch. Meine Mutter, die selbst viele Sprachen spricht, legte enormen Wert darauf, dass wir Kinder mit ihr Russisch reden.

Als ich drei Jahre alt war, zogen meine Eltern mit meinem älteren Bruder und mir nach Dublin, wo mein Vater eine Professur annahm. Er widmet sich der Physik und der Mathematik, ist aber begeisterter Hobbypianist. In Irland besuchte ich erst eine jüdische Grundschule, später eine deutsche Ganztagsschule. Da ich immer erst um 17 Uhr zu Hause war, war es für mich schwierig, meinen Wunsch zu üben in den Alltag zu integrieren, denn die freie Zeit war sehr begrenzt. Ich wollte das Fagott jeden Tag spielen, fand auch einen Lehrer, der mich unterrichtete. Zusätzlich flog ich ab und zu nach Berlin, um Unterricht bei Mathias Baier, dem Solo-Fagottisten der Staatskapelle, zu bekommen.

Die Nachbarn waren vom Üben so genervt, dass sie mit Polizei drohten.

Irland ist ein wunderschönes Land. Man kann an der Küste spazieren gehen, und dort ist die einmalige frische Luft, die man sofort spürt, wenn man beispielsweise aus Berlin ankommt. In Dublin wohnten wir allerdings in einem schlecht isolierten Haus. Die Nachbarn waren von unserem vielen Üben so sehr genervt, dass sie manchmal mit der Polizei drohten.

Hier feierte ich auch meine Barmizwa. In der Stadt gibt es einen wunderbaren Rabbiner. Später aber habe ich niemandem mehr erzählt, dass ich jüdisch bin. Der Antisemitismus erscheint mir in Irland groß, derzeit wegen des Krieges in Israel noch mehr als sonst, und ich bin mehrmals judenfeindlich beschimpft worden. Hinzu kam, dass die Iren eher selten klassische Musik hören, ich aber genau diese dringend brauche. So kam es, dass ich nach Berlin gezogen bin, sobald es die Möglichkeit gab. In Berlin fanden wir eine Wohnung in Mitte, sodass ich fußläufig alles erreiche. Die Staatsoper liegt um die Ecke, ebenso das Konzerthaus und meine Musikhochschule Hanns Eisler, wo ich seit dem Frühjahr Fagott studiere.

Nach dem Umzug bewarb ich mich am Berliner Musikgymnasium Carl Philipp Emanuel Bach. Mir fiel die Aufnahmeprüfung, die aus einem Vorspiel und theoretischen Prüfungen bestand, leicht. Als ich damals gefragt wurde, wie lange ich übe und ehrlich und stolz antwortete: 40 Minuten, rollte meine Mutter, die mich begleitete, mit den Augen. Auch die Jury war nicht besonders beeindruckt und sagte mir, es müsse mehr werden. Wir waren etwa 120 Schüler, was sich wie eine Familie anfühlte. Die meisten wurden Musiker – und so treffen wir uns alle wieder.

In meine Schulzeit fiel auch die Pandemie

In meine Schulzeit fiel auch die Pandemie. Für mich war sie kein großes Problem, denn endlich hatte ich genug Zeit, noch mehr und konzentrierter zu üben. Ich musizierte mit meiner Mutter, lernte neue Werke und bereitete mich auf viele Online-Wettbewerbe vor. In der Zeit bin ich auch oft durch die Innenstadt spazieren gegangen. Mir gefällt die historisch anmutende Mitte der Stadt. Und ich bin Fan der neoklassischen Architektur.

Relativ leicht fiel mir auch die Aufnahmeprüfung für die Musikhochschule Hanns Eisler, da ich auch auf dem Gymnasium gut ausgebildet worden war. Mein Start fiel ins Sommersemester 2023, als ich nebenbei noch das Abitur absolvieren musste. Die Prüfungen lagen so günstig, dass es gut machbar war. Aber ein bisschen anstrengend war es trotzdem.

Nun bin ich an der Hochschule in einer Klasse, der einige Fagottisten angehören. Wir werden von zwei Professoren unterrichtet. Mein Professor Rainer Luft war lange Zeit als Solo-Fagottist im Konzerthausorchester tätig und ist ein großes Vorbild für mich. Orchester spielt in meinem Leben eine bedeutende Rolle. Schade ist, dass ich bald zu alt für das Bundesjugendorchester werde. Dort habe ich viele Jahre mitgespielt und mich eigentlich für die nächste Saison angemeldet, aber da kann ich leider wegen der Prüfungen doch nicht mitspielen.

Mittlerweile bin ich beim dritten Modell des Fagotts, das ich spiele, angekommen. Es hat einen sehr schönen Klang. Ein wunderbares Instrument, für das ich viel sparen muss. Die teuersten Instrumente kosten etwa 80.000 Euro. Wenn man bei dem führenden Instrumentenbauer bestellt, muss man 17 Jahre warten, bis es fertig ist.

Da die Anschaffung eines professionellen Fagotts so teuer ist, bin ich der Deutschen Stiftung Musikleben sehr dankbar, dass sie mich unterstützt und ich mich wenigstens bei der Wahl von Meisterkursen von der finanziellen Hilfe meiner Eltern etwas unabhängiger machen kann. Die bringen mich musikalisch auch weiter – und es ist immer schön, andere Fagottisten dabei kennenzulernen.

Das Studium verlangt sehr viel Selbstdisziplin. Ich kann mir meine Tage zwar selbst einteilen, muss aber auch Leistung bringen. Natürlich kommen noch Kurse dazu, und ich muss auch eine Bachelor­arbeit schreiben, später will ich den Master machen.

Mein Traum ist die Festanstellung in einem Orchester

Mein Traum ist es, in einem guten Orchester eine Festanstellung zu bekommen – aber die Konkurrenz ist groß. Um eine Stelle konkurrieren etwa 80 Fagottisten. Ich habe viele Wettbewerbe gewonnen, auch einen Grand Prix, und spiele mehrere Konzerte im Jahr. Dazu kommen jetzt viele Prüfungen an der Hochschule, die ich noch belegen muss.

Das Klavier nutze ich nach wie vor, um Partituren zu studieren. Ganze Symphonien und Opern spiele ich so durch. So versuche ich besser, vom Blatt zu lesen, und es erweitert meinen Horizont. Abends treffe ich mich mit Freunden, wir chillen zusammen. Mein Bruder, der Jura studiert, liest enorm viel. Ich versuche jetzt auch, mehr zu lesen, meistens entscheide ich mich für Krimis. Daneben Harry Potter, den ich in meiner Jugend verpasst habe. Außerdem habe ich gerade Stefan Zweig für mich entdeckt.

In diesen Wochen bin ich mit meiner Mutter unterwegs, um Konzerte im Rahmen des Kulturprogramms des Zentralrats zu geben. Wir nutzen die Auftritte als Benefizkonzerte für Israel und haben schon fast eine fünfstellige Summe eingespielt. Mich freut, dass die Zuhörer die Schönheit der Musik genießen und sich entspannen können. Ich meine, gesehen zu haben, dass ihre Gesichter glücklicher aussahen. Einige haben geweint, weil die Musik ihnen so nahe geht. Dafür spiele ich das Fagott. Das macht auch mich glücklich, und ich habe das Gefühl zu fliegen. Da haben beide Berufe, Pilot und Musiker, etwas gemeinsam.

Aufgezeichnet von Christine Schmitt

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