Angefangen hatte alles mit den Fragen nach der jüdischen Volksschule, die es von 1935 bis 1941 in Düsseldorf gab, berichtet Jonathan Grünfeld, Religionslehrer am Albert-Einstein-Gymnasium. »Wer besuchte sie, wer waren ihre Lehrer?«, wollten auch seine Schüler der siebten Klasse wissen. Und warum musste die Schule überhaupt in die Grafenberger Allee 78 im Stadtteil Flingern umziehen?
Die Schüler des Albert-Einstein-Gymnasiums wurden neugierig, sie wollten genauer nachforschen und wandten sich an die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, in der Hoffnung, Archivmaterial zu finden.
Sie ahnten damals nicht, dass sie mit ihrem Projekt einen vergessenen Teil der jüdischen Geschichte zum Vorschein holen würden und dass parallel zu ihnen auch Kommunalpolitiker daran interessiert waren, Licht ins Dunkel zu bringen. Denn fast zur gleichen Zeit vor eineinhalb Jahren, gerade, als die Schüler ihre Recherchen begannen, nahm der Politiker Ben Klar (Die Linke) an einem Stadtrundgang teil, der von der Mahn- und Gedenkstätte organisiert war – und der ihn in besagte Grafenberger Allee führte.
STOLPERSTEINE Ben Klar war auf einen Rundgang zu den Stolpersteinen der Stadt eingeladen und bemerkte damals: »Da gab es keinen Gedenkstein oder irgendetwas, woraus sich die Geschichte hätte erschließen können.« Das muss sich ändern, befand der Politiker spontan. Eine Erinnerungstafel oder Ähnliches müsse angebracht werden, fand er und wandte sich – wie kurz zuvor die Gymnasiasten – ebenfalls an die Mahn- und Gedenkstätte.
Für deren Leiter Bastian Fleermann und seine Mitarbeiterin Astrid Wolters stand rasch fest, dass er sowohl die Schüler mitsamt Lehrer als auch den Politiker an einen Tisch bringen wollte. Und so geschah es. Die Geschichte der Grafenberger Allee 78 war zwar in Ansätzen bekannt, aber bis dahin längst nicht so gut erforscht, wie sie es nun nach den 18 Monate dauernden Erkundungen der Schüler ist. Auf Zeitzeugenberichte konnten sie nicht zurückgreifen.
»Es gab keine Gemeindemitglieder in den 50er- bis 60er-Jahren, die aus der Zeit der Schoa hätten berichten konnten«, sagt Fleermann. Deshalb seien Erinnerungen auch nicht weitergegeben worden.
Die Gedenkstätte war das Archiv der Jüdischen Gemeinde geworden. Und rasch herrschte Einigkeit, dass ein Erinnerungszeichen zum Gedenken an das historische Gebäude aufgestellt werden sollte.
Der Linken-Politiker Ben Klar unterstützte sofort das Projekt der Einstein-Schüler.
BEZIRKSVERTRETUNG Die Schüler erhielten jedwede Unterstützung und wurden auch zu einer Sitzung der zuständigen Bezirksvertretung 2 eingeladen. Dort stellten sie das Projekt ebenfalls vor, und zwar mit so großem Erfolg, dass alle Politiker zustimmten, das Erinnerungszeichen aus dem Stadtetat zu finanzieren. »Da rannten wir offene Türen ein«, sagt Lehrer Grünfeld.
Es gab Workshops in der Mahn- und Gedenkstätte sowie Projekttage in der Schule. Die Schüler erfuhren, dass die Stadtvilla der Grafenberger Allee erst im Besitz der jüdischen »Düsseldorf Loge« war und 1934 der Jüdischen Gemeinde als Schenkung übertragen worden war. Zu diesem Zeitpunkt führte die Schwesternvereinigung der Loge im Haus bereits seit einigen Jahren einen Kindergarten mit Hort.
GEMEINDELEBEN Nach Hitlers Machtergreifung war es immer schwieriger geworden, jüdisches Gemeindeleben zu organisieren. Nachdem in der Pogromnacht die Synagoge Kasernenstraße mitsamt Nebengebäuden abbrannte, musste die Gemeinde schnell reagieren, und so entwickelte sich die Stadtvilla zu einem der Knotenpunkte des jüdischen Lebens, fasst Jonathan Grünfeld die Ergebnisse der Forschungsarbeit zusammen.
Eine Kita gab es bereits, nun kam die Schule hinzu, Gottesdienste für 300 Beter wurden gehalten, sogar Barmizwa-Feiern fanden statt. Es gab Sprachunterricht für Auswanderer, und im Frühjahr 1942 wurde hier ein Altenheim eingerichtet. Doch die 80 Bewohner wurden schon wenige Monate später deportiert. Es ist anzunehmen, dass keiner von ihnen zurückkehrte.
1941 wurde die Schule bereits geschlossen und ein Jahr später das Betreiben einer jüdischen Schule gänzlich verboten.
»Mich hat es beeindruckt, wie die damaligen Mitglieder in dieser unglaublich schrecklichen Zeit es geschafft haben, wieder so rasch ein Gemeindeleben zu organisieren«, sagt Grünfeld.
STADTVILLA »Leider gibt es kein Foto von der Stadtvilla«, bedauert der Gedenkstättenleiter Bastian Fleermann. Eine Bombe zerstörte das Haus komplett, und das neue Gebäude wurde erst in den 60er-Jahren errichtet. Lediglich eine Fassadenzeichnung gebe es.
Ein Schüler, dessen Schicksal die heutigen Gymnasiasten recherchierten, war Kurt Lubascher, der 1926 geboren wurde. Seine Eltern betrieben ein Restaurant. Seine Mutter und er wurden 1941 ins Ghetto Litzmannstadt deportiert. Ein Jahr darauf wurden beide in Chelmo ermordet, erzählt der Religionslehrer.
Stellvertretend für die Schülerschaft der Jüdischen Volksschule wird Kurt auf dem Erinnerungszeichen abgebildet und seine Biografie dargestellt. Für die Bewohner des Altenheims steht Ida Sostheim, Jahrgang 1860. Gemeinsam mit den anderen Bewohnern wurde sie mit einem Lkw abgeholt und nach Theresienstadt deportiert, wo sie ums Leben kam, erzählt Grünfeld. »Die weiteren Informationen und Fotos, die wir gesammelt haben, werden wir auf der Homepage unserer Schule veröffentlichen.«
Noch ist in der Grafenberger Allee 78 in Düsseldorf kaum etwas von den Vorhaben zu sehen. Das Haus, in dem eine Sprachschule und eine Krankenkasse ihre Räume haben, ist ein einfallsloser Bau aus den 60er-Jahren. Nur ein paar Büsche vor dem Haus wurden entfernt, um Platz für das Erinnerungszeichen zu schaffen, das am 4. März der Öffentlichkeit übergeben wird.
EINWEIHUNG Zu der Einweihung der zwei Meter hohen Stahlskulptur werden neben Gemeindemitgliedern auch Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) und weitere Politiker kommen. Und natürlich die Schüler, die mittlerweile die achte Klasse besuchen. Nach der Enthüllung wird es im Gemeindesaal noch eine Feier geben.
Die Aachener Grafikdesignerin Suna Niemetz hat das zwei Meter hohe Erinnerungszeichen entworfen. Dieses Projekt wird den Schülern des Albert-Einstein-Gymnasium und ihrem Lehrer Jonathan Grünfeld wohl immer in Erinnerung bleiben.