»Denkfabrik Schalom Aleikum«

Chancen für den Trialog

Abraham Lehrer, Karin Prien, Bekim Agai, Katrin Göring-Eckardt und Nora Pester (v.l.) kamen im Meistersaal am Potsdamer Platz zusammen. Foto: Gregor Matthias Zielke

Einen besseren Zeitpunkt hätte es für die Veranstaltung nicht geben können, findet Abraham Lehrer. »Pessach steht gemeinsam mit Ostern vor der Tür, und vor genau einer Woche starteten die Muslime in den Fastenmonat Ramadan«, erläuterte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Was wäre da also passender, als Vertreter der drei Religionen Judentum, Islam und Christentum zu einem gemeinsamen Gespräch zusammenzubringen?

Genau das hat am Mittwochabend vergangener Woche die »Denkfabrik Schalom Aleikum« getan. »Dialog Plus Eins« nannte das Projekt des Zentralrats die Podiumsdiskussion, zu der sie hochkarätige Gäste nach Berlin eingeladen hatte: Neben Lehrer diskutierten Katrin Göring-Eckardt (Grüne), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Karin Prien (CDU), Kultusministerin von Schleswig-Holstein, sowie der Islamwissenschaftler Bekim Agai.

Projekt Moderiert wurde die Veranstaltung von der Publizistin und Verlegerin Nora Pester. Es war die erste Veranstaltung von Schalom Aleikum in diesem Jahr. Vergangenen Herbst war die Denkfabrik aus dem gleichnamigen jüdisch-muslimischen Dialogprojekt hervorgegangen. Gefördert wird das Projekt von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Für den Jahresauftakt hatten die Veranstalter einen würdigen Ort ausgesucht: den Meistersaal in der Nähe des Potsdamer Platzes. Wie Moderatorin Pester erläuterte, hat das 110 Jahre alte Gebäude, in dem sich der opulente Raum befindet, auch eine jüdische Geschichte. Im Erdgeschoss richtete der Avantgarde-Künstler John Heartfield sein Atelier ein, und 1921 hielt Kurt Tucholsky hier eine seiner Lesungen. Pester sprach von »einem zentralen Schauplatz der 1920er-Jahre«. Später erlangte das Gebäude als Standort der Hansa-Tonstudios erneut Berühmtheit; hier produzierten David Bowie, Iggy Pop und Depeche Mode einige Alben.

Die nun im Meistersaal Anwesenden gingen der »Frage nach den Chancen eines interreligiösen Trialogs in Deutschland« nach, wie Lehrer den Inhalt der Veranstaltung umriss. Nicht nur das Christentum, auch das Judentum und der Islam seien »tief in der deutschen Geschichte verankert«. Dennoch stelle er leider fest: »Antisemitismus und Muslimfeindschaft nehmen nicht erst seit gestern zu.« Allen müsse klar sein, »wie notwendig eine durchdachte Annäherung der Religionen ist, um Frieden und Verständnis zu schaffen«.

Gräben Abraham Lehrer verwies zudem auf einen speziellen Schwerpunkt, dem sich sowohl der Abend als auch die Denkfabrik in nächster Zeit widmen möchte: »Besonders in Ostdeutschland beobachten wir mit Sorge die politische Entwicklung.« Es sei ein wichtiges Zeichen, dass sich das Zentralratsprojekt verstärkt dieser Region zuwende, »wo sich die Gräben zwischen den Religionsgemeinschaften am deutlichsten zeigen«.

»Das Bedürfnis nach Religion ist ungebrochen.«

Abraham Lehrer

Katrin Göring-Eckardt bringt beides mit: einen religiösen und einen ostdeutschen Hintergrund. Obwohl die neuen Bundesländer die am wenigsten religiöse Region Deutschlands sind, schließt sich das für die Grünen-Bundestagsabgeordnete nicht aus – im Gegenteil. »Die Kirchen waren Orte der Sicherheit«, beschreibt Göring-Eckardt, die für einige Jahre Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland war, die Situation in der DDR. Ihre ersten Schritte als Politikerin machte sie in der kirchlichen Friedens- und Umweltbewegung. »Hier wurde ich fromm«, erzählte sie.

Auch Karin Prien bezeichnet sich als religiös praktizierend. Die Jüdin und Christdemokratin – für Prien kein Widerspruch – ist Sprecherin des Jüdischen Forums der CDU. Im Meistersaal stellte sie ein Problem in den Raum: »Wie stehen wir als säkularer Staat zur Religion?« Prien findet, den Dialog zu den religiösen Gemeinschaften sollte auch ein konfessionell nicht gebundener Staat unbedingt suchen, denn er selbst kann wichtige Funktionen nicht erfüllen. »Was hält diese Gesellschaft im Innersten zusammen?« Für Antworten auf solche Grundsatzfragen seien wir auch auf die Religionen angewiesen.

traditionen Gerade heute gäben die Traditionen vielen Menschen Halt, glaubt Prien. »Durch die Krisen, die wir erleben, spielt Religion eine größere Rolle.« Auch Zentralratsvize Lehrer zeigte sich überzeugt: »Das Bedürfnis nach Religion ist ungebrochen.« Das gelte sowohl für den Westen als auch für den Osten des Landes. Göring-Eckardt verwies dagegen auch auf die sich verändernden Lebenslagen der Menschen und die zunehmende Individualisierung. »Die religiösen Institutionen müssen sich überlegen, wie sie attraktiv sein wollen.«

Bekim Agai beschrieb aus muslimischer Perspektive ein seiner Meinung nach großes gesellschaftliches Versäumnis: Lange sei das Christentum in Deutschland die absolute Norm gewesen.

Dabei verändere sich das Land stark. »Christentum als ›default modus‹ wird immer weniger der Fall sein«, sagte Agai, der in Frankfurt am Main die Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft leitet. Er plädiert für eine deutlich stärkere Berücksichtigung der Lebensrealität von religiösen Minderheiten.

Vielfalt Ein geglücktes Beispiel wachsender Diversität hat die Parlamentarierin Göring-Eckardt parat: »Es gibt eine größere religiöse Vielfalt im Bundestag als jemals zuvor.« Sie habe noch nicht erlebt, dass sich so viele Abgeordnete selbstbewusst zu ihrer jeweiligen Religion bekennen.

Das habe zu einer für sie besonderen Begebenheit geführt: Mit einigen ihrer Kollegen diskutierte sie neulich über die unterschiedlichen Arten des Fastens in den drei monotheistischen Religionen. »Ich finde, das ist ein großer Fortschritt«, gab sich Göring-Eckardt zuversichtlich.
Das ist eine Nachricht, die ganz im Sinne von Schalom Aleikum sein dürfte. Schließlich verfolgt die Denkfabrik auch das Ziel, über religiöse Lebensrealitäten aufzuklären – nicht zuletzt auch mit ihrer Veranstaltung im Meistersaal.

Thüringen

Voigt für deutsch-israelisches Jugendwerk in Weimar

Er führe dazu Gespräche mit israelischen Partnern, die bereits Interesse an einer Ansiedlung in Thüringen signalisiert hätten

 11.07.2025

Frankfurt am Main

Rabbinerin: Zentralrat hat Öffnung des Judentums begleitet

Elisa Klapheck spricht in Zusammenhang mit der jüdischen Dachorganisation von einer »Stimme, die auf höchster politischer Ebene ernst genommen wird«

 11.07.2025

Maccabiah

Zusammen sportlich

Trotz der Verschiebung der Spiele auf 2026 überwog auf dem Pre-Camp in Berlin Optimismus

von Frank Toebs  10.07.2025

Street Food Festival

Sich einmal um die Welt essen

Tausende besuchten das Fest im Hof der Synagoge Oranienburger Straße in Berlin

von Helmut Kuhn  10.07.2025

Berlin

»Berlin verneigt sich«

Zwei Monate nach ihrem Tod wird die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer in Berlin gewürdigt. Der Bundespräsident mahnt vor Politikern und Weggefährten, das Erbe der Jahrhundertfrau weiterzutragen

von Alexander Riedel  09.07.2025 Aktualisiert

Engagement

Verantwortung übernehmen

Erstmals wurde der Fritz-Neuland-Gedächtnispreis verliehen. Die Auszeichnung erhielten der Jurist Andreas Franck und die AG PRIOX der bayerischen Polizei

von Luis Gruhler  09.07.2025

Deutsch-Israelischer Freiwilligendienst

»Wir müssen gewachsene Strukturen erhalten«

ZWST-Projektleiter Erik Erenbourg über ein besonderes Jubiläum, fehlende Freiwillige aus Deutschland und einen neuen Jahrgang

von Christine Schmitt  09.07.2025

Essen

Vier Tage durch die Stadt

Der Verein Kibbuz Zentrum für Kunst, Kultur und Bildung führte 20 Jugendliche einer Gesamtschule an jüdische Orte. Die Reaktionen überraschten den Projektleiter

von Stefan Laurin  09.07.2025

Berlin

Millionenförderung für jüdisches Leben

Die sogenannten Staatsleistungen machten dabei fast 8,9 Millionen Euro in dieser Summe aus. Als Zuwendung für personelle Sicherheitsleistungen flossen den Angaben zufolge 6,1 Millionen Euro

 09.07.2025