Vielfalt

Bündnis auf Zeit

Viele Rabbiner haben feste Verträge – andere sind auf Wanderschaft

von Lukas Dreifuss  20.07.2010 11:26 Uhr

Handelt seinen Arbeitsvertrag selbst aus – ein Rabbiner in Deutschland Foto: Fotolia

Viele Rabbiner haben feste Verträge – andere sind auf Wanderschaft

von Lukas Dreifuss  20.07.2010 11:26 Uhr

Uzi Taitelbaum sitzt in der Bahn und liest Kommentare zur wöchentlichen Parascha. Er ist unterwegs von Frankfurt nach Konstanz – wie jeden Freitagnachmittag. Dörfer und Städte ziehen am Rabbiner vorbei, der gemütlich am Fenster sitzt. Taitelbaum arbeitet während der Woche in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, Schabbat verbringt er in Konstanz. »Seit sechs Jahren mache ich mich jede Woche auf in Richtung Süddeutschland«, sagt der gebürtige Israeli. Fünf Stunden Reisezeit nimmt er auf sich, um für zwei Tage in der Israelitischen Gemeinde Konstanz zu sein, die keinen eigenen Rabbiner hat.

Wanderrabbiner Nicht alle jüdischen Gemeinden können sich einen Rabbiner finanziell leisten. Damit aber auch sie in den Genuss von Unterricht, Seelsorge und mehr kommen, hat der Zentralrat der Juden in Deutschland vor rund fünf Jahren Mittel für sogenannte Wanderrabbiner zur Verfügung gestellt. Diese arbeiten gleichzeitig in mehreren rabbinerlosen Gemeinden. Drei Wanderrabbiner wurden bisher vom Zentralrat finanziert und von der Zentralwohlfahrtsstelle (ZWSt) angestellt. Doch zum Ende des Jahres laufen die Verträge aus. »Nutznießer dieser Einrichtung sind lediglich drei Landesverbände«, sagt Josef Schuster, im Zentralratspräsidium für den Kultus zuständig. Daher sei es nicht vermittelbar, dass nur ihnen Mittel zuflössen, die anderen Landesverbände ihre Rabbiner aber selbst bezahlen müssten, sagt Schuster. Benjamin Bloch, Direktor der ZWSt bedauert, dass man das erfolgreiche Projekt jetzt auf Eis legen will. »Die Wanderrabbiner haben gute Arbeit geleistet. Entweder werden jetzt andere Organisationen in die Bresche springen oder die Gemeinden werden keinen Rabbiner mehr haben«, sagt er.

ORTHODOXIE Anders als Taitelbaum und seine Kollegen sind die meisten jüdischen Geistlichen nur für eine Gemeinde zuständig. Sie kommen aus den verschiedensten Ländern und haben die unterschiedlichsten Verträge mit Gemeinden und Landesverbänden abgeschlossen. 32 Rabbiner sind der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) angeschlossen. »Viele von ihnen sind israelischer oder russischsprachiger Herkunft«, erzählt Jaron Engelmayer, Gemeinderabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln und Vorstandsmitglied in der ORD. Einige der zugezogenen Rabbiner haben bereits eine Beziehung zu Deutschland, weil sie etwa zu Hause Deutsch gehört haben, andere sprechen Jiddisch.

Nur wenige Rabbiner kommen aus dem deutschsprachigen Raum. Engelmayer erklärt dies damit, dass es in Deutschland bis vor Kurzem keine Möglichkeit gab, eine orthodoxe Rabbinerausbildung zu absolvieren. Die erste Ordination der Yeshivas Beis Zion von Lauder hat vor einem Jahr stattgefunden.

Vorstand Welchen Vertrag der Rabbiner mit seiner Gemeinde aushandelt, ist laut Engelmayer die persönliche Angelegenheit jedes Einzelnen. »Sowohl befristete als auch unbefristete Verträge sind praktikabel«, sagt er. Er gibt zu bedenken, dass die jüdischen Geistlichen in Deutschland oft nicht ausreichend vor einer Vertragskündigung durch die Gemeinde geschützt seien. »Der Vorstand wird in kurzen Abständen neu gewählt. Wenn eine Gemeindeleitung mit dem Rabbiner nicht zufrieden ist, sucht sie sich einen neuen.«

Ein wichtiges Thema ist für Engelmayer die jüdische Erziehung von Kindern in Gemeinden ohne entsprechende Infrastruktur durch jüdischen Kindergarten, Grundschule und Gymnasium. »Gerade junge Rabbiner mit Familie sind mit dieser Frage konfrontiert. Jeder löst das Problem individuell«, sagt Engelmayer. Es gäbe Fälle, in denen Rabbiner Gemeinden verließen, weil ihre Kinder dort keine gute jüdische Erziehung hätten genießen können. Einige Rabbinerfamilien blieben in Israel. »Es werden auch originelle Wege gesucht, um den Kindern zusätzliche jüdische Erziehung zu ermöglichen, zum Beispiel Unterricht über das Internet«, sagt er.

Universell Der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) gehören 16 Rabbiner verschiedener nichtorthodoxer Richtungen an, von Liberal bis Masorti (traditionell). Sie stammen unter anderem aus Deutschland, Tschechien, England, Amerika, Israel und Holland. Auch bei der ARK wird über die Verträge individuell zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber verhandelt. »Es gibt es sowohl zeitlose wie befristete Verträge«, sagt Jonah Sievers, Niedersächsischer Landesrabbiner und Vorstandsmitglied der ARK. Die Altersvorsorge wird über die Deutsche Rentenkasse oder privat abgewickelt. Gemäß Sievers bleiben fast alle Rabbiner viele Jahre hier. »Kleinere Gemeinden werden aber schon häufiger mal als Sprungbrett benutzt«, erklärt er.

Die Schulfrage lösen die meisten Rabbiner der ARK pragmatisch »Falls es keine jüdische Schule in der Umgebung gibt, gehen die Kinder auf die ganz normale Schule, der Religionsunterricht findet dann außerhalb der Schule oder im Rahmen des Gemeindeunterrichts statt«, so Sievers.

In Konstanz führt Rabbiner Taitelbaum unterdessen die Hawdala-Zeremonie zum Schabbatende durch. Er hat in der Stadt am Bodensee Schiurim gegeben, die Gottesdienste geleitet und Schabbatstimmung in die Gemeinde gebracht. Am Sonntagmorgen geht’s wieder zurück nach Frankfurt – bis zum nächsten Wochenende.

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