Vier Jahre hat er davon geträumt. Jetzt hat Avi Toubiana, Intendant der Jüdischen Kulturtage, das Eröffnungskonzert selbst produziert: »Es ist alles dabei: Tanz, Filmmusik, Gesang – wie eine Broadway-Show. Wir erzählen die jüdische Geschichte durch Hollywood«, schwärmt der Kulturmanager.
Traditionell gilt das Eröffnungskonzert der Jüdischen Kulturtage als ein Höhepunkt. Das diesjährige Konzert aber verspricht, ein Event der Superlative zu werden. Nichts Geringeres als 5000 Jahre Historie möchte das Sinfonie Orchester Berlin, dirigiert von Igor Budinstein, anhand bekannter Werke der Filmmusik an diesem Abend erzählen. Aufgeführt vom Synagogal Ensemble Berlin, einem Chor aus Sängern der Berliner Opernhäuser, macht Talya Solans Interpretation von »Munich 1972« aus Steven Spielbergs Klassiker Munich den Anfang.
Der Anschlag auf israelische Sportler während der Olympischen Spiele in München bietet zugleich Anlass zum Gedenken an jüdische Opfer von Terroranschlägen in aller Welt. Auch die ehemalige Hamas-Geisel Agam Berger ist in Berlin.
»Dann geht es zu Prince of Egypt und dem Auszug aus Ägypten. Danach zu Fiddler on the Roof, über das Leben der Juden im Schtetl«, sagt Toubiana. Es folgen Motive aus Schindlers Liste und Swing Kids: »Wir werden zwingend auch tanzen« – wie zu Benny Goodman oder dem jiddischen Musical-Song »Bei Mir Bistu Shein«. Die musikalische Zeitreise endet schließlich mit dem für 13 Oscars nominierten Hollywood-Musical LaLaLand, zu dem Justin Hurwitz die Melodien schrieb. Er habe sich auf jeden Fall etwas Verrücktes einfallen lassen, sagt Toubiana, »und es singen viele junge Künstler wie bei Yentl: ›Can You Hear Me?‹«
Das Festival ist längst fester und beliebter Bestandteil der Hauptstadtkultur
Die 38. Edition der Jüdischen Kulturtage der Jüdischen Gemeinde zu Berlin vom 13. bis 23. November steht unter dem Motto »Atid« – Zukunft. Der Begriff sei mehr als nur eine zeitliche Angabe, heißt es in der Ankündigung des Gemeindeblatts »Jüdisches Berlin«: »Er verkörpert Hoffnung, Verantwortung und den Glauben an das Kommende.« Dergestalt bieten die rund 40 Einzelveranstaltungen ein »Forum des Zusammenkommens, Kennenlernens und gemeinsamen Erlebens«. Das Festival ist längst fester und beliebter Bestandteil der Hauptstadtkultur. Musik, Film, Tanz, Literatur und Gespräche stehen zehn Tage auf dem Programm.
Ein logistischer Marathon. Seit mehr als einem Jahr arbeiten Toubiana und ein siebenköpfiges Team ununterbrochen an den Veranstaltungen, zum Teil 14 Stunden täglich. Man sei ordentlich gewachsen. Kamen im vergangenen Jahr rund 10.000 Besucher, werde man die Marke dieses Jahr schon wieder sprengen. »Allein für das Eröffnungskonzert haben wir schon 1300 Karten verkauft.«
»Modi« ist einer der populärsten jüdischen Stand-up-Comedians der USA.
Rund 1200 Besucher wollen ihre Lachmuskeln strapazieren und haben Tickets für Mordechi Rosenfeld gebucht. »Modi« ist einer der populärsten jüdischen Stand-up-Comedians der USA. »Respekt und Witz können problemlos koexistieren. Guter Humor verbindet die Menschen«, sagt der Satiriker. Seine Veranstaltungen waren bereits bei den Kulturtagen 2023 in Windeseile ausverkauft.
Jetzt kehrt er mit seinem neuen Programm zurück: »Pause for Laughter«. »Ich freue mich darauf, ihn wiederzusehen«, sagt Toubiana. Modi bezieht sein Publikum gern mit ein – und ist von den Berlinern restlos begeistert: »Diese Energie war außergewöhnlich«, sagt Rosenfeld.
Aturinnen und Autoren nehmen Platz auf dem »Blauen Sofa«
»Wir haben natürlich auch ein starkes Literaturprogramm. Darauf freue ich mich genauso, und wir arbeiten dieses Jahr zum ersten Mal mit der Staatsbibliothek zusammen«, fährt Toubiana fort. Die Autorinnen und Autoren Leon de Winter (Stadt der Hunde), Christian Berkel (Sputnik), Susanne Schädlich (Kabarett der Namenlosen), Irina Scherbakowa (Memorial – Erinnern ist Widerstand) lesen im Humboldt-Saal der »Stabi«. Der Israeli Assaf Gavron (Everybody be cool), Dmitrij Kapitelman (Russische Spezialitäten), Sarah Levy (Kein anderes Land) und Henrik Szántó (Treppe aus Papier) nehmen mit Christine Watty Platz auf dem »Blauen Sofa«.
Nichts Geringeres als die Geschichte des jüdischen Volkes erzählt das Eröffnungskonzert.
Martina Wörgötter wird über »Stefan Zweig und seine Version eines geeinten Europas als geistige Heimat« referieren und Dieter Borchmeyer zu »Thomas Mann und das Judentum« sprechen. Im Fontane-Saal der Stabi gibt es Bilderbuchkinos zu »Mascha Kaléko und die Kraft der Poesie« mit Christiane Munsberg und »Anne Frank: Füller-Kinder« mit Judith Poznan. Auch ein Stadtspaziergang mit Jess Earle lädt dazu ein, sich auf die Spuren der großen Dichterin Mascha Kaléko zu begeben, die 1956 aus dem New Yorker Exil an die Spree zurückgekehrt war.
Zum Festival zieht die Stabi alle Register und präsentiert aus eigenen Beständen ganz besondere jüdische Schätze: hebräische Handschriften, prachtvoll illuminierte Gebetbücher, Mikrografien und kostbare Torarollen. In der Schau Materialisierte Heiligkeit – Jüdische Buchkunst im rituellen Kontext sind auch die größte hebräische Bibel des Mittelalters sowie das restaurierte Kalenderwerk von Judah Mehler Reutlingen zu sehen. Zudem zeigt das Haus eine der bedeutendsten Sammlungen von Displaced-Persons-Drucken nach 1945: »Mir zenen do« – »Wir sind hier!« ist mit mehr als 450 Artefakten Ausdruck und Zeugnis des Überlebenswillens wie des Neuanfangs zugleich.
Avishai Cohen, Jazz-Bassist, Komponist und Bandleader, ist wieder dabei
Eine besondere Freude ist es Kulturmanager Toubiana, im Rahmen des Filmfestivals im »Hackesche Höfe Kino« einen Ehrengast begrüßen zu dürfen. Der Film Irenes Geheimnis von Louise Archambault behandelt die wahre Geschichte der polnischen Krankenschwester Irene Gut Opdyke, die zu Zwangsarbeit verpflichtet worden war, jüdische Menschen versteckte und so vor der Deportation bewahrte. Einer der Geretteten, Roman Haller, der 1944 im Versteck geboren wurde, nimmt an der anschließenden Podiumsdiskussion teil. »Ich bin froh, dass er in seinem hohen Alter extra vorbeikommt und uns davon erzählt«, sagt Toubiana.
Die Filme reichen vom komödiantischen orthodoxen Matchmaking (Matchmaking 2) über ein Kabarett im Süden Israels als Ventil zur Bewältigung von Kriegstraumata (Cabaret Total) bis hin zu Episoden der Serie The German, ein Thriller, in dem ein Holocaust-Überlebender den berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele jagt. Zwei Filme, Tattooed4Life von Kineret Hay-Gillor und die Dokumentation The Children of 7/10, beleuchten die Massaker des 7. Oktober und deren Folgen.
Das Fachblatt »Bassplayer Magazine« bezeichnet ihn als »einen der einflussreichsten Instrumentalisten des 20. Jahrhunderts«: Avishai Cohen, Jazz-Bassist, Komponist und Bandleader, ist nicht zum ersten Mal Gast der Kulturtage. Er spielte bereits mit Legenden wie Chick Corea, Herbie Hancock und Bobby McFerrin in New York. Mit seiner Band stellt er in der Synagoge Rykestraße seine Klassiker aus 30 Jahren sowie neue Songs und Kompositionen vor.
Die Musiker spielen dabei mehrere Instrumente aus verschiedenen Kulturkreisen
Die israelische Formation, das Yamma Ensemble, gegründet von der Mezzosopranistin Talya Solan, wendet sich den jemenitischen Traditionen ihrer Großeltern zu, gemischt mit zeitgenössischer jüdischer Musik sowie Klängen aus Spanien, vom Balkan und dem ehemaligen Babylonien.
Eine Besonderheit: Die Musiker spielen dabei mehrere Instrumente aus verschiedenen Kulturkreisen wie die »armenische Flöte« Duduk, das persische Blasinstrument Nay, die Zupfinstrumente Sitar, Oud und Kabuz, die nahöstliche Kelchtrommel Darbuka, die Kistentrommel Cajon oder die Tambourine Riq. Gemeinsam präsentieren sie in ihrem Kulturtage-Debüt auch Songs ihres neuen Albums »Teiman« – »eine Hommage an die Frauen der jüdischen Community im Jemen«.
Last, but not least gehört der Abschluss des Festivals dem Dancefloor. Anders als bisher findet der Ausklang nicht in der Synagoge Rykestraße statt, sondern im Museum »Fotografiska«. Rap und Hip-Hop-Beats mit energetischem Funk und Folk-Elementen mischen Hadag Nachash.
Fieberhaft laufen die letzten Vorbereitungen und Proben. Wenig Schlaf für Intendant Avi Toubiana und sein Team, aber es sei ihnen »ein Privileg und eine große Ehre«.
Vom 13. bis 23. November