Kassel

Bilder des Gedenkens

Das Jahr 2013 hat viele Jubiläen. Keine, an die man sich wirklich erinnern möchte. 80 Jahre Machtübernahme, Reichstagsbrand, Bücherverbrennung. 75 Jahre Novemberpogrom, 70 Jahre Aufstand und seine Niederschlagung im Warschauer Ghetto. Vielleicht liegt es an diesen Daten, dass der Koordinierungsrat der Christlich-Jüdischen Gesellschaften seiner Woche der Brüderlichkeit in diesem Jahr einen ausgewiesen jüdischen Touch verliehen hat.

Das Motto jedenfalls verweist auf diese Jahrestage: »Sachor – Gedenke. Der Zukunft ein Gedächtnis.« Eröffnet wird die Woche der Brüderlichkeit in diesem Jahr in Kassel, der Stadt des Franz Rosenzweig und des vorauseilenden Gehorsams. Denn während die Synagogen 1938 am Abend des 9. November brannten, wurde das Kasseler Gotteshaus bereits am Abend des 7. November verwüstet. Rosenzweig und die Spuren von Verfolgung und Terror bilden in Kassel die Themen der Eröffnungsveranstaltungen vom 1. bis 4. März.

»Ich bleibe also Jude«, der Titel der großen Rosenzweig-Ausstellung (Schaustelle des Stadtmuseums, Wilhelmstraße 2) verweist auf den heftigen Gewissenskonflikt, in dem sich der damals 27-Jährige 1913 befand. Im Juli des Jahres hatte er bei seinem christlichen Vetter Rudolf Ehrenberg mit dem zum Protestantismus konvertierten Privatdozenten der Rechtsgeschichte Eugen Rosenstock-Huessy nächtens debattiert und war dadurch dermaßen aus seiner religionsphilosophischen Distanziertheit gerüttelt worden, dass er eine Konversion zum Christentum in Erwägung zog. Er besann sich jedoch und schrieb seinem Vetter den legendären Satz: »Ich bleibe also Jude.«

Spurensuche Rosenzweig scheint daher wie geschaffen, Thema des christlich-jüdischen Verständnisses zu sein. Rundgänge und Referate beschäftigen sich mit den Wegmarken, die er in seiner Heimatstadt hinterlassen hat (Samstag 13 Uhr, Treffpunkt: Commerzbank, Königsplatz). Mit den Spuren der Verfolgung befasst sich Barbara Richarz-Riedl bei ihrem Rundgang »Jüdisches Leben in Kassel vor und nach dem Holocaust« (Treffpunkt Schaustelle des Stadtmuseums).

»Kunst der Erinnerung – Erinnerung der Kunst« hat Horst Hoheisel seinen Gang vom Kulturbahnhof aus betitelt. Thomas Ewald trifft sich um 13 Uhr am Aschrott-Brunnen vor dem Rathaus mit Interessierten zum Rundgang »Vor aller Augen – Verfolgung und Terror in Kassel ab 1933«.

Die beiden Preisträger der Buber-Rosenzweig-Medaille 2013, das Fritz-Bauer-Institut und die Übersetzerin und Kinder- und Jugendbuchautorin Mirjam Pressler, kommen am Nachmittag zu Wort. Raphael Gross spricht für das Fritz Bauer Institut ab 15 Uhr im Bürgersaal des Kasseler Rathauses über das Thema: »Das Jahr 1938 und die Auseinandersetzung mit der Schoa in Deutschland«. Mirjam Pressler liest am Abend um 20 Uhr in der Karlskirche aus Ein Buch für Hanna.

Die Synagoge in der Bremer Straße 3 lädt am Freitag zum Schabbatgottesdienst ein. Die christlich-jüdische Gemeinschaftsfeier mit Weihbischof Karlheinz Diez, Bischof Martin Hein und Landesrabbiner Henry G. Brandt findet am Samstag um 17.30 Uhr im Ständehaus statt.

Höhepunkt der Veranstaltungen in Kassel ist die Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille am Sonntagvormittag im Staatstheater. Das Fritz Bauer Institut in Frankfurt habe als Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung der Vernichtung der Juden konstruktive Anregungen zur Entwicklung eines kritischen Geschichtsbewusstseins in die Gesellschaft getragen, hieß es in der Begründung. Die der Universität Frankfurt angegliederte Einrichtung ist benannt nach Fritz Bauer (1903–1968), der als hessischer Generalstaatsanwalt den Frankfurter Auschwitz-Prozess angestoßen hat.

Preisträger Die Schriftstellerin Mirjam Pressler wird für ihr herausragendes literarisches und übersetzerisches Werk geehrt. Mit ihren Romanen und Erzählungen habe Pressler es vermocht, jüdisches Leben in der Zeit des Nationalsozialismus und danach den künftigen Generationen nahezubringen. Ihre schonungslose und mutige Darstellung »beschädigter Kindheiten« sei Plädoyer für eine offene und tolerante Gesellschaft.

Die Buber-Rosenzweig-Medaille für Verdienste um den christlich-jüdischen Dialog wird seit 1968 jeweils zum Auftakt der Woche der Brüderlichkeit verliehen und ist undotiert. Die Auszeichnung erinnert an die jüdischen Philosophen und Pädagogen Martin Buber (1878–1965) und an den Religionsphilosophen Franz Rosenzweig (1886–1929).

Zu den früheren Preisträgern zählen der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani, der Violinist Yehudi Menuhin, der niederländische Schriftsteller Leon de Winter sowie der Architekt Daniel Libeskind.

An der deutschlandweiten Woche der Brüderlichkeit beteiligen sich zahlreiche Initiativen sowie mehr als 80 örtliche Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit zwischen Aachen und Zwickau. Traditionell lädt aus diesem Anlass das Helene-Lange-Gymnasium in Fürth zu einer Festveranstaltung ein. Der Generalkonsul des Staates Israel, Tibor Shalev Schlosser, wird am 7. März in der Aula der Schule den Vortrag: »Die deutsch-israelischen Beziehungen – Erinnerung als Brücke der Zukunft« halten.

Film und Lesung Das Darmstädter Rex-Kino, Grafenstraße, zeigt zum Auftakt am 4. März um 20.15 Uhr den Film Rosenstraße. Im Jüdischen Gemeindezentrum Düsseldorf, Paul-Spiegel-Platz 1, liest am 5. März um 19 Uhr der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, aus seinem Buch Nachgeboren – vorbelastet? Die Zukunft des Judentums in Deutschland. Wolfgang Stegemann spricht in der Alten Synagoge Essen zum Thema »Aneignung der Bibel als Enteignung der Juden. Beispiel antijüdischer Erinnerungspolitik«, Montag, 4. März, 19 Uhr.

Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster lädt am 4. März zur Eröffnungsveranstaltung in den Festsaal des Rathauses ein. Die Schüler des Gymnasiums St. Mauritz hinterfragen in ihrem Beitrag die Formen des Gedenkens. Der Leiter der Volkshochschule Recklinghausen setzt sich am Sonntag bei der feierlichen Eröffnung ebenfalls mit dem Jahresthema »Sachor« auseinander.

Die Städtische Galerie Haus Seel in Siegen lädt am Sonntag ab 16 Uhr zur Ausstellungseröffnung mit Werken von Künstlern aus Emek Hefer ein. Die Stuttgarter Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit begeht am 3. März den 65. Jahrestag ihres Bestehens mit einem »Bilderbogen«.

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024

Berlin

Pulled Ochsenbacke und Kokos-Malabi

Das kulturelle Miteinander stärken: Zu Besuch bei Deutschlands größtem koscheren Foodfestival

von Florentine Lippmann  17.04.2024

Essay

Steinchen für Steinchen

Wir müssen dem Tsunami des Hasses nach dem 7. Oktober ein Miteinander entgegensetzen

von Barbara Bišický-Ehrlich  16.04.2024

München

Die rappende Rebbetzin

Lea Kalisch gastierte mit ihrer Band »Šenster Gob« im Jüdischen Gemeindezentrum

von Nora Niemann  16.04.2024

Jewrovision

»Ein Quäntchen Glück ist nötig«

Igal Shamailov über den Sieg des Stuttgarter Jugendzentrums und Pläne für die Zukunft

von Christine Schmitt  16.04.2024

Porträt der Woche

Heimat in der Gemeinschaft

Rachel Bendavid-Korsten wuchs in Marokko auf und wurde in Berlin Religionslehrerin

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.04.2024