Worms

Beerdigt auf Heiligem Sand

Der jüdische Friedhof in Worms gilt als der älteste an Ort und Stelle erhaltene in Europa. Foto: dpa

Hunderte Sandsteine sind über das leicht hügelige Areal verteilt, so weit das Auge reicht. Die meisten stehen längst bedenklich schief, viele sind bereits in die Erde eingesunken: Es sind die Grabsteine auf Europas ältestem erhaltenen jüdischen Friedhof, dem Heiligen Sand in Worms. Zwischen mächtigen Ahornbäumen und Buchen sind die großen Gelehrten des mittelalterlichen Judentums begraben, geschätzte Familienoberhäupter ebenso wie unbekannte Märtyrer der antijüdischen Pogrome.

Wer an welcher Stelle liegt, wissen oft nur noch Experten. Denn nach vielen 100 Sommern und Wintern sind die hebräischen Grabstein-Inschriften vielfach verwittert und von Moos überwachsen.

Meir von Rothenburg Bis heute kommen religiöse Juden aus aller Welt zum Heiligen Sand nach Worms. Gleich hinter der hölzernen Eingangspforte wurden die Gräber des mittelalterlichen Rabbiners Meir von Rothenburg und dessen Schülers Alexander ben Salomon Wimpfen zu regelrechten Wallfahrtstätten. Unter kleinen Steinen häufen sich unzählige Papierzettel mit Botschaften und Bitten.

Weitere Ziele der frommen Besucher liegen am Südende des gut anderthalb Hektar großen Geländes, im sogenannten Tal der Rabbiner. Hier fanden berühmte Talmudgelehrte ihre letzte Ruhe, deren Schriften bis heute herausgegeben und gelesen werden.

Da jüdische Friedhöfe für die Ewigkeit angelegt sind finden sich am Heiligen Sand sehr alte Grabsteine: Der älteste noch lesbare der insgesamt rund 2500 Steine stammt aus dem Jahr 1055/1056. »Wenn Sie als jüdischer Mensch diesen Friedhof besuchen, fühlen Sie sich als Teil dieser langen Geschichte«, sagt die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mainz, Stella Schindler-Siegreich.

Die unbedingt zu respektierende jüdische Totenruhe macht zugleich Sanierungsmaßnahmen auf dem Friedhof kompliziert. Bevor etwa ein umgekippter Stein wieder aufgestellt werden kann, sollte ein Rabbiner konsultiert werden.

Auswertung Der Judaist und Direktor des Salomon-Ludwig-Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte, Michael Brocke, hat mit seinen Kollegen jahrelang die Steine auf dem Heiligen Sand untersucht. Mit Kameras wurden die verwitterten Grabdenkmäler aus verschiedenen Winkeln fotografiert, die Bilder später detailliert am Computer ausgewertet, um längst unleserlich geglaubte Inschriften doch noch zu entschlüsseln. In manchen Fällen führte die Methode zum Erfolg, in anderen bleiben die Forscher ratlos. »Mit einigen Steinen bin ich seit Jahren im Klinsch«, bekennt Brocke.

Viele der im Mittelalter verstorbenen Wormser Juden seien auf ihren Gräbern als Wohltäter und fromme Torakenner gewürdigt worden, berichtet Brocke. Die Klage über den Verlust eines geliebten Menschen finde sich erst seit etwa 300 Jahren.

Rund um das Jahr 1800 wurden auf dem Heiligen Sand die ersten Grabsteine mit hochdeutschen Worten aufgestellt –zunächst noch mit hebräischen Buchstaben, später immer mehr auch in deutscher Frakturschrift. Auf vielen von ihnen hinterließen trauernde Angehörige umfängliche, geradezu poetische Nachrufe. »Viele Töchter haben Rühmliches vollbracht, du aber übertriffst sie alle«, heißt es etwa über Sophie Goldschmid, die 1930 im Alter von 82 Jahren starb.

Bereits im 19. Jahrhundert gab es erste Initiativen zur Erhaltung des Heiligen Sands, schon damals ahnte die örtliche jüdische Gemeinde, dass ihr Friedhof europaweit einzigartig war. Nachdem der Friedhof ab 1911 durch einen neuen abgelöst worden war, überstand er sogar die Nazi-Barbarei weitgehend unbeschadet. Warum, ist bis heute nicht abschließend geklärt.

Nazis »Fast wie ein Wunder« wirke die Rettung des Geländes, sagt Brocke. Er ist sich aber zugleich sicher, dass die Gräber wohl allesamt vernichtet worden wären, wenn die Nationalsozialisten noch zwei oder drei Jahre mehr Zeit gehabt hätten.

Bislang kommen nicht allzu viele Besucher an diesen magischen Ort, an manchen Vormittagen gehört das Gelände ganz den Vögeln und Eichhörnchen. Mit der Ruhe könnte es aber in einigen Jahren vorbei sein, denn die Bundesrepublik und das Land Rheinland-Pfalz bemühen sich darum, dass der Heilige Sand und die anderen jüdischen Zeugnisse aus Speyer, Worms und Mainz in die UNESCO-Liste der Weltkulturerbestätten aufgenommen werden. Die drei sogenannten SchUM-Gemeinden bildeten im 12. und 13. Jahrhundert das geistige und kulturelle Zentrum des europäischen Judentums.

Die Frage, wie man in Worms damit umgehen würde, wenn auf dem Heiligen Sand einmal ähnliche Besuchermassen Einlass begehren wie heute schon beispielsweise auf dem jüdischen Friedhof in Prag, haben die Verantwortlichen bislang noch nicht geklärt. »Das ist im Moment nicht das Thema«, sagt die Gemeindevorsitzende Schindler-Siegreich. »Jetzt ist es wichtig, alles vorzubereiten, damit die Anerkennung als Weltkulturerbe kommt.«

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